© DCM/Bernd Spauke ("Sisi & Ich")

Flattern im Winde - Frauke Finsterwalder

Ein Gespräch mit der Regisseurin Frauke Finsterwalder über ihren Film „Sisi & Ich“

Veröffentlicht am
28. November 2023
Diskussion

Wie wenig der Mythos um die österreichische Kaiserin Sisi (1837-1898) auserzählt ist, beweist nach „Corsage“ und der Netflix-Serie "Die Kaiserin" die verwegene Neuschöpfung „Sisi & Ich“ von Frauke Finsterwalder, die ab 30. März in den Kinos läuft. Darin streifen nicht nur die Hofdamen ihre Korsette ab, sondern wird der ganze historische Plunder über Bord geworfen, zumindest so lange, bis der Kaiser aus seiner Rolle fällt.


Wie ein Stück Vieh wird die ungarische Adelige Irma Gräfin von Sztáray (Sandra Hüller) von ihrer Mutter in die Wiener Hofburg bugsiert, wo sie sich auf einem Holzpodest einer peinlichen Begutachtung und einer strengen Befragung unterziehen muss. Kurz zuvor war die angespannte Situation schon entglitten, als sich Irma über die Strenge ihrer Mutter lustig machte und dafür prompt eine schallende Ohrfeige kassierte, die ihr vornehmes Kleid mit einem dicken Blutstropfen verunzierte. Doch was nimmt man nicht alles in Kauf, wenn man Hofdame der exzentrischen Kaiserin Sisi werden will, die ihre Tage auf der Insel Korfu verbringt?

Irma erhält den Job, auch wenn sie keine Ahnung hat, was auf dem felsigen Eiland auf sie zukommt. Denn die ungarisch-österreichische Kaiserin (Susanne Wolff) hat unter der griechischen Sonne ein höchst eigensinniges Exil errichtet, eine Art adelige Landkommune mit fließenden Kleidern, kalorienarmen Mahlzeiten und sehr viel Bewegung. „Sie wird nie müde“, hatte die scheidende Hofdame gestöhnt und vor dem anstrengenden Sportprogramm gewarnt, dem Irma dann auch sogleich Tribut zollen muss, mit Klimmzügen, Wettläufen und Übungen an Turnerringen. Doch die Vorlieben ihrer neuen Herrin, die keine dicken Menschen und erst recht keine Männer um sich haben mag, gefallen Irma, die ihren Blick bald nicht mehr von der charismatischen Kaiserin wenden will.

Hinzu kommt, dass die Diät, die unter anderem aus Kokaintropfen und Brennnesselsaft besteht, auch in Irmas Gemüt Spuren hinterlässt, sie leichter und luftiger macht. Die Tage auf der idyllischen Insel sind mit temporeichen Wanderungen gefüllt, langen Ausflüge und Bergtouren, auf denen sie unter anderem auch ihre gemeinsame Verehrung der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff entdecken, die sich in ihrem Gedicht „Am Turme“ nach einer Freiheit sehnt, die für die aufmüpfige Sisi ein Traum bleiben wird, trotz aller Freiheit auf Korfu. Denn der Kaiser und sein Hof, die Politik und auch die Mütter fordern ihren Tribut, in dem für eine unkonventionelle, zeit- wie formatsprengende Beziehung zwischen der Kaiserin und ihrer Begleiterin kein Platz vorgesehen ist.

In ihrer wilden Interpretation des noch lange nicht auserzählten Sisi-Mythos lässt die Filmemacherin Frauke Finsterwalder zwei schauspielerische Naturgewalten aufeinander los, die sich wie Himmelskörper umkreisen. In umwerfenden Kostümen und zum Soundtrack von Nico, Portishead und Le Tigre entführt „Sisi & Ich“ (seit 30. März im Kino) in eine von Frauen dominierte Welt, deren Themen höchst zeitgemäß sind, weshalb sie nicht beim Fitnesswahn oder den Essstörungen stehenbleiben, sondern zu Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen vordringen.

Unzeitgemäß zeitgemäß: "Sisi & Ich" mit Sandra Hüller (l.) und Susanne Wolff (DCM/Bernd Spauke)
Unzeitgemäß-zeitgemäß: "Sisi & Ich" mit Sandra Hüller (l.) und Susanne Wolff (© DCM/Bernd Spauke)

„Ein ewig Rätsel will ich bleiben mir und anderen!“, lautet ein berühmtes Zitat von Sisis manisch-genialem Cousin Ludwig II. von Bayern, was auch für die nicht minder legendenumrankte Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn gilt. Was hat Sie an dieser außergewöhnlichen Frauenfigur gereizt?

Finsterwalder: Für die historische Sisi habe ich mich eigentlich weniger interessiert. Ich habe über sie gelesen und festgestellt, dass an ihr gar nichts so großartig war, wie ihr Mythos suggerieren will. Ich wollte viel mehr über eine Frauenfreundschaft erzählen, in der die eine Frau, Sisi, der größte Popstar ihrer Zeit ist, und die andere, Irma, das „Ich“ im Titel, in ihren Dienst gerät und ihr dabei sehr nahekommt. Es geht um Machtverhältnisse und was passiert, wenn diese in einer Freundschaft nicht ausgeglichen sind. Und was passiert, wenn daraus sogar eine gewisse Abhängigkeit entsteht.

Auf welche Quellen, Bücher oder Filme haben Sie sich bei Ihrer Recherche gestützt?

Finsterwalder: Als ich bekannt gemacht habe, dass „Sisi“ das Thema meines neuen Films sein wird, haben mich sofort Historiker aus Österreich kontaktiert und ihre Hilfe angeboten. Ich habe keinem von ihnen geantwortet, die Sisi-Biografien ins Regal verbannt und auch die beiden Hauptdarstellerinnen Sandra Hüller und Susanne Wolff gebeten, nichts über die Kaiserin zu lesen, außer dem Drehbuch natürlich. Nur die Tagebücher der Hofdamen der Kaiserin fand ich irre. Die sind zum Teil romantisierende Liebeserklärungen, und das hat mich sofort interessiert. Diese Frauen waren quasi in ihre Chefin verliebt. Die wiederum war nicht besonders nett zu ihnen. Dieser Spannungsbogen wurde dann das Hauptthema des Films. In diesen Tagebüchern wurde aber auch klar, dass die Kaiserin Elisabeth gar nicht so depressiv war, wie immer alle über sie schreiben. Vielleicht eher manisch-depressiv. In ihren manischen Phasen war sie sehr euphorisierend, scharfzüngig und witzig. Man wollte unbedingt dabei sein, wenn sie etwas plante. Und so wird Irma im Film von Sisi mitgerissen. Weil es eben auch Spaß macht, mit dieser unberechenbaren Frau.

Filmstoffe beginnen bei Ihnen oft bereits mit einem einzelnen Song, den Sie etwa während einer Autofahrt gehört haben. Welche Songs waren das bei „Sisi & Ich“?

Finsterwalder: Popmusik spielt in meiner Arbeit eine sehr wichtige Rolle. Den Portishead-Song, der am Anfang von „Sisi & Ich“ zu hören ist, habe ich tatsächlich im Auto gehört und sofort gewusst, dass mit ihm der Ton des ganzen Films gesetzt ist und auch der von Irmas Entwicklung. Daher musste er den Film eröffnen. Weniger allgemein zu verstehen ist die Verwendung des Nico-Songs „Afraid“. Es gibt eine Szene in einen Dokumentarfilm über Nico, in der sie auf einer Bühne in den Klappspiegel einer Chanel-Puderdose singt, anstatt ins Publikum. Das ist einerseits so traurig, weil sie so einsam wirkt, andererseits aber auch extrem cool. Als Sisi in meinem Film von ihrem Cousin, dem Erzherzog Viktor, vor dem Spiegel geschminkt wird, erinnerte mich Sisi an Nico in der Szene aus dem Dokumentarfilm. Generell standen die verwendeten Songs von vornherein im Drehbuch. Ich wusste natürlich nicht: Wie wird das alles zusammen funktionieren? Das ist ja schließlich ein sehr zeitgenössischer Soundtrack für einen Spielfilm mit historischen Figuren, die in einem historischen Setting agieren. Aber: es geht.

Wie viel „Ich“ steckt von Frauke Finsterwalder steckt in den charismatischen Hauptfiguren Irma und Sisi?

Finsterwalder: Meine Arbeit ist im Grunde immer sehr persönlich. Andere Filme könnte ich gar nicht schreiben oder inszenieren, weil ich schlussendlich so viel Zeit mit meinen Hauptfiguren verbringe. Ich lerne beim Filmemachen sehr viel über mich selbst. Ich begebe mich quasi auf die Reise mit diesen beiden Frauenfiguren. Und suche in ihnen etwas, das mich berührt. Das betrifft sowohl ihre lustigen als auch ihre dunklen Seiten.




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