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Cool & voller Selbstironie - Michael Caine

Eine Hommage zum 90. Geburtstag des britischen Schauspielers Michael Caine

Veröffentlicht am
29. März 2023
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Wenige britische Schauspieler haben einen so ikonischen Status wie Michael Caine. Seit seinem Durchbruch in den 1960er-Jahren hat der aus der Arbeiterklasse stammende Darsteller zahllose Rollen verkörpert, vom Normalo-Spion Harry Palmer über unmoralische Casanovas und grimmige Gangster bis zu leisen Altersauftritten. Seine Markenzeichen sind eine ureigene Coolness und Ironie, die ihn auch im Leben neben der Leinwand auszeichnen. Eine Würdigung zum 90. Geburtstag.


„Tony Curtis rettete mir das Leben.“ Michael Caine weiß, wie man eine Geschichte erzählt, und so erwies er sich nach der Uraufführung der restaurierten Fassung von „Mord mit kleinen Fehlern“ bei der Viennale 2012 als genialer Unterhalter, der ganz ohne Allüren wundervolle Anekdoten aus seinem Leben verriet. Tony Curtis habe ihm Anfang der 1960er-Jahre bei einem zufälligen Treffen in einer Hollywood-Bar kurzerhand das Rauchen verboten. Michael Caine gehorchte – und bekam keinen Lungenkrebs. Auch der Rat von John Wayne sei ihm bei seiner Karriere nützlich gewesen: „Merk dir drei Dinge: Sprich mit tiefer Stimme. Sprich langsam. Und sprich nicht zu viel.“ Anekdoten, die man auch in Caines Buch „Die verdammten Türen sprengen und andere Lebenslektionen“ (2019) nachlesen kann, das mehr ein Ratgeber denn eine Biografie ist. Mit britischer Coolness und ironischem Understatement beschreibt Michael Caine darin seinen Weg aus einem Londoner Arbeiterviertel bis nach Hollywood. Und es ist genau diese Coolness, die Michael Caine zu einer Ikone nicht nur der britischen Popkultur, sondern auch des Weltkinos erhob.


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Längst ist Caine zur Institution geworden, die Generationen verbindet. Ältere Cineasten kennen seine Anfänge mit „Ipcress – Streng geheim“ (1965), „Der Verführer lässt schön grüßen“ (1966) und „Charlie staubt Millionen ab“ (1969). Doch auch jüngere Kinogänger haben ihn seit „Batman Begins“ (2005) als Alfred Pennyworth, den Butler von Bruce Wayne, in guter Erinnerung. Ein gelassener Berater, der immer im rechten Moment zur Stelle ist und das Richtige sagt. Michael Caine ist cool, so wie Clint Eastwood cool ist, und diese Unaufgeregtheit hat er sich über die Jahre hart erarbeitet. Gut möglich auch, dass sich ein Schauspieler wie Ryan Gosling für seine Darstellung in „Drive“, „The Ides of March – Tage des Verrats“ (beide 2011) und „The Place Beyond the Pines“ (2012) von Michael Caine hat beeinflussen lassen – calm, cool and collected.

Als Harry Palmer in „Finale in Berlin“ (© Paramount)
Michael Caine als Harry Palmer in „Finale in Berlin“ (© Paramount)

Die Identität der Arbeiterklasse

Michael Caine wird am 14. März 1933 im Londoner Stadtteil Southwark als Maurice Joseph Micklewhite geboren. Kein Name für das Filmgeschäft, und so änderte er ihn – „Die Caine war ihr Schicksal“ mit Humphrey Bogart stand Pate. Seine Mutter war Putzfrau, sein Vater arbeitete auf dem Fischmarkt in Billingsgate. Caine ist also ein Arbeiterkind – eine Identität, die ihn prägt, ähnlich wie Sean Connery oder Albert Finney. Mit 15 Jahren verlässt er die Schule und tritt in Amateurstücken auf. Nach seinem Militärdienst in Korea und Deutschland übernimmt er kleinere Parts in Provinztheatern und im britischen Fernsehen. Mit dem Antikriegsstück „The Long, the Short, and the Tall“ hat er 1959 großen Erfolg. Zuvor gibt er mit „An vorderster Front“ (1956) sein Spielfilmdebüt.

Es dauert ein wenig, bis seine Karriere Fahrt aufnimmt. Doch einmal in Schwung, mag Caine gar nicht mehr aufhören. 177 Filme, darunter auch Episoden für Fernsehserien oder Synchronisationen für Animationsfilme, listet die Internet Movie Database auf, und das ist eine ganze Menge. „Ich war von Beruf Schauspieler und musste meinen Lebensunterhalt verdienen“, so Caine pragmatisch. Nicht alle Filme sind gut, manche sogar ziemlich lausig wie „Der weiße Hai – Die Abrechnung“ (1987). Doch das ist nicht Caines Schuld. Mit seiner Selbstironie und der uneitlen Selbstverständlichkeit seines Spiels lässt er die schlechte Qualität eines Films schnell vergessen. Caine selbst gönnt sich Zufriedenheit: „Mit dem Geld, dass ich für meine Rolle in diesem furchtbaren Film bekam, habe ich meiner Mutter ein schöneres, größeres Haus gekauft.“ Auch den Zeitungsartikel, der seine 15 schlechtesten Filme ausführlich vorstellte, nimmt er mit Humor.

Bei „Ipcress – Streng geheim“, 1965 von Sidney J. Furie inszeniert, steht Caines Name zum ersten Mal über dem Titel. „If I don’t think you’re a star, who the hell else will?“, soll Produzent Harry Saltzman zu dieser Entscheidung gesagt haben. Caine spielt hier die Kult-Figur des Harry Palmer, eines in Berlin stationierten Sergeanten der britischen Armee, der wegen seiner Schwarzmarktgeschäfte genötigt wird, sich als Spion zu verdingen. Als ein Wissenschaftler mit einer hochgeheimen Akte verschwindet, wird Palmer auf den Fall angesetzt. Es geht um ein mysteriöses Tonband, beschriftet mit „Ipcress“, und gerade, als alles aufgeklärt werden könnte, wird noch ein Agent ermordet, und Palmer muss eine hundsgemeine Folter über sich ergehen lassen.

Verantwortungsloser Casanova mit Selbstironie in „Der Verführer lässt schon grüßen“ (© IMAGO / Allstar)
Verantwortungsloser Casanova mit Selbstironie in „Der Verführer lässt schon grüßen“ (© IMAGO / Allstar)

Ein Spion als normaler Kerl mit Brille

Harry Saltzman ist natürlich vor allem als Co-Produzent der „James Bond“-Filme bekannt, und vielleicht hatte er so etwas wie einen neuen 007-Konkurrenten auf Augenhöhe im Sinn. Doch Harry Palmer ist alles andere als ein Superheld. Vielmehr ist er ein normaler Kerl mit Brille, der sich ohne viel Anstrengung durchs Leben schlägt. Dummerweise verlangt die Arbeit als Spion aber sehr viel Disziplin, Kondition und Papierkram. Von inspirierten Eingebungen, aufregenden Frauenbekanntschaften und glamourösen Abenteurern keine Spur. Caine erliegt darum nicht der Versuchung, die Geschehnisse unnötig aufzupeppen, im Gegenteil: Sein stetes Unterspielen trägt wesentlich zur Faszination des Films bei. Zwei weitere „Harry Palmers“ folgen, „Finale in Berlin“ (1966) und „Das Milliarden-Dollar-Gehirn“ (1967). Doch sie sind – obwohl wieder mit Caine – nicht mehr so aufregend und unterhaltsam.

Dann 1966 der Film, der auf immer mit Michael Caine verbunden sein wird: „Der Verführer lässt schön grüßen“, besser bekannt unter seinen Originaltitel „Alfie“, für den er erstmals als bester Hauptdarsteller für den „Oscar“ nominiert war. Er spielt einen verantwortungslosen Playboy ohne Rückgrat oder Zukunft, der gedankenlos durch die Betten mehrerer Frauen, von Shelley Winters bis Vivien Merchant, turnt. Letztere spielt die Frau eines Freundes, die dummerweise von Alfie schwanger wird und eine Abtreibung über sich ergehen lassen muss. „What’s it all about, Alfie?“, muss sich der Casanova in einem Song, von Cher gesungen, fragen lassen, und all das wäre sicher unerträglich, würde Michael Caine die Zuschauer nicht mit offenen und witzigen Bekenntnissen, direkt in die Kamera gesprochen, unterhalten. Caine macht das überaus überzeugend, er bringt einen ganz eigenen, sardonischen und humorvollen Charme in den Film ein.


Antihelden und teuflische Fallen

1969 ist Michael Caine in „Ein dreckiger Haufen“ von André de Toth als unerfahrener britischer Offizier zu sehen, der im Zweiten Weltkrieg widerwillig eine kleine Einheit von Soldaten auf eine unmögliche Mission schickt: Sie sollen in der Wüste ein Tanklager der Deutschen in die Luft jagen. Caines müdes und ausdrucksloses Gesicht bezeugt seinen Fatalismus, nur in den Streitigkeiten mit Nigel Davenport in der Rolle eines aufrührerischen anderen Soldaten lebt er auf.

Auch die Rolle des gefühllosen Antihelden in „Get Carter“ wird durch Michael Caine zum Kult (© IMAGO / United Archives)
Gefühlloser Antiheld in „Get Carter“ (© IMAGO / United Archives)

Mein Lieblingsfilm mit Michael Caine ist ganz sicher „Get Carter“, den Mike Hodges 1971 inszenierte. Ein grimmiger, gewalttätiger und stilisierter Gangsterfilm, der dem britischen Krimi-Kino eine ordentliche Frischzellenkur verpasste. Caine spielt den Profikiller Jack Carter, der von London nach Newcastle fährt, um den Tod seines Bruders zu rächen. Noch im Zug liest er Raymond Chandlers „Farewell, My Lovely“ – Carter wäre auch gern ein so moralischer, integrer und romantischer Einzelgänger wie Philip Marlowe. Doch in Wahrheit ist er, so wie Caine ihn spielt, ein gefühlloser, entschlossener Antiheld, der sich einem eng umrissenen Ehrenkodex verpflichtet fühlt und zwischen Vergangenheit und Gegenwart gefangen ist. „Jack Carter ist trocken und kalt. Seine Konversation ist minimalistisch, sein Humor bedächtig auf den Punkt gebracht, heftig und kurz seine Gewaltausbrüche. Die Verletzlichkeit und der Selbstzweifel, durch den die Figur erträglich wird, blitzen nur in wenigen Augenblicken durch seine eisige Fassade“, notierte Jörg Gerle anlässlich der Kino-Wiederaufführung des Films im Jahr 2000.

Spaß macht auch „Mord mit kleinen Fehlern“ (1972), den Joseph L. Mankiewicz nach dem gleichnamigen Theaterstück von Anthony Shaffer inszenierte. Über den Inhalt darf man gar nicht so viel verraten, weil hier ständig die Fronten wechseln. Ein von Laurence Olivier gespielter Krimi-Autor will den Liebhaber seiner Frau, nämlich Michael Caine, in eine teuflische Falle locken. Doch wer zuletzt lacht, lacht am besten. Eine wahre Tour de force für zwei große Stars, und Michael Caine ist, entgegen seinen Befürchtungen, Laurence Olivier durchaus ebenbürtig. Beide waren für den „Oscar“ nominiert.


Eine reichhaltige Filmografie

Welche Werke könnte man noch aus Caines reichhaltiger Filmographie auswählen? „Der Mann, der König sein wollte“, 1975 von John Huston gedreht, zeigt ihn und Sean Connery als Abenteurer, die sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Karfiristan zu Königen ausrufen lassen wollen. Während Connery die Aufgabe durchaus ernst nimmt, bleibt Caine der englische Snob und treibt den Film mit seiner Beflissenheit ins Komische. Unvergessen ist natürlich auch seine Rolle als Transvestit und Psychiater in Brian De Palmas „Dressed to Kill (1980). Angetan mit High Heels, blonder Perücke, Sonnenbrille und einem schwarz glänzenden Regenmantel meuchelt er friedliebende Frauen mit einem Rasiermesser. Die Szene, in der er Angie Dickinson urplötzlich im Aufzug anschlitzt, ist reinster Horror.

Zu Michael Caines bekanntesten Altersauftritten zählt sein mitfühlender Arzt in „Gottes Werk & Teufels Beitrag“ (© IMAGO / United Archives)
Mitfühlender Arzt in „Gottes Werk & Teufels Beitrag“ (© IMAGO / United Archives)

In „Rita will es endlich wissen“ (1983) nimmt er als desillusionierter, alkoholsüchtiger Englischprofessor eine wissbegierige Friseurin, gespielt von Julie Walters, unter seine Fittiche und wurde noch einmal für den „Oscar“ nominiert, mit Woody Allens „Hannah und ihre Schwestern“ (1986) konnte er die Trophäe endlich einheimsen, als Hannahs Ehemann, der sich allzu sehr für ihre Schwester interessiert. Köstlich ist Caine auch in Frank Oz’ „Zwei hinreißend verdorbene Schurken“ (1988) als Hochstapler, der sich zunächst mit Steve Martin als hinterlistigem Gauner arrangieren muss. Doch beide finden ihre Meisterin in weiblicher Konkurrenz in Gestalt von Glenne Headly. „The funniest film I ever made – and the happiest“, so der Schauspieler.

Mit zunehmendem Alter spielt Caine nicht mehr den taffen Actionhelden oder den großen Verführer. Seine Rollen werden leiser und vielschichtiger, introvertierter und soignierter. Er hat in Bob Rafelsons „Blood & Wine – Ein tödlicher Cocktail“ (1996) mitgespielt und in Mark Hermans „Little Voice“ (1998), in Fred Schepisis „Letzte Runde – Last Orders“ (2001) und „Der stille Amerikaner“ (2002), dem Remake von „Vier Pfeifen Opium“ (1957), besorgt von Phillip Noyce, nach dem Buch „The Quiet American“ von Graham Greene. Zwischendurch, 1999, natürlich noch Lasse Hallströms „Gottes Werk & Teufels Beitrag“, basierend auf dem Roman von John Irving. Caine spielt hier den exzentrischen Doktor Wilbur Larch, der sich in einem Waisenhaus in Maine, das gleichzeitig als Abtreibungsklinik dient, besonders um den jungen Homer Wells kümmert, weil niemand ihn haben will. Wie Michael Caine seinen Kindern „King Kong“ zeigt oder Geschichten vorliest, wie er ihnen eine gute Nacht wünscht und sie in andere Familien vermittelt – das ist großartig dargestellt. „Michael Caine spielt den Menschenfreund mit überzeugend Leid getrübter Miene, da das Schicksal ihn mit Entscheidungen konfrontiert, die nicht immer nur menschenfreundlich sein können“, schrieb Hans Messias zum Kinostart. Wieder erhielt Caine einen „Oscar“ als bester Nebendarsteller.


Mit der Gravitas des Alters

Während der „Dark Knight“-Trilogie hat er für Christopher Nolan auch in „Prestige – Meister der Magie“ (2006) und „Inception“ (2010) mitgewirkt. Mit „Harry Brown“ von Daniel Barber kehrt Caine 2009 noch einmal zu „Get Carter“ zurück – als Rentner, der den gewaltsamen Tod seines besten Freundes, begangen von einer Jugendgang, rächt. Wie Clint Eastwood in „Gran Torino“ spielt Caine ungemein intensiv und glaubwürdig, mit einer Gravitas, die seinem Alter angemessen ist. Er wandelt sich vom einsamen Trauerkloß zum entschlossenen Rächer – seine Persona als britischer Soldat, der in Nordirland gedient hat, scheint wieder durch.

Nicht zuletzt dank der Butler-Rolle in der „Dark Knight“-Trilogie bleibt Michael Caine auch beim jüngeren Kinopublikum präsent (© IMAGO / Allstar)
Butler-Rolle in der „Dark Knight“-Trilogie (© IMAGO / Allstar)

Eine Rolle folgt auf die andere, Caine mag einfach nicht aufhören mit der Schauspielerei. „Wann also soll ich in Ruhestand gehen? Wie wäre es mit nie? Warum sollte ich mich zur Ruhe setzen, wenn ich weiter Geld dafür bekomme, das zu tun, was ich liebe?“, fragt Caine den Leser seiner Autobiografie. Seine neueste Hauptrolle ist der verschrobene Schriftsteller in „Best Sellers“ (2021), der noch einmal widerwillig auf Lesereise geht, es soll sein letzter Film sein, wie er ankündigte. Am 14. März 2023 wird Michael Caine 90 Jahre alt. Er hätte sich seinen Ruhestand redlich verdient.

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