Ernstfall - Regieren am Limit

Dokumentarfilm | Deutschland 2023 | 75 Minuten

Regie: Stephan Lamby

Dokumentation über die ersten zwei Jahre der deutschen Ampelkoalition, deren politische Agenda durch den russischen Überfall auf die Ukraine vor unerwartete Aufgaben gestellt wurde. Der Film vermittelt einen manchmal beklemmenden, manchmal aber auch tröstenden Einblick ins Getriebe der Politik, die mit dem Krieg und der Klimakrise mit enormen Herausforderungen umgehen muss. Trotz einer sichtlichen Nähe zu den Spitzenpolitikern wahrt die dokumentarische Reportage doch eine kritische Distanz. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Eco Media
Regie
Stephan Lamby
Buch
Stephan Lamby
Kamera
Knut Muhsik · Erasmus de Grande · Susanne Erler · Martin Groß · Paul Kraneis
Schnitt
Silke Olthoff
Länge
75 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Doku über die ersten beiden Jahre der Ampelkoalition, die durch den russischen Überfall auf die Ukraine und die Klimakrise vor extreme Herausforderungen gestellt wurde.

Diskussion

Der Dokumentarist Stephan Lamby ist ein Mensch der eher leisen Töne. Er lässt sein Gegenüber ausreden, auch mal länger nachdenken, ohne gleich unwirsch nachzuhaken. Krass-konfrontativ ist so ziemlich das Gegenteil seines Interview-Stils. Das war schon immer so. 1998 entlockte er Hannelore Kohl in „Leben im Kanzlerbungalow“ plötzlich echte Emotionen unter der Betonfrisur.

Exakt 25 Jahre später sieht Lambys Hauptprotagonist deutlich kurzgeschorener aus. Olaf Scholz ist Kanzler einer Ampelkoalition, die zumindest laut der veröffentlichten Wahrnehmung oft ausfällt und dann nur noch gelb blinkt. „Ernstfall - Regieren am Limit“ bietet einen manchmal beklemmenden, manchmal tröstlichen Einblick in die Macht, aber vor allem auch die Ohnmacht der vermeintlich so Mächtigen.

Denn die eigenwilligen Manöver der FDP sind nichts gegen das, was noch ganz anders gekommen ist, seit Lamby 2022 eigentlich nur eine Fortsetzung seines Films „Wege zur Macht“ drehen wollte. 2020 hatte er die damaligen Kandidaten Armin Laschet (CDU), Annalena Baerbock (Grüne) und Olaf Scholz (SPD) durchs Land begleitet. Als Scholz Kanzler der ersten Dreierkoalition in der jüngeren Geschichte Deutschlands wurde, entstand die Idee, weiterzumachen.

Zermürbendes Warten auf den Krieg

Das Klima als die große Herausforderung der Gegenwart sollte im Zentrum des neuen Films stehen. Doch am 27. Februar 2022 passierte mit dem russischen Überfall auf die Ukraine die Zeitenwende. Lamby ist im Bundestag dabei, als über etwas eigentlich Undenkbares debattiert wird, nachdem Putins Armee wenige Tage zuvor in die Ukraine einmarschiert war.

Lamby erzählt auch von den Wochen davor, der zermürbenden Diplomatie, die den Krieg noch zu verhindern suchte. Man sieht Scholz und Putin am absurd langen Kreml-Tisch, einen sichtlich frustrierten, aber auch beklommenen Kanzler. Das geht unter die Haut, gerade weil es echt ist. So echt, wie es bei durch jahrelangen Polit-Einsatz gestählten Protagonisten sein kann.

Annalena Baerbock merkt man an, dass sie noch nicht so lange dabei ist. Christian Lindner (FDP) kann hingegen mehrere Rollen gleichzeitig spielen und für und gegen die Ampel agieren, um das Profil seiner Partei zu schärfen, die gerade wieder in mehreren Landtagswahlen abgeschmiert ist. Robert Habeck (Grüne) reflektiert offen und ist dann wieder verschlossen. Müde und abgekämpft sind sie zwischendurch alle. Selten war das Spitzenpersonal der Bundesrepublik so zerzaust-ehrlich zu sehen. Auch wenn der Titel etwas reißerisch wirkt, löst er in solchen Momenten sein Versprechen voll ein.

„Ernstfall – Regieren am Limit“ ist dabei nie voyeuristisch oder ergeht sich in wohligem Weltuntergangsgrusel. Dazu ist die Lage zu ernst, und das Publikum mittendrin. Nicht nur wegen des Ukraine-Kriegs, wie die immer wieder dazwischengeschnittenen Aufnahmen von Klimaprotesten der „Letzten Generation“ klarmachen. So nahe dran war Fernsehen selten.

Nähe zu den Protagonisten

Der Film schlägt einen Bogen von Scholz’ großer Rede zur Zeitenwende bis zum Heizungsgesetz im Jahr 2023, das gezielt an die Presse durchgestochen und damit vorerst zum Entgleisen gebracht wird. Wenn Christian Lindner treuherzig in die Kamera sagt, er könne ausschließen, dass das mit seiner Partei zu tun habe, wird der Film sogar ausgesprochen heiter. Dennoch hätte er ein ziemlich depressives Unterfangen werden können – oder angesichts der Weltlage vielleicht sogar werden müssen.

Doch die Nähe, die Lamby herstellt – oder zumindest suggeriert, feit ihn davor. Selbst Olaf Scholz menschelt zuweilen. Wenn er und Lamby im Regierungsflieger auf einer Bank längs der Bordwand sitzen, sieht man: Da sitzen zwei, die gerade auch nicht weiterwissen. Der eine muss aber, weil er Kanzler ist. Und der andere, weil Journalist, darf auch noch harte Fragen stellen. Dass macht Lamby wiederum so behutsam, dass die Nähe nicht verloren – aber auch nie zu weit geht.

„Ich war nicht embedded, es gab keine Bedingungen“, sagte Lamby zur Frage nach der Eingemeindung durch Nähe: „Bei Entscheidungen war ich nicht dabei. Das sollen die selbst machen.“ Doch unmittelbar davor und danach sind die Kamera und die leisen, klugen Fragen von Lamby wieder da.

Ist „Ernstfall – Regieren am Limit“ kritisch genug angesichts der aktuellen Lage? Die Bundesregierung kann mit dem Film ziemlich zufrieden sein, vielleicht mit ein paar Abstrichen aufseiten der FDP. Nein, heftige Kritik oder entsprechende Kommentierungen gibt es hier kaum. Das ist aber auch schlicht nicht Lambys Art.

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