Drama | USA 1992 | 96 Minuten

Regie: Abel Ferrara

Ein drogenabhängiger und von seiner Wettleidenschaft gefesselter New Yorker Polizeioffizier erfährt in der Begegnung mit einer vergewaltigten Nonne eine neue Dimension der Spiritualität und am Ende in der Vision des vom Kreuz herabgestiegenen Christus Erlösung. Unerbittlich hart in der Charakterstudie eines Menschen im existenziellen Chaos, der in ungewohnter Weise eine extreme Spannung zwischen dem Blick in die Abgründe des Häßlichen und Gemeinen und der Reinheit des Spirituellen auszuhalten versucht. Der Regisseur mutet dem Zuschauer eine Erfahrung zu, die nicht so schnell abzuschütteln ist: Der Film ist bei aller Härte eine im Kino ungewöhnliche Behandlung der Frage nach der Erlösungsbedürftigkeit des Menschen. - Ab 18.
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Filmdaten

Originaltitel
BAD LIEUTENANT
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1992
Produktionsfirma
Pressman
Regie
Abel Ferrara
Buch
Zoe Lund · Abel Ferrara · Victor Argo · Paul Calderon
Kamera
Ken Kelsch
Musik
Joe Delia
Schnitt
Anthony Redman
Darsteller
Harvey Keitel (Lieutenant) · Victor Argo (Buchmacher-Cop) · Frankie Thorn (Nonne) · Paul Hipp (Jesus) · Zoe Lund (Junkie)
Länge
96 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 18.
Genre
Drama
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Heimkino

Verleih DVD
EuroVideo (FF P&S, DD5.1 dt.)
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Diskussion
Abel Ferrara, der als Underground-Regisseur einen Kultstatus genießt, wandelt in seinem neuen Film - nicht zuletzt durch die Wahl seines Hauptdarstellers - auf den Pfaden von Martin Scorsese. Harvey Keitel spielt einen Cop auf den "mean streets", den schäbigen Straßen des Molochs New York. Im Dickicht der Großstadt mit ihren düsteren Seiten der Gewalt, der Prostitution und der Drogen treibt er sich herum, kein Gesetzeshüter, der - wie es seinem Rang als Polizeileutnant zukäme -die Dinge im Griff hat, sondern ein vom Verbrechen Infizierter, dem das eigene Leben immer mehr entgleitet. Er ist drogenabhängig, sucht vergeblich seine sexuelle Befriedigung bei Prostituierten und geht immer neue Baseball-Wetten ein, die er regelmäßig verliert. Dann ereignet sich ein unerhörter Gewaltakt: eine junge Nonne wird vor dem Altar von zwei Rowdies brutal vergewaltigt. Für den Polizeioffizier ist dies zunächst kein Grund zu besonderem Engagement, da Vergewaltigungen an der Tagesordnung sind und er nicht einsieht, weshalb dieser Gewalttat eine besondere Beachtung zukommen soll, nur weil eine Nonne betroffen ist. Obwohl er ein Katholik ist, hat er den Bezug zu seinem Glauben längst verloren. Aber durch den Fall kommt er häufiger in die Kirche, an den Tatort. Dort belauscht er unabsichtlich die Beichte der jungen Nonne, die ihrem Beichtvater gesteht, daß sie die Täter kennt, aber ihre Namen nicht preisgeben will, weil sie ihnen vergeben habe und anstatt Rachegefühle zu hegen sich eher selbst den Vorwurf macht, die verirrten Täter nach Jesu Vorbild nicht genug geliebt zu haben. Ihre ungewöhnliche Haltung bleibt nicht ohne Eindruck auf den Polizisten. Als er nach weiteren verlorenen Wetten noch mehr herabgekommen ist, landet er betrunken wieder in der Kirche. Dort erscheint ihm der vom Kreuz herabgestiegene Jesus Christus, den er auf Knien flehend um Vergebung für seine Schwachheit bittet. Plötzlich ist die Vision verschwunden, und vor ihm steht eine alte schwarze Frau, die den Meßkelch zurückbringen will, den die Vergewaltiger mitgenommen hatten. Die Frau kann dem Leutnant einen Hinweis auf die Täter geben. Er spürt sie daraufhin in ihrem Unterschlupf sofort auf, aber anstatt sie aufs Polizeirevier zu bringen, setzt er sich mit ihnen hin, teilt mit ihnen eine Pfeife Crack und sieht sich die ersten Fernsehbilder des Baseballspiels an, auf das er gewettet hat. Dann bringt er die Vergewaltiger zum Busbahnhof, warnt sie, sich nicht wieder in der Stadt blicken zu lassen und setzt sie in den Bus. Als er sich wieder in seinen Wagen setzt, wird er am Steuer aus einem vorbeifahrenden Auto erschossen.

Ferraras Film, der in ganz ungewöhnlicher Weise den harten Cop-Thriller mit einer explizit religiösen Erlösungsgeschichte verbindet, hinterläßt einen starken, ebenso berührenden wie bedrückenden Eindruck. Die ungeheure Spannung zwischen den extremen Polen von Brutalität und Spiritualität, die Konfrontation des Heiligen mit dem Häßlichen und dem Gemeinen, mit der Sünde in ihren krassesten Formen, fordert den Zuschauer zwangsläufig heraus. Und es kommt Ferrara auf beide Elemente an, die schonungslos naturalistische Charakterstudie und die Erlösungsthematik. Der Film ist in gewisser Hinsicht eine Revision des Rache-Thrillers "Die Frau mit der 45er Magnum" (fd 23 028): Zoe Lund, die Drehbuchautorin von "Bad Lieutenant" spielte in diesem Film eine stumme Frau, die vergewaltigt wird und einen Rachefeldzug startet, wobei sie auch als Nonne verkleidet auftritt. In "Bad Lieutenant" ist die Nonne echt, genau wie ihre Haltung, die kompromißlose Ablehnung jeder Form von Rache, so daß der Film konsequenterweise auch nicht mit einer Bestrafung der Vergewaltiger, sondern mit dem Tod des Polizisten endet, der wie Scorseses Helden für seine Sünden auf der Straße bezahlen muß.

Der Film ist eine extreme Herausforderung für den Zuschauer und dies in zweifacher Hinsicht: die einen werden die realistische Cop-Geschichte ernst nehmen wollen, sich aber gegen das religiöse Element sträuben, die anderen, die die spirituelle Dimension im Film suchen, aber sie eher akzeptieren, wenn die Sinnfrage durch einen Hamlet-Typ verkörpert ist, werden herausgefordert durch eine schonungslose Härte der Darstellung eines Menschen in einem Milieu von Destruktivität und Perversität. Ferrara mutet dem Zuschauer viel zu, doch von Anfang an besteht kein Zweifel an dem Ziel der Darstellung. Der Polizeioffizier wird schon in den ersten Sequenzen als ein Mann am Rande des Zusammenbruchs geschildert. Er ist nie der kompetente harte Profi, der im Kino durch Typen wie Popeye Doyle ("French Connection") oder "Dirty Harry" Callahan besetzt ist. Schon im ersten Teil des Films weist eine signifikante Einstellung auf die Erlösungsbedürftigkeit: der Polizeileutnant, der bei zwei Prostituierten Ablenkung sucht, steht völlig nackt und mit ausgebreiteten Armen im Zimmer, geschüttelt von einem Weinkrampf - ein menschliches Wrack, das Mitleid erweckt, ein leidender, erlösungsbedürftiger Mensch. Die Wandlung und die Erlösung vollziehen sich zwar nicht zielstrebig und werden im Dialog nicht unterstrichen, da ein wesentlicher Zug der Figur ihre Sprachlosigkeit ist. Aber dennoch ist der innere Wandel unübersehbar. Das Ende ist in diesem Sinne nur konsequent. Wenn der Cop die Täter entkommen läßt, so ist dies kein Zeichen seiner Korruptheit und Pflichtvergessenheit, sondern Ausdruck seiner Einsicht, daß er mit ihnen auf einer Stufe steht, und Umsetzung einer Geste der Vergebung, die ihm die Nonne gezeigt hat. Und er tut all dies in Vorahnung seines Todes, was man spürt, wenn er den Tätern, denen er eine Chance gibt, die er in seinem eigenen verpfuschten Leben nicht mehr hat, mit Tränen in den Augen nachblickt.

Der Film wirft die Frage nach der Darstellung der Gewalt auf. Ohne Zweifel ist die Vergewaltigung der Nonne eine unbeschreiblich harte Szene. Man mag darüber streiten, ob man diese Sequenz hätte weglassen können. Für Ferrara ist sie jedoch wichtig als Extremform einer im wahrsten Sinne "unbeschreiblichen" Tat. Formal versucht der Regisseur dies dadurch zu bewältigen, daß er diese Sequenz wie sonst keine stark stilisiert, ihr so in gewisser Hinsicht einen irrealen Charakter zu geben versucht. Ferrara stellt das Unerhörte dieser Tat, den sexuellen und blasphemischen Impuls deutlich heraus, schneidet aber nur sekundenlange Einstellungen hintereinander, die von hämmernden Rockrhythmen unterlegt sind; somit erreicht die Sequenz ihre bedrückende Wirkung nicht aus dem konkret Sichtbaren, sondern aus der Zusammensetzung und Ergänzung der Bilder im Kopf des Zuschauers. Noch härter sind jedoch die Sequenzen, die den Umgang des Cops mit sich selbst schildern. In einer langen ungeschnittenen Einstellung wird gezeigt, wie er von seiner Freundin Zoe eine Heroinspritze gesetzt bekommt, und in einer quälend langen Sequenz muß man mitansehen, wie der Cop zwei Mädchen, die er ohne Führerschein ertappt hat, sexuell belästigt und vor ihren Augen onaniert. Diese Szenen, die zu den härtesten und unerbittlichsten gehören, die man sich vorstellen kann, sind jedoch keine spekulativen Zugaben, sondern bewußt grausame Bilder der Selbstzerstörung und des völlig heillosen Zustandes eines Menschen. Wie Harvey Keitel dieses Wrack eines Menschen innerlich zerrissen und zermürbt, von Weinkrämpfen geschüttelt und um Vergebung winselnd mit dem letzten Einsatz seiner Kräfte spielt, verdient nicht nur Beachtung als eine der herausragenden schauspielerischen Leistungen im gegenwärtigen Kino, sondern vertreibt auch jeden Zweifel daran, daß der Film es auf eine spekulative Mischung von Sex, Crime und Religion abgesehen haben könnte. Angesichts der extremen Erfahrung, die der Film für den Zuschauer zweifellos bedeutet, ist man geneigt, eher davor zu warnen, doch muß man ebenso deutlich sagen, daß Ferraras Film der im Kino bisher ungewöhnlichste Umgang mit den existentiellen Nöten einer von Gewalt und dem Verlust aller Werte geprägten Welt ist und daher eine brennende Aktualität besitzt.
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