Das letzte weiße Nashorn

Dokumentarfilm | USA/Kenia 2019 | 81 Minuten

Regie: David Hambridge

Zwei junge kenianische Tierpfleger übernehmen in einem Reservat die Sorge für die letzten Nördlichen Breitmaulnashörner, insbesondere für Sudan, den letzten lebenden männlichen Vertreter seiner Spezies. Das bevorstehende Aussterben der Tierart wird zur Herausforderung ihrer ersten Arbeitsjahre. Atmosphärisch stark und mit kaum verhohlener Melancholie erzählt der Dokumentarfilm einfühlsam vom Schicksal der Tiere und ihrer Pfleger. Hohe, dem Thema aber angemessene Emotionalität ergibt sich aus dem Bewusstsein um den unwiederbringlichen Verlust der Weißen Nashörner, aus dem nur dezent die Hoffnung abgeleitet wird, zukünftige Menschen-Generationen möchten sich klüger verhalten. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
KIFARU
Produktionsland
USA/Kenia
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
VS Goliath Visual
Regie
David Hambridge
Buch
David Hambridge
Kamera
David Hambridge
Musik
Kevin Matley
Schnitt
Andrew H. Brown · David Hambridge · Jesse Paddock
Länge
81 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm | Tierfilm
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IMDb

Ein Dokumentarfilm über zwei junge Tierpfleger in Kenia, die sich in ihren ersten Arbeitsjahren um die letzten drei noch lebenden Nördlichen Breitmaulnashörner kümmern.

Diskussion

Ein Sonnenaufgang im Schatten des Mount-Kenya-Massivs: Zwei Ranger mit blauen Plastikeimern locken Nashörner an, die sofort heranzuckeln, um sich genüsslich dem Inhalt der Eimer zu widmen: Hauptsächlich Karotten sind darin, offenbar ein Festmahl für die drei Breitmaulnashörner – die letzten ihrer Art. Die beiden Männer, James und Jojo, erzählen von ihrem Job. James sagt, er würde oft gefragt werden, wie es so weit kommen konnte. Und warum sie alle so viel für eine Sache tun würden, die so hoffnungslos erscheint. Als Ranger mit dem Schwerpunkt Nashornpflege gibt es für sie weder viel Geld noch viel Ansehen – sie ziehen ihre Motivation vor allem aus der Verbundenheit mit der Natur und aus der Verantwortung, die daraus für sie erwächst. „Na los, geht spielen!“, ruft er, nachdem die Tiere ihr Mahl beendet haben.

Die letzten Nashörner müssen ständig bewacht werden

„Wir sind die letzten Menschen, die mit diesen Tieren arbeiten“, sagt Jojo. Der junge Mann hat hier einen guten, aber nicht ungefährlichen Job gefunden. Wenn sie mit den Tieren im Busch und im Nationalpark unterwegs sind, dann nur gut bewaffnet und in Begleitung von Soldaten. Die letzten Nashörner müssen ständig bewacht werden, denn noch immer gibt es Wilderer, die es auf sie abgesehen haben. Das Horn der Nashörner, noch mehr als das Elfenbein der Elefanten, ist wegen seiner angeblich potenzsteigernden und heilenden Wirkung nach wie vor besonders in Asien gefragt. Für die von Bürgerkriegen und Armut geplagten Menschen im südlichen Afrika eine große Versuchung, der viele nicht widerstehen können – und mit furchtbaren Folgen. Denn jedes Tier hat im Ökosystem seinen Platz, und wenn eines fehlt, dann verändert sich die Natur und damit das Leben auf der Welt. Für alle.

Eigentlich entspricht der Filmtitel „Das letzte weiße Nashorn“ nicht der Realität, denn zu Beginn des Films leben noch drei weiße Nashörner im Ol-Pejeta-Reservat zu Füßen des Mount-Kenya-Massivs: das alte Männchen Sudan, Jahrgang 1973, seine Tochter Najin und seine Enkelin Fatu. Lediglich Sudan wurde in freier Wildbahn geboren. Den größten Teil seines Lebens verbrachte er in einem Zoo im heutigen Tschechien, wo auch Najin und Fatu zur Welt kamen. Die große Hoffnung, dass sich die weißen Nashörner in Freiheit vermehren würden, blieb unerfüllt, und ohne einen Bullen kann es auf natürlichem Wege keinen Nachwuchs geben. Daher kann nur mit Hilfe der Reproduktionsmedizin das Fortbestehen der Art möglicherweise gesichert werden. Ein Wettlauf gegen die Zeit, denn auch die jüngere Fatu ist bereits über 20 Jahre alt. Doch diese Fakten werden im Film kaum thematisiert.

