Dario Argento, am 7. September 1940 in Rom geboren, ist als prägender Filmemacher des italienischen Giallo-Genres einer der Wegbereiter des modernen Horror- und Slasherkinos; seine Filme werden von den einen wegen ihrer schieren Lust an Exzess kultisch verehrt, von den anderen wegen ihres Sexismus verabscheut – kalt lassen sie wohl niemanden. Eine Wiederbegegnung mit Argentos blutigem Kino der Attraktionen zum 80. Geburtstag.
Dario Argento ist ein Grund, das Kino zu lieben oder zu hassen. Seine Filme bewegen sich in Zwischenbereichen der Wahrnehmung. Sie berühren die kühnsten Begierden, frivolsten Perversionen und schaurigsten Ängste. Der am 7. September 1940 in Rom geborene Filmemacher ist nicht das, was in bürgerlichen Kreisen als guter Filmemacher gilt. Seine Erzählungen sind holprig, seine Schnitte irritierend, das Schauspiel wirkt oft wie Puppentheater. Das, was in Argentos Filmen sofort als sinnliche Faszination erkennbar ist, hat mit Momenten, Farben, Räumen, Nahaufnahmen und halluzinativen Überdrehungen zu tun.
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Ein voyeuristisches Treiben zwischen „Ich will das nicht sehen!“ und „Ich will das sehen!“ flirrt durch seine Filme, sodass es immer noch einen weiteren Blick gibt, den man wagen will. Alles wirkt billig und vulgär, aber gleichzeitig durchdacht und reich an doppelten Böden. Das Kino wird als Maschine verstanden, die durch Effekte auf der Netzhaut bis tief ins Unterbewusstsein vorzudringen trachtet. Als ein Albtraum- und Begehrensapparat erbaut von Männern (und größtenteils für Männer) hat das Kino in Argento einen seiner niederschwelligsten und gleichzeitig virtuosesten Architekten gefunden.
Nicht was passiert, sondern wie es passiert
Argento ist vielleicht das Aushängeschild des fantastischen Films. Daran haben auch seine jüngsten Verfehlungen à la „Dracula 3D“ oder „Giallo“ nichts geändert. Seine Arbeit im Bereich von Horror und Giallo hat insbesondere in den 1970er und 80er Jahren Maßstäbe gesetzt. „Suspiria“ ist sein populärster Film und gilt selbst bei Horrorverweigerern als Klassiker. Das liegt vielleicht auch daran, dass der übernatürliche Thriller wie kaum ein Zweiter die Mechanismen dieses Kinos offenlegt.
Das betrifft die visuellen Reize des Films, den unstillbaren Geschmack am Exzess, der auch im barocken und doch futuristischen Szenenbild keine Grenzen kennt. Wenn es eine Schwelle des Geschmacks gibt, bewegt sich Argento mit süffisanter Sicherheit über sie hinweg. Die Dialoge sind hanebüchen und vogelwild, die Handlungen nur mühsamer Ballast vor dem nächsten Angstgefühl, dem nächsten Mord. Selten geht es um das, was passiert, es geht vor allem darum, wie es passiert. Oft weiß oder erahnt man zu Beginn einer Szene, worauf es hinauslaufen soll (meist Mord) und dann sieht man dem Filmemacher dabei zu wie, er es doch ganz anders, noch abartiger, noch schöner löst. Es ist ein Kino der Attraktionen.
Angstlust-Fantasien
Denn das Schöne und Grauenvolle wollen zusammenbleiben bei Argento. Mit dem kalten Schauer kommt zugleich ein perfektes, beinahe friedliches Bild. Man muss damit umgehen, dass diese Morde nicht wirklich wehtun, sondern eine Art Befriedigung bringen. Trotz der Angst gibt es eine Art Verbundenheit mit der Gewalt. Das ist alles andere als unproblematisch. Man könnte von Katharsis sprechen, aber dann müsste man davon ausgehen, dass die Zuschauer schon per se eine womöglich versteckte Gewalt (insbesondere gegen Frauen) in sich tragen. Die seelische Reinigung ist kein Argument in Angesicht der puren Lust, mit der die Gewalt inszeniert wird.
Nein, dieses Kino gehorcht trotz der poetischen Dimensionen, die durchaus an Filme von Jean Cocteau erinnern, zu sehr den Verführungsstrategien der dominanten Medien. Eigentlich zwingen einen Argentos Filme unentwegt hinzusehen. Sie funktionieren wie Werbung, nur nicht für ein Produkt sondern für ein Gefühl. Das subversive Paradox ist, dass dieses Gefühl ein Unwohlsein ist, dass sich in Befriedigung verkehrt. Es kann aber durchaus passieren, dass man sich auch nach dem Sehen der Filme unwohl fühlt. Dann nämlich, wenn man genug gesehen hat von schreienden Frauen, auf die Blut tropft.
