Kleine Freiheit (2003)

Jugendfilm | Deutschland 2003 | 102 Minuten

Regie: Yüksel Yavuz

Ein illegal in Hamburg lebender junger Kurde hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, wobei er täglich mit seiner Aufgreifung und Abschiebung rechnen muss. Er freundet sich mit einem Schwarzafrikaner an, der in derselben Angst lebt, dabei aber ein festes Ziel vor Augen hat. Überzeugendes und realitätsnahes Jugenddrama, das ein Leben am Rande der Gesellschaft zeigt. Die Inszenierung fängt die Hektik und Stagnation der Protagonisten ein, während sich die detailreiche Beschreibung des sozialen Umfeldes und die Spontaneität der Haupt- und Nebendarsteller zu einer unprätentiösen Zustandsbeschreibung fern jeglicher Larmoyanz verdichten. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
Cotta Media/Peter Stockhaus Filmprod./ZDF
Regie
Yüksel Yavuz
Buch
Yüksel Yavuz
Kamera
Patrick Orth
Musik
Ali Ecber
Schnitt
Lars Späth
Darsteller
Cagdas Bozkurt (Baran) · Leroy Delmar (Chernor) · Necmettin Cobanoglu · Sunay Girisken · Nazmi Kirik
Länge
102 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Jugendfilm | Drama
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IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
absolut (16:9, 1.85:1, DD2.0 dt.)
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Diskussion
Die „Große Freiheit“ in St. Pauli gehört zu den ältesten touristischen Klischees der Hansestadt Hamburg – Hans Albers und das Tor zur Welt, die offene Stadt. „Kleine Freiheit“, nach „Aprilkinder“ (fd 33 525) der zweite Film des deutsch-kurdischen Regisseurs Yüksel Yavuz, hat damit nichts zu tun, sondern erzählt die alltägliche Geschichte von der Illegalität, vom Erinnern, vom Schmerz des Erinnerns, von der Gier nach Rache – und von einer wunderbaren Freundschaft zweier Jugendlicher. Baran, ein junger Kurde, lebt mitten in St. Pauli, aber sein Alltag hat nur wenig mit den touristischen Klischees von Fernweh und Lebenslust zu tun. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, ihm droht seit seinem 16. Geburtstag die Abschiebung. Baran arbeitet für ein türkisches Billigrestaurant, fährt Essen aus und lebt ständig in der Angst, aufgegriffen zu werden. Eines seiner wenigen Besitztümer ist eine kleine Videokamera, für ihn die Brücke zwischen den Bildern seiner Familie in der Vergangenheit und seiner brüchigen Gegenwart. Baran freundet sich mit Chernor an, einem jungen Schwarzafrikaner, der wie er dauernd in der Gefahr der Abschiebung lebt und sich sein Geld mit kleinen Drogengeschäften verdient. Aber im Gegensatz zu dem Kurden hat Chernor ein Ziel vor Augen: viel Geld verdienen, um nach Australien auswandern zu können.

Das Leben der beiden Protagonisten bewegt sich zwischen Monotonie, Hektik und Stagnation, und der Film vermittelt trotz schneller Bewegungen und Schnitte, sowie einer Kamera, die den beiden stets folgt, trotz aller Aktionen und Handlungssprünge den Eindruck einer fast zeitlosen Lethargie – denn Baran und Chernor leben in einer Zwischenwelt am Rande einer Gesellschaft, die sie nicht haben will und ihnen jede Entwicklung verweigert. Barans hoffnungsund perspektivlose Gegenwart scheint einen Sinn zu erhalten, als er in einem älteren Mann im Restaurant den Dorfbewohner wiederzuerkennen glaubt, der für den Tod seiner Eltern verantwortlich war. Fast beiläufig und ohne jede vordergründige Agitation erzählt „Kleine Freiheit“ vom Leben in der Fremde, vom Exil und Überleben in der Illegalität – ohne falsches Pathos, aber doch mit einem faszinierend neuen Blick auf Zwischenwelten innerhalb des vermeintlich Vertrauten, eine Welt der Immigranten mit ihren Wünschen, Hoffnungen und traumatischen Vergangenheiten. Wie etwa die von Alma, einer jungen bosnischen Frau und der besten Freundin von Baran und Chernor. Deutsche kommen in diesem Mikrokosmos allenfalls als Zaungäste, Restaurantbesucher oder Polizisten vor. Für Regisseur Yavuz, der sich als deutschen Regisseur kurdischer Herkunft versteht, ist das die für viele Immigranten stimmige Realität. Dabei greift der 39-Jährige auf eigene Erfahrungen zurück; geboren im kurdischen Teil der Türkei, kam er mit 18 Jahren nach Hamburg, wo sein Vater auf einer Werft arbeitete. Yavuz bekam einen Job in einer Wurstfabrik, studierte später an der Hochschule für Wirtschaft und Politik und anschließend an der Hochschule für bildende Künste.

Wie „Aprilkinder“ erzählt auch „Kleine Freiheit“ von einer nur wenig wahrgenommenen Normalität zwischen den Welten: Baran lebt zwischen der Erinnerung an die Familie im fernen Kurdistan und seinem gegenwärtigen Leben in Hamburg, quasi zwischen den Zeiten – zwischen der Sehnsucht nach seiner Vergangenheit, der unsicheren Gegenwart und einer offenen Zukunft, zwischen Nostalgie und Überlebenswillen, Hoffnung und Gleichgültigkeit. Dabei ist er inmitten der multikulturellen Normalität der dritten und vierten Immigrantengeneration der Außenseiter – als Illegaler ist er für die Etablierten ein Fremdkörper. Der Film besticht durch seine natürliche Darstellung, die detailreiche Inszenierung des sozialen Umfeldes und die Spontaneität seiner Hauptund Nebenfiguren. Der Regisseur besetzte viele Rollen mit Laien, beide Hauptdarsteller sind Hamburger Schüler. Zudem fasziniert „Kleine Freiheit“ durch einen fast heiteren Realismus sowie die genaue Beobachtung der Wirklichkeit – die Authentizität des sozialen Umfeldes. Die Protagonisten stecken voller sympathischer Widersprüche, jenseits von Gut und Böse – eine unprätentiöse Zustandbeschreibung jenseits politischer Larmoyanz und Sozialarbeiterpose.

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