Alles Licht, das wir nicht sehen

Drama | USA 2023 | 230 (vier Folgen) Minuten

Regie: Shawn Levy

Im August 1944 kreuzen sich im französische Küstenort Saint-Malo die Wege von vier Menschen: einer blinden jungen Frau und ihres Großonkels sowie eines deutschen Soldaten und eines bösartigen SS-Mannes. Der ist todkrank und hinter einem Juwel her, dem lebensverlängernde Kräfte zugesprochen werden. Die vierteilige Miniserie nach einem Roman von Anthony Doerr setzt auf große Bilder und hebt das Märchenhafte der Vorlage hervor. Zahlreiche Rückblenden wirken eher deplatziert und stören den Fluss der Erzählung. In ihren stärksten Momenten versprüht die Serie dennoch zeitlose Kinomagie. - Ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
ALL THE LIGHT WE CANNOT SEE
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
21 Laps Ent./Pioneer Stilking Films
Regie
Shawn Levy
Buch
Steven Knight · Shawn Levy
Kamera
Tobias A. Schliessler
Musik
James Newton Howard
Darsteller
Aria Mia Loberti (Marie-Laure LeBlanc) · Nell Sutto (junge Marie-Laure) · Mark Ruffalo (Daniel LeBlanc) · Hugh Laurie (Etienne LeBlanc) · Louis Hofmann (Werner Pfennig)
Länge
230 (vier Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Historienfilm | Kriegsfilm | Literaturverfilmung | Serie
Externe Links
IMDb | JustWatch

Im Spätsommer 1944 kreuzen sich die Wege einer blinden Französin und eines deutschen Wehrmachtsoldaten kurz vor der Schlacht um die Bretagne. Eine Miniserie nach dem gleichnamigen Roman von Anthony Doerr.

Diskussion

Es war einmal im Zweiten Weltkrieg, während des Spätsommers 1944: Die blinde Marie (Aria Mia Loberti) lebt im bretonischen Küstenort St. Malo bei ihrem Großonkel Etienne (Hugh Laurie) und schickt jeden Abend literarische Grüße über ihr Kurzwellenradio in die Welt. Und jeden Abend hört ihr der deutsche Funker Werner (Louis Hofmann) zu, der nur wenige Kilometer entfernt in der gleichen Stadt Dienst tut. Er soll den Ursprung der Sendungen aufspüren, die nach Ansicht der Deutschen den Amerikanern genaue Ziele für eine Bombardierung ihrer Stellungen liefern. SS-Mann von Rumpel (Lars Eidinger) ist ebenfalls hinter Marie her, aber aus ganz anderen Gründen. Er vermutet einen Edelstein im Besitz des Mädchens, den sie von ihrem Vater Daniel (Mark Ruffalo), einem Museumsschlosser im Pariser Museum für Naturgeschichte, erhalten hat und der Heilkräfte besitzen soll. Denn von Rumpel ist todkrank. Im August 1944 laufen schließlich alle Schicksale ineinander.

Ein dunkles Märchen

Was sich nach einer wenig realistischen Geschichte anhört, ist auch genau das: Anthony Doerr schrieb mit dem dieser Serienverfilmung zugrunde liegenden, gleichnamigen Roman eine Art modernes Märchen, in dem die Prinzessin eine junge blinde Résistance-Kämpferin und der Prinz ein Nazi wider Willen ist. Was sich hier durch das Schicksal zusammenfügt, ist entsprechend oft wenig glaubhaft, dafür aber manchmal umso poetischer. Doerrs Roman erschien 2014 – und wurde in kurzer Zeit vor allem in den USA zum Erfolg. Ein Jahr später gewann der Autor sogar den Pulitzer-Preis mit diesem Werk. Dennoch dauerte es etliche Jahre, bis sich jemand an die Verfilmung der bereits in Romanform bildstarken Geschichte machte. Nun hat ausgerechnet Komödien- und Superheldenfilm-Experte Shawn Levy sich des Stoffs angenommen und ihn als vierteilige Mini-Serie für Netflix inszeniert.