Das Rot von Blut und Lippenstift
Alles bei Argento ist ein Fetisch. Die puppengleichen Frauen, die immer wieder so aussehen wie Barbies oder Covergirls von katholischen Erziehungsheften, die von Neonlichtern durchleuchteten, verwinkelten Hinterzimmer und Geheimlabyrinthe, die Hände (zärtlich oder tödlich, oft beides) mit oder ohne Handschuhe, das Rot von Blut und Lippenstift, die Musik, der Hall, den er gern unter seine Tonebene mischt…die Liste ließe sich lange fortführen. Auch wenn er den Giallo nicht erfunden hat, hat er ihn doch salonfähig für ein breiteres Publikum gemacht.
Argento zu lieben, bedeutet Teil einer Gesellschaft zu werden. In dieser Gesellschaft, die bis heute in einen durchaus lukrativen Kult um den Maestro betreibt, wird die Eleganz seiner Filme genauso gewürdigt wie ihre Lächerlichkeit. Es geht um die Freude am Lichtspiel. Die aalglatten Schocker des jüngeren amerikanischen Kinos werden dabei genauso abwertend betrachtet wie das im Vergleich angeblich saft- und freudenlose Kunstkino, dem man heute auf Festivals begegnet. Argento steht trotz seiner immensen Popularität in enger Verbindung mit einer Subversivität, die das Kino als verbotenen Ort rehabilitiert.
Das Odeur deodorantverseuchter Umkleidekabinen
In seinen Bildern verharrt eine pubertäre Verzauberung, die das Odeur von deodorantverseuchten Jungenumkleidekabinen versprüht. Ein Kino, das Misogynie und Sexismus in ein Spiel verkehrt, ein Spiel mit den Erwartungen auf der einen, ein zuzwinkerndes Meta-Gestrotze auf der anderen Seite. Den Gipfel erreicht dieses Spiel in „Tenebrae“, als ein Schriftsteller von einer lesbischen Kritikerin des Sexismus bezichtig wird. Die ironische Inszenierung des Filmemachers verbindet sich mit der abwertenden Haltung des Autoren im Film. Unabhängig davon, ob man die geäußerte Kritik auch auf das Werk Argentos umlegen würde, zeigt eine solche Szene, dass es in seinen Filmen trotz durchaus angelegter Ambivalenzen weniger um einen Dialog als um Überzeugungsarbeit geht.
Insbesondere Argentos frühen Filme wie „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“ oder „Rosso - Farbe des Todes“ erzählen auch immer vom Kino, den Mechanismen von Zeit und Raum und den Blicken, die alles entscheiden. In „Inferno“ wird dem Protagonisten beinahe die Seele aus dem Leib gezogen als er durch einen Luftschacht späht, der nicht ganz überraschend aussieht wie eine Kamera.
Es geht immer auch um das, was man nicht sieht
Technologisch ist Argento immer mit der Zeit gegangen. So setzte er beispielsweise in „Vier Fliegen auf grauem Samt“ eine Kamera ein, die einen Unfall in ein visuelles Spektakel verwandelt. Wiederholt interessiert er sich für extravagante Kamerafahrten, Top-Shots und Kadrierungen, die Räume aus den Angeln heben. Ganz der Logik von Furcht gehorchend, geht es bei Argento auch immer um das, was man nicht sieht. Die Verbrecher lauern im Schatten, ihre Gesichter bleiben lange im Dunkeln, ihre Identität ungewiss. Überraschende Nahaufnahmen auf Löcher in der Wand, Glasscherben oder die Augen von Tieren verunsichern den Blick weiter. Wiederholt setzt er Kamerafahrten ein, die aus einer subjektiven Perspektive auf die Welt blicken. Dabei kann es sich um diejenige der Mörder oder der Opfer handeln – wichtig ist, dass man von einer Bewegung durch den Raum beunruhigt wird.
Das Böse ist kein natürlicher Aspekt des Lebens bei Argento. Es verbirgt sich vielmehr an jenen Orten, die eigentlich verdrängt werden wollen, und scheint dann doch hervor hinter den Vorhängen, als leuchtendes Augenpaar aus dem Schwarz der Nacht, am Ende labyrinthischer Korridore oder in den vielen verwunschenen Häusern seiner Filme. Die diabolischen Machenschaften einer verborgenen Welt sind psychoanalytisch oder gar katholisch überhöht. Im Werk Argentos gibt es eine tief verwurzelte, nie wirklich ausformulierte Angst vor dem Abgrund, der Hölle. Der Tod ist allgegenwärtig, er wird begleitet vom Donnergrummeln aus der Blechkonserve; man kann hören, wenn ein Gewitter aus dem Nichts heraufzieht, es klingt immer gleich von Film zu Film. Die Blitze sind Lichteffekte, so wie alles ein Effekt ist.
