Innerhalb von drei Jahren hat Sven Regener zwei Romane unter dem Titel „Herr Lehmann“ veröffentlicht. Der erste erschien 2000 als Debüt, landete einen Überraschungserfolg und wurde von Leander Haussmann verfilmt; der zweite „Herr Lehmann“ kam auf den Markt, nachdem die Bestsellerverfilmung in den Kinos durchgestartet war. Der Buchdeckel wurde mit einem kreisrunden Aufkleber versehen oder komplett neu gestaltet: aus Regeners Erstling wurde „Das Buch zum Film“. Keine kreativen Chronologien, sondern Popularitätskausalitäten bestimmen in solchen Fällen die Verkaufsstrategie. Es kommt schon einmal vor, dass das „Buch zum Film“ tatsächlich erst hinterher geschrieben wird, quasi als Reaktion auf den Film, etwa Friedrich Dürrenmatts Roman „Das Versprechen“, der aus dem Drehbuch zu Ladislao Vajdas „Es geschah am hellichten Tag“ hervorging, oder Thomas Brussigs „Am anderen Ende der Sonnenallee“. Die Regel ist das aber nicht. Vorbehaltlos greifen Verlagshäuser auf Kinofilme als Werbeträger zurück, und ebenso ungeniert instrumentalisieren Filmproduzenten den literarischen Markt als allzeit verfügbares Stoffreservoir und kostenloses Story-Testareal. Literaturverfilmungen sind längst fester Bestandteil der Kino- wie der Buchindustrie. Einem jungen Autor kann finanziell nichts Besseres passieren, als dass sein Werk verfilmt wird. Dabei ist es nicht Qualität, was zählt, sondern Quotenmaximierung, wobei das bewegte Bild meistens die Nase vorn hat. Ironischerweise verfestigt der merkantile Triumph, den das Massenmedium Film über die Literatur feiert, eine kulturelle Zuteilung, gegen die sich ambitionierte Filmemacher seit jeher vehement wehren: die des Films zur U(nterhaltungs)-Kultur.
Literatur und Film: Treue und Verrat
Die erste Literaturverfilmung, präsentiert 1896 von Louis Lumière, basierte auf Motiven aus Goethes „Faust“. Da Filme anfangs noch ohne Text auskommen mussten, dienten die Anleihen an literarische Klassiker auch dem Handlungsverständnis. 1907, als zum ersten Mal Zwischentitel eingearbeitet wurden, gründete sich in Frankreich die Gesellschaft „Film d’Art“, die, gemeinsam mit der „Société Cinématographique des Auteurs et Gens de Lettres“, den Film kunstfähig und einem zahlungskräftigen bürgerlichen Publikum zugänglich machen wollte. Dafür forcierten die Gesellschaftsgründer um Filmproduzent Charles Pathé die Zusammenarbeit mit dem Theater. Theaterregisseure sollten Bühnenstücke bekannter Autoren mit berühmten Theaterschauspielern filmisch in Szene setzen. Es ist kein Zufall, dass der erste französische Langfilm „L’Assommoir“ von Albert Capellani (1909) eine Zola-Adaption war. Das Phänomen Literaturverfilmung erzeugte in Frankreich ab 1908 eine hitzige Kulturdebatte um „Treue und Verrat“. Während konservative Kritiker Ve