The Fog of War

Dokumentarfilm | USA 2003 | 107 Minuten

Regie: Errol Morris

Mit den Methoden eines Managers versuchte Robert McNamara, im Zweiten Weltkrieg und später als US-Verteidigungsminister Kriege zu führen. Sein Name ist eng mit dem Einsatz von Brandbomben gegen Japan sowie von Napalm und Agent Orange in Vietnam verbunden. Mit großer Offenheit äußert sich McNamara in dem Dokumentarfilm über seine Rolle sowie seine moralische Verantwortung während der Kriege. Dabei zeigt der als kalt und berechnend bekannte Mann eine neue, tragische Seite. Der Film ist konsequent aus der Perspektive McNamaras angelegt und trägt zugleich vielfältiges historisches Bild- und Tonmaterial zusammen, das nicht zu endgültigen Antworten führen soll. Dabei weitet er sich über das subjektive und widersprüchliche Porträt hinaus zu einer spannenden Reflexion über die Natur des Menschen und die Irrationalität des Krieges. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
THE FOG OF WAR: ELEVEN LESSONS FROM THE LIFE OF ROBERT S. MCNAMARA
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
@radical media/Globe Department Store/SenArt Films
Regie
Errol Morris
Kamera
Robert Chappell · Peter Donahue
Musik
Philip Glass
Schnitt
Karen Schmeer · Doug Abel · Chyld King
Länge
107 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Bereits 1955, als das bislang verdeckte Engagement der USA in Vietnam erst langsam konkretere und offenere Formen annahm, beschrieb Graham Greene in seinem Roman „Der stille Amerikaner“ mit scharfsinniger Ironie und großem Weitblick, auf welchem Fundament das amerikanische Eingreifen in der Welt beruht – möglicherweise bis heute. In der Figur des Aldon Pyle skizzierte er einen Mann, der ohne wirkliche Kenntnis der Realität vor Ort, dafür aber mit großem Sendungsbewusstsein und westlichem Demokratieverständnis nach Saigon kommt, um dort in aller Naivität und im Namen der Freiheit den Hass auf die Kommunisten zu schüren, indem er in geheimen Aktionen blutige Attentate unterstützt. Kannte der von John F. Kennedy 1960 ernannte amerikanische Verteidigungsminister Robert S. McNamara diesen Roman, der den USA schonungslos den Spiegel vorhielt? Hätte er sich davon in seinem Verhalten beeinflussen lassen? Wohl kaum. Wenn man McNamara nun im Film über die damalige weltpolitische Lage und seine eigene Rolle etwa im Vietnam-Krieg oder während der Kuba-Krise zu Beginn der 1960er-Jahre sprechen hört, dann wird freilich ein Großteil von Greenes Einschätzung bestätigt – noch dazu von einem Mann, der allein Kraft seines Amtes für vieles verantwortlich war, was zwischen 1961 und 1967, der heißen Phase des Kaltes Krieges, in Vietnam und anderswo geschah.

Als „whiz-kid“, „brainy“, „egoistical“, „coldlogic“, „precise“ und „effective“ wird McNamara in einer rasanten Montage-Sequenz mit alten Zeitungsausschnitten charakterisiert. Der Student der Wirtschaftswissenschaften und Philosophie, Harvard-Absolvent und Verfechter statistischer Berechnungen lieferte der Air Force im Zweiten Weltkrieg das Zahlenmaterial, das die Effizienz der Luftangriffe auf japanische Großstädte steigern sollte. Das Resultat war verheerend: Die aus niedriger Höhe mit B-29-Bombern geflogenen Angriffe mit Brandbomben kosteten in Tokio in einer einzigen Nacht 100.000 Menschen das Leben. Bereits vor dem Abwurf der beiden Atombomben wurden in zahlreichen anderen japanischen Städten zwischen 50 bis 90 Prozent der Bevölkerung ausgelöscht. Errol Morris stellt den Namen der Städte amerikanische gegenüber, trägt den Krieg gewissermaßen fiktiv in die USA. McNamara, der spätere Präsident der Weltbank (1968-81), erhält für seine „Leistung“ den Verdienstorden „Legion of Merit“ – und konstatiert heute, 60 Jahre später, dass er wohl als Kriegsverbrecher angeklagt worden wäre, wenn die Amerikaner den Krieg verloren hätten. Solch frappierende Widersprüche, die mit der Person Robert McNamaras verbunden sind und die dieser offen ausspricht, ziehen sich durch den gesamten Dokumentarfilm und machen ihn zu einem der aufregendsten, brisantesten und kraftvollsten der letzten Jahre. Mehr als 20 Stunden Interview-Material standen Morris nach seinen Begegnungen mit dem redegewandten 85-jährigen McNamara im Jahr 2001 zur Verfügung; er ergänzt es mit Unmengen historischen Bildmaterials, das er manchmal zwar nur als komplex und visuell eindrucksvoll organisierten Bildteppich (unter der schicksalsschweren Minimal-Music von Philip Glass) nutzt, was jedoch meistens einen präzisen Bezug zur Tonebene hat und diese auf hoch spannende Weise begleitet und kommentiert. Besonders die Aussagen McNamaras selbst und die vor einigen Jahren freigegebenen Tonbandaufnahmen aus dem Weißen Haus, Gespräche zwischen McNamara und den Präsidenten Kennedy und Johnson, machen „The Fog of War“ so spannend. In elf Kapiteln wirft der Film aus der Perspektive eines einzelnen Mannes Schlaglichter auf wichtige politische und militärische Entscheidungen aus der Zeit vom Zweiten Weltkrieg bis zum Krieg in Vietnam. Als Verteidigungsminister unter Kennedy und nach dessen Tod unter Johnson wurde McNamara immer wieder damit konfrontiert, Krisensituationen einzuschätzen, unter großem Druck zu agieren und zu reagieren. Auch – oder gerade – seine rationale, analytische Herangehensweise, sein Versuch, Krieg effizient zu managen, schützte ihn nicht vor (moralischen) Fehleinschätzungen und -entscheidungen. Im Gegenteil: Mit seinem Namen sind symbolisch aufgeladene Begriffe wie „Agent Orange“ oder „Rolling Thunder“ verbunden – Schreckgespenster des Krieges.

Die Lehren, die McNamara aus der Zeit des Kalten Krieges zieht, sind auf den ersten Blick so gegensätzlich und paradox, wie McNamara selbst. Morris kaschiert diese Widersprüche zum Glück nicht, denn in ihnen spiegelt sich die Irrationalität des Krieges, ja des Menschen überhaupt. Diese Irrationalität diskutiert McNamara nicht weg; er nimmt sie ernst, auch wenn er sie nach wie vor durch Fakten zu überwinden, mindestens aber bändigen zu können glaubt. Seine Erkenntnis, dass Politiker und Militärs vor Fehleinschätzungen nie gefeit sind, machte den Erfinder der Atomstrategie der „flexiblen Antwort“ in den 1980er-Jahren zu einem der größten Kritiker der atomaren Abschreckung. Für viele war diese Kehrtwendung McNamaras nicht nachvollziehbar. Morris’ Film macht deutlich, dass McNamara, das personifizierte Böse für die meisten Vietnam-Kriegsgegner, bei aller Selbstüberschätzung und trotz seines eiskalten Kalküls als Verteidigungsminister wohl alles andere als ein Kriegstreiber war. Auch wenn er sich heute noch kaum über Johnson und dessen Vietnam-Politik auslassen will und Fragen zu seiner moralischen Verantwortung ausweicht, wird aus den Tonbandaufnahmen deutlich, dass McNamara relativ früh die Sinnlosigkeit des Kriegs in Vietnam einsah. Zur Zielscheibe des Protests und zur tragischen Figur wurde er, als er seine Loyalität gegenüber Johnson über seine eigene Überzeugung stellte, bis er 1968 als Verteidigungsminister unter Druck zurücktrat.

Morris geht das Risiko ein, McNamara als einzigen Zeugen der damaligen Ereignisse zu hören. Nicht alles ist denn auch als bare Münze zu nehmen, wie zum Beispiel Fred Kaplan in einem Artikel in Slate.com berichtet („The Evasions of Robert McNamara“). Doch trotz der überwältigenden Fülle an historischen Daten und Ereignissen geht es dem Dokumentarfilm nicht um objektive Geschichtsschreibung, vor allem anderen ist „The Fog of War“ das mitunter sogar berührende Porträt eines in sich zerrissenen, hochintelligenten Mannes, der sich ernsthaft mit den bitteren Konsequenzen seiner früheren Entscheidungen auseinander zu setzen versucht, ohne dabei die schnelle Entschuldigung zu bemühen. Vieles widersetzt sich einer einfachen Auflösung und Rechtfertigung. So gesehen ist McNamara eine tragische Figur, deren Haltung einem bei aller möglichen Kritik Respekt abverlangt. Der Vorwurf, der Filmemacher habe sich nicht kritisch genug gegenüber McNamara verhalten, trifft deshalb nicht wirklich. Ebenso zurückhaltend geht Morris übrigens mit den auf der Hand liegenden Parallelen zur aktuellen Außenpolitik der USA um. Es bleibt nur ein frommer Wunsch, dass einer wie Donald Rumsfeld (den mit dem jüngeren McNamara eine frappierende Ähnlichkeit verbindet) die Lehren seines Amtsvorgängers beherzigen möge, wenn er schon nicht Graham Greene liest.

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