Ganz große Oper
Das liegt auch daran, dass Argento im Herzen ein Opernregisseur ist. „Terror in der Oper“ ist auch eine Liebeserklärung an diese Kunstform und ihre musikalische Theatralik. Im Film wird Giuseppe Verdis „Macbeth“ aufgeführt. Jahre später sollte Argento eben jenes Stück selbst an der Oper in Novara inszenieren. Opernexperten versichern, dass es kein besonders gelungener Ausflug des Filmregisseurs war. Manche Filmexperten würden das aber auch über seine Filme sagen. Die finale Sequenz in „Inferno“ zeugt von der Wichtigkeit der Musik im Werk von Argento. Als würde jemand mit einem Ghettoblaster im Kino stehen und entscheiden, dass die Musik nun beginnen müsse und der Film dann schon folgen würde, setzt plötzlich ein treibender Beat von Progressive-Rock-Legende Keith Emerson ein. Mit der Musik bewegt sich alles schneller, die Figuren rennen, die Schnitte purzeln nur so ein auf die Zuschauer.
Argentos Filme muss man laut anschauen. Sie sind für das Kino gemacht. Umso paradoxer, dass ihr Ruhm gerade nicht auf dem Kino basiert. Die bisweilen zensierten, indexierten und zerschnittenen Versionen brachten ein Stigma, aber auch eine Verlockung des Verbotenen mit sich. VHS-Kassetten und später DVDs hievten Argento in den Olymp der Nerds. Sie sind es auch, die ihn heute vergöttern, vielleicht auch, weil er mit seinen Filmen eine spirituelle Ebene bedient, die den lächerlichen Gesichtern des Bösen und Widerwärtigen, denen man im täglichen Diskurs begegnet, eine transzendentale Ebene entgegenstellt.
Schwarze Magie
Man kann einen Vergleich mit „Tief unten“ von Joris-Karl Huysmans wagen. Im Roman erzählt der französische Schriftsteller von einem dekadenten Literaten Ende des 19. Jahrhunderts, der sich erhofft, durch Satanismus eine Art Erlösung oder zumindest etwas Inspiration zu finden. Das klingt bereits fast wie ein Plot von Argento. Die Faszination und auch Hoffnung, die im 19. Jahrhundert an das Okkulte und Perverse gerichtet wurde, findet ein Pendant in diesem Filmemacher. Nicht umsonst basiert die Trilogie „Suspiria“, „Inferno“ und „La terza madre“ lose auf Thomas De Quinceys Buch „Suspiria de Profundis“ (1845).
Neben dieser Spiritualität und der Kombination der Farben Rot und Blau ist die Bedeutung von Argento für das Kino weniger an dem zu messen, was seine Filme über Menschen erzählen, als über das, was sie in Menschen auslösen. Bis heute entfalten Screenings von Argento-Filmen eine beinahe magische Wirkung, und so vollführt sich eine Transformation, in der die Filme von menschlichen Niederungen erzählen, um für zwei Stunden den Raum vor der Leinwand in einen utopischen Ort zu verwandeln. Ein Ort, der anderen Regeln gehorcht und der sich in diesem Fall weniger über das definiert, was er über die Welt sagt, als über das, was er nicht über die Welt sagen muss.
Dario Argento im Heimkino
Viele Filme von Dario Argento sind beim Label Centurio in einer „Dario Argento Collection“-Reihe auf DVD/BD erschienen, u.a. „Suspiria“, „Tenebre“ und „Deep Red“. Auch das Label Koch Media bietet Filme von Argento als DVD/BD an, etwa ein üppig mit Bonusmaterialien ausgestattetes Mediabook zu „Terror in der Oper“ (als "Dario Argentos Opera"); aber auch "Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe", "Vier Fliegen auf grauem Samt" und "Dario Argentos Dracula" sind bei Koch Media erschienen. Viele der Filme, etwa „Terror in der Oper“ (als „Dario Argentos Opera“), „Die neunschwänzige Katze“, „Giallo“, „Vier Fliegen auf grauem Samt“, „Suspiria“ und „Dario Argentos Dracula“ sind überdies via Amazon Prime oder anderen Streamingplattformen digital verfügbar.