Startup.com - Vom Aufstieg und Ende eines amerikanischen Traums

Dokumentarfilm | USA 2001 | 107 Minuten

Regie: Chris Hegedus

Mit der Geschäftsidee eines Internet-Portals, über das sich kommunale Verwaltungsvorgänge abwickeln lassen, gründeten die Amerikaner Tom Herman und Kaleil Isaza Tuzman 1998 ein Unternehmen, das binnen Kürze Millionen Dollar umsetzte. Nach zwei Jahren ist der Traum vom grenzenlosen Wachstum allerdings vorbei: Das "dotcom"-Kartenhaus fällt in sich zusammen. Eine in der Tradition des "cinéma vérité" stehende Dokumentation über die unberechenbare Eigendynamik der Kapitalströme; zugleich eine Vivisektion am Körper des kapitalistischen Systems sowie ein hautnahes Psychodrama der beiden Hauptfiguren. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
STARTUP.COM
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Pennebaker Hegedus Films/Noujaim Films
Regie
Chris Hegedus · Jehane Noujaim
Kamera
Jehane Noujaim
Musik
Sofa Surfers
Schnitt
Chris Hegedus · Erez Laufer · Jehane Noujaim
Länge
107 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Amherst, Bundesstaat Massachusetts, nördlich von New York: Tom Herman und Kaleil Isaza Tuzman, Freunde von Kindesbeinen an, gründen Ende 1998 das Unternehmen PublicDataSystems. Die Geschäftsidee klingt ebenso plausibel wie erfolgversprechend: Ein Internetportal führt zur Website der städtischen Verwaltung, von der aus Links zu den diversen administrativen Zweigen weisen. Der Bürger erhält Bußgeldbescheide per Email, überweist per Mausklick, hat unmittelbaren Einblick auf Soll und Haben. Anträge auf Angelscheine lassen sich ebenso online stellen wie Wahlbenachrichtigungen verschicken oder Steuerfragen klären. Der Alb der Bürokratie erlebt seine digitale Austreibung, verliert damit an Schrecken. Die Kommunen können ihrerseits ihre „Strukturen verschlanken“ und Kosten sparen. Bei einer konsequenten, flächendeckenden Umsetzung des Projekts scheint es nur Nutznießer zu geben (von den entlassenen Büroangestellten einmal abgesehen – aber von denen redet in der allgemeinen, neoliberalistischen Euphorie ohnehin niemand). Die beiden Firmengründer schaffen es, ihre Idee namens „gov.com“ transparent zu machen. Binnen Kürze akquirieren sie 60 Millionen Dollar, stellen fast 250 Mitarbeiter ein, schließen Verträge mit 45 internationalen Städten. Anfang 2000 stehen Tom und Kaleil im Zenit ihrer Karriere. Sie residieren in einem vierstöckigen Büro in bester Lage Manhattans, unterhalten Filialen in Chicago und Silicon Valley. Begeisterte Schlagzeilen der Fachpresse, Besuche bei Bill Clinton, höchste Börsennotierungen folgen. Es scheint nichts zu geben, was unerreichbar wäre. Nur sechs Monate später geht der Blick über verwaiste Büroräume. „gov.com“ existiert nicht mehr: Bankrott, Verkauf, nichts ist übrig geblieben. Aufstieg und Fall von „gov.com“ vollzogen sich in nicht einmal zwei Jahren. Chris Hegedus und Jehane Noujaim wollten ursprünglich nur die Erfolgsgeschichte einer der vielen „dotcom“- Firmen dokumentieren, nicht deren Desaster. Bei Recherchen stießen sie zufällig auf die beiden Jugendfreunde und begleiteten sie über ein Jahr lang täglich mit der Kamera. Mehr als 400 Stunden Material wurden im Schnittcomputer auf 107 Minuten eingedampft, die nun Zeugnis ablegen von der unberechenbaren Eigendynamik der Kapitalströme am sogenannten „Neuen Markt“. Denn entgegen aller scheinbaren Unabhängigkeit, die sich aus dem zwischenzeitlichen Erfolg ergab, hing die Existenz der Firma die ganze Zeit vom Wohlwollen der Kapitalgeber ab. Als sich erste Anzeichen einer Talfahrt am Finanzmarkt abzeichneten, zogen diese ihre Anteile aus dem Projekt zurück. Das eben noch als Vorzeigeunternehmen gehandelte Projekt erwies sich als Kartenhaus und fiel in sich zusammen. Mechanismen wie diese lassen sich durchaus auf Deutschland übertragen: man nehme nur Beispiele wie das des einst gefeierten ostdeutschen Software- Herstellers „Intershop“ oder – um im Filmbereich zu bleiben – der rasante Zusammenbruch der Münchner „Kinowelt AG“. Die Vivisektion am Körper des kapitalistischen Systems ist die eine Stärke des Films. Darüber hinaus entwickelt er sich zum hautnahen Psychodrama um die beiden Hauptfiguren. Ästhetisch bewegt sich „Startup.com“ auf den traditionsreichen Pfaden des „cinéma vérité“, was alles andere als ein Zufall ist. Co-Regie führte niemand Geringeres als die Partnerin des Dokumentarfilm-Pioniers D.A. Pennebaker, Chris Hegedus; Penebaker selbst fungierte als Produzent. Indem „Startup.com“ ganz dicht zu Tom und Kaleil aufschließt und trotz der an sich schon spannenden Faktenfülle nie den Alltag der Beiden aus den Augen verliert, erliegt der Film nicht der Gefahr polemischer Plattheit. Die mit dem Erfolg einhergehende Erosion des Zwischenmenschlichen vollzieht sich erschreckend beiläufig. Partner- und Freundschaften zerbrechen, die „Helden“ legen sich mehr und mehr den Habitus der Finanzwelt zu, erscheinen schließlich wie Marionetten. Wenn Kaleil nach dem Ausstieg seines Freundes Tom aus dem gemeinsamen Projekt vor der verbliebenen Belegschaft die alten Einschwörungsrituale wiederholt, wirken seine Gesten nur mehr leer und maskenhaft. Ein immenser Persönlichkeitsverlust wird greifbar. Doch im Epilog gibt so etwas wie ein Happy End, wenn auch mit einem zynischen Beigeschmack. Nach dem endgültigen Zusammenbruch ihres Unternehmens finden die Gründer wieder zusammen, wagen einen Neuanfang. Profil der neuen Firma: eine Servicegesellschaft, die ins Straucheln geratene „dotcoms“ bei der Abwicklung ihrer Insolvenzen berät. So werden die Erfahrungen des eigenen Scheiterns noch umgemünzt – letzter, einer gewissen Ironie nicht entbehrender Triumph über die einstigen „Mitbewerber“ auf einem sich selbst verschlingenden Mark
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