Schon deren Beginn, wenn erstmals im Zug der Schlacht um die Bretagne US-Bomber über dem von den Deutschen besetzten St. Malo ihre tödliche Fracht abwerfen, hat wenig mit einem echtem Kriegsszenario zu tun. Obwohl die Stadt verwüstet wird, wirken die engen alten Gassen der mittelalterlichen Stadt immer noch märchenhaft-pittoresk. Und das Bistro, in dem der Schurke den Bombenhagel abwartet, sieht noch immer aus, als sei nie Krieg gewesen – der Kriegsschrecken verkörpert sich vielmehr in dem SS-Mann selbst. Märchen haben meist nicht den Anspruch, reale Figuren zu erschaffen, sie arbeiten mit Archetypen. Das tun Regisseur Shawn Levy und sein Drehbuchautor Steven Knight hier auch. Und ihre starken Darsteller erwecken diese Archetypen mühelos zum Leben.

So ist Lars Eidinger als Rumpel abgrundtief böse – und dennoch gelingt es dem Darsteller, seiner Rolle als verzweifelt nach mehr Leben Suchender auch Tragik zu verleihen. Marie wirkt dagegen wie die verkörperte Unschuld und wegen ihrer Blindheit wie ein zartes Reh, auf das die ganze Stadt aufzupassen scheint; die tatsächlich blinde Jungschauspielerin Ana Mia Loberti schafft es, aus ihr eine wahrhaftige Lichtgestalt zu machen. Werner, gewohnt souverän gespielt vom Deutschen Louis Hofmann, kann sich trotz eines jahrelangen Nazi-Drills noch das Herz eines Jungen bewahren, der von Natur aus sensibel und gutartig ist, aber früh lernen musste, Feinde zu bekämpfen, bevor sie ihm etwas anhaben können – Hofmann nimmt man diese Figur in jedem Blick und jedem Satz ab. Mark Ruffalo als liebender Vater wirkt mitunter so überhöht wie ein Heiliger, füllt den Part aber mit Charme aus, und Hugh Laurie als am Leben verzweifelnder Etienne erinnert an einen weisen, aber desillusionierten Mentor à la Dumbledore aus "Harry Potter".

Große Bilder, holprige Erzählung

Doerr im Roman und Levy in der Serie lassen all diese Charaktere immer wieder im Guten wie im Bösen Märchenhaftes erleben, festgemacht an von Rumpels Jagd nach dem Juwel, Maries beginnendem Engagement für die Résistance sowie Werners Zerrissenheit zwischen seinen Pflichten als Teil des deutschen Kriegsapparats und seinem Widerwillen dagegen. Dabei setzen die Macher Wahrscheinlichkeiten und Logik zugunsten von erzählerischer Magie immer wieder außer Kraft. Levy taucht diese Momente in edle Bilder, lässt die großen Gefühle im Finale inmitten einer brennenden Stadt los, die kurz vor der Eroberung durch die US-Truppen steht. Erst in diesem Moment beherrscht der Krieg wirklich die Szenerie, wird das Märchen mit der Realität konfrontiert. Und siegt.

Dennoch sind Levys Inszenierung und Knights Drehbuch dramaturgisch nicht immer sicher. Nicht jede Szene entwickelt die Spannung, die eigentlich in ihr angelegt ist, nicht jeder Dialog überzeugt. Vor allem die zahlreichen Rückblenden, die dem Publikum zeigen, welchen harten Weg Prinz und Prinzessin schon zurückgelegt hatten, bevor sie nach St. Malo kamen, sind manchmal holprig und wenig elegant in die Gesamtkonstruktion eingebunden.

Ohne Fehl und Tadel ist hingegen die hinreißende Musik, die Hollywood-Altmeister James Newton Howard beigetragen hat und die manche nicht wirklich gelungene Szene noch in einen starken Moment verwandelt. In ihren schwächsten Szenen hat „Alles Licht, das wir nicht sehen“ diese Hilfe auch bitter nötig, um Klischees und Kitsch zurückzudrängen. In ihren stärksten hingegen erzeugt Levy pure, zeitlose Kinomagie.

Kommentar verfassen

Kommentieren