Von den Rangern erzählt

Der beobachtende Dokumentarfilm begleitet vielmehr die Ranger und die Nashörner über einen Zeitraum von mehreren Jahren. Die Nashörner stehen dabei nur scheinbar im Mittelpunkt, denn Regisseur David Hambridge lässt den Film von den Rangern selbst erzählen, die im Camp Ol Peyeta wie eine große Familie zusammenleben, obwohl sie verschiedenen Religionen und verschiedenen Stämmen angehören. Da wird auch mal ein Billardturnier veranstaltet, das mit einer vergnügten Party am Lagerfeuer endet.

„Niemand kommt hier im Busch allein zurecht – wir brauchen einander“, sagt einer und meint damit nicht nur die Menschen, sondern auch die Tiere und das Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Er zeigt, wie Jojo ein mutterloses Spitzmaul-Nashornbaby mit der Flasche aufzieht – und es trotz aller guten Pflege ein paar Monate später stirbt. Und er zeigt, wie der alte Nashornbulle Sudan von Jahr zu Jahr schwächer wird und schließlich eingeschläfert werden muss. Die Ranger kämpfen mit den Tränen und wischen sie mit dem Hemdsärmel ab, als Sudans schwere Atemzüge erlöschen.

Jojo wird zum wichtigsten Protagonisten und gleichsam zum Gegenentwurf der traurigen Geschichte von Sudan und den Weißen Nashörnern. David Hambridge begleitet Jojo nach Hause zu seiner Familie und zu seiner schwangeren Frau, die später ein kleines Mädchen zur Welt bringt. An ihrem 1. Geburtstag feiert die Kamera mit, und sie ist auch dabei, als Jojo mit seiner Tochter zum ersten Mal in den Nationalpark fährt und ihr die wilden Tiere vorstellt. Diese kleine Nebengeschichte hat etwas Rührendes, denn alle Versuche, eine halbwegs überzeugende optimistische Grundhaltung zu etablieren, werden immer wieder von der rauen Wirklichkeit eingeholt und demontiert. Jojos Tochter wird den alten Sudan und das Nashornbaby Ringo niemals kennenlernen, aber ein kleines bisschen Hoffnung bleibt doch. Vielleicht, so sagt der Film, und das hoffen auch die Ranger, wird die Jugend eines Tages klüger handeln als die vorangegangenen Generationen. Aber es sieht nicht gut aus, weder für die Natur noch für die Menschheit.

Eine ganz leise Hoffnung

Trotz der vorherrschenden melancholischen Grundstimmung hat der Film aber nichts Depressives. Die Bilder zeigen nicht nur die Schönheit der vielfältigen kenianischen Landschaft, sondern auch den Alltag im Ranger-Camp. Der Soundtrack ist zwar manchmal etwas sehr sentimental und wirkt dank der gelegentlich heftig schluchzenden Streicher und den elektronischen Schuhu-Stimmen im Hintergrund auch schon mal übertrieben, aber irgendwie passt das alles sehr gut zusammen: die Trauer um das, was unwiederbringlich verloren ist, und die ganz leise Hoffnung, dass es doch noch eine Rettung für die Weißen Nashörner und vielleicht sogar für die Menschen gibt.

Doch David Hambridge verzichtet auf einen Appell ebenso wie auf Anklagen oder einen emotionalen Schluss – einen feurigen Sonnenuntergang mit Nashörnern und klagenden Violinen gibt es nicht. Stattdessen steht am Ende des Films, der 2019 fertiggestellt wurde, ein Insert mit dem nüchternen Hinweis, dass es in 10 Jahren keine wildlebenden Nashörner mehr geben wird, wenn die Ausrottung in diesem Tempo weitergeht. Fünf Jahre sind seitdem schon vergangen.

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