Fräulein Else (1928)

Melodram | Deutschland 1928 | 90 Minuten

Regie: Paul Czinner

Während ihres Winterurlaubs in St. Moritz erfährt die Tochter eines Wiener Rechtsanwalts, dass ihrem Vater wegen finanzieller Veruntreuung eine strafrechtliche Verfolgung droht. Der einzige Ausweg scheint der Kontakt zu einem reichen Kunsthändler zu sein, der nur dann helfen will, wenn sie sich ihm nackt zeigt. Stummfilm-Adaption der gleichnamigen Novelle von Arthur Schnitzler als bezwingendes Melodram über das Schicksal einer jungen Frau, die am Begehren eines älteren Mannes zerbricht. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1928
Produktionsfirma
Poetic
Regie
Paul Czinner
Buch
Paul Czinner · Carl Mayer
Kamera
Robert Baberske · Karl Freund · Adolf Schlasy
Musik
Marco Dalpane
Darsteller
Elisabeth Bergner (Else) