Die Frau des Leuchtturmwärters

Drama | Frankreich 2004 | 104 Minuten

Regie: Philippe Lioret

Im Jahr 1963 kommt ein neuer junger Leuchtturmwärter auf eine bretonische Insel. Anfangs begegnen ihm alle Inselbewohner mit Misstrauen, sodass er Mühe hat, sich einzuleben. Allmählich aber fasst sein Arbeitskollege zu ihm Vertrauen, woran sich auch nichts ändert, als sich dessen Frau und der Neue ineinander verlieben. Die teils klassische, teils ungewöhnliche Geschichte über Männerfreundschaft, Liebe und Hass in einer Extremsituation wird mit dokumentarischen und nostalgischen Elementen inszeniert, die in eine Rahmenhandlung eingebettet sind. Der ruhig fließende Film wird von seiner inneren Spannung und soliden Hauptdarstellern getragen. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
L' ÉQUIPIER
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Nord-Ouest Prod./Fin Août Prod./Studio Canal/France 2 Cinéma/Les Productions de la Guéville
Regie
Philippe Lioret
Buch
Emmanuel Courcol · Philippe Lioret · Christian Sinninger
Kamera
Patrick Blossier
Musik
Nicola Piovani
Schnitt
Mireille Leroy
Darsteller
Sandrine Bonnaire (Mabé Le Guen) · Philippe Torreton (Yvon Le Guen) · Grégori Derangère (Antoine Cassendi) · Émilie Dequenne (Brigitte) · Anne Consigny (Camille)
Länge
104 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Eurovideo (16:9, 1.85:1, DD2.0 frz., DD5.1 dt.)
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Diskussion
Im Januar 2004, kurz nachdem Philippe Liorets „Die Frau des Leuchtturmwärters“ abgedreht war, wurde der letzte bewohnte Leuchtturm Frankreichs automatisiert. Das verstärkt den nostalgischen Effekt, der sich zwangsläufig einstellt, denn Geschichten von Männerfreundschaften auf hoher See, die in Konflikt geraten mit Liebesgeschichten an Land, Geschichten von Eifersucht und zerplatzten Hoffnungen gab es im französischen Kino schon häufiger. Liorets Film ist keine Ausnahme: Die Gewalten der Natur, die oft auch die Gewalten der Liebe bestimmen, sind sein Thema – und die Vergangenheit. Zufällig wird eine junge Erbin mit all dem konfrontiert, als sie auf die Insel Ouessant vor der Bretagne kommt, um das Haus zu verkaufen, in dem sie aufwuchs. Beim Aufräumen entdeckt sie ein Buch, das so heißt wie der Leuchtturm, den man vom Haus aus sehen kann: „La Jument“. Ein Roman, den der junge Leuchtturmwärter Antoine über die zwei Monate im Jahr 1963 schrieb, die er dort verbrachte. An Antoine erinnert sie sich nur dunkel, aber am Ende des Buchs – das in einer langen Rückblende bebildert wird – weiß sie, dass sie diese Erinnerungen und damit auch das Haus behalten will, weil sie ihr wertvoll geworden sind. Voller Misstrauen begegnen die Inselbewohner dem hübschen Antoine, der im Algerienkrieg schwer an einer Hand verletzt wurde und sich statt eines ruhigen Bürojobs lieber die aufreibende Arbeit eines Leuchtturmwärters ausgesucht hat. Die Männer auf der Insel sind nicht nur misstrauisch, weil er fremd, jung und in seiner Arbeit unerfahren ist – sie tun auch nichts, um ihm bei seinem neuen Leben zu helfen. Auch Yvon, der Kollege, mit dem Antoine zusammen auf dem Leuchtturm Dienst tut, ist ihm gegenüber wortkarg und nicht gerade freundlich. Im Gegensatz zu seiner Frau Mabé und Brigitte, dem jungen Mädchen, das sich in dieser engen Welt langweilt und sich in Antoine verliebt. Doch während Brigitte ihm vergeblich hinterherläuft, interessiert er sich mehr für Mabé, die immer lächelt und jene Lebensfreude ausstrahlt, die ihm nach seinen Kriegserlebnissen fehlt. Langsam gewöhnt sich Antoine an das raue Leben auf dem Leuchtturm, wo ein starker Windstoß schon reichen kann, um einen Mann zu töten. Langsam taut auch Yvon auf, und die beiden werden Freunde. Und langsam verlieben sich Antoine und Mabé ineinander – ohne es zu wollen. Am 14. Juli, während die anderen das Feuerwerk anschauen, schlafen sie zum ersten und einzigen Mal miteinander. Doch sie werden beobachtet, und so spricht sich die Geschichte herum. Trotzdem rettet Yvon Antoine das Leben, als er kurz drauf bei Sturmflut im Freien das defekte Licht des Leuchtturms reparieren will und dabei fast umkommt. Den Entschluss, die Insel zu verlassen, hatte Antoine schon vorher gefasst, auch Yvon kann daran nichts mehr ändern. In seinem vierten Spielfilm verbindet Philippe Lioret drei Pole miteinander: die sich allmählich entwickelnde Freundschaft der beiden ungleichen Männer, eine scheue Liebesgeschichte und eine quasi-dokumentarische Sicht auf das harte Leben auf dem Leuchtturm und an der bretonischen Küste. Man erfährt, dass die Leuchtturmwärter immer zwei Wochen im Turm sind und dann eine Woche an Land. In der Landwoche entschließt sich Antoine, noch nebenher zu arbeiten. Er wird der einzige Mann in der Fischfabrik, wo auch Mabé und Brigitte an den Maschinen stehen. Dass die altersschwache Maschine ausgerechnet explodiert, als Antoine an ihr arbeitet, ist ein einfaches Symbol für die Gefühle, die seine Präsenz bei den Bewohnern auslösen – und die beim Fest am Nationalfeiertag und bei einem Geburtstagsessen eskalieren. Das zweite Symbol ist ein Mini-Akkordeon, das Mabé von ihrem Vater bekam, aber nie darauf spielte. Antoine repariert es und spielt ihr darauf vor. Sie freut sich und schickt es ihm zurück. Er versteht die Botschaft, und wenig später liegen sie sich in den Armen. Einfache Bilder und Symbole – besonders bilderstark sind die Szenen hoch oben auf der Licht-Etage des Leuchtturms –, gepaart mit ruhigen Bildern und einer genauen Zeichnung der Charaktere, machen den Film, der im Original schlicht „L’équipier“, der „Teamkamerad“, heißt, zu einem vielschichtigen Drama, das ganz von der inneren Spannung lebt. Sandrine Bonnaire hält als einzige fröhliche und integrative Figur den Film zusammen und verkörpert diese Rolle perfekt. Dass sie sich nicht in Antoine verlieben wollte, sondern es eher zwangsläufig passierte, nimmt man ihr genauso ab wie Grégori Derangère, der als Antoine sehr zurückhaltend spielt. Eine Paraderolle hat Philippe Torreton, der schon häufig in Filmen von Bertrand Tavernier zu sehen war: „sein“ Yvon ist der Einzige, der sich unter dem Einfluss des Fremden verändert, seine Vorurteile über Bord wirft und ihm hilft, obwohl er weiß, dass er ihn mit seiner Frau betrogen hat, denn er weiß auch, dass er, der barsche Bretone, indirekt daran mit schuldig ist. Auch wenn vieles den Anschein hat, dokumentarisch zu sein: Alles in diesem Film ist Fiktion oder basiert auf Recherche. Lioret war vor dem Dreh nie an der bretonischen Küste und auf einem Leuchtturm (der wurde im Studio nachgebaut). Die Musik, die Nicola Piovani komponierte, hat nichts Bretonisch-Volkstümliches, sondern ist eine zeitlos schöne Orchestermusik zwischen Musette-Walzer und einem eingängigen von Holzbläsern dominierten Thema. Auch da hat Liorets Film eine (nicht nur im französischen Kino) rare Qualität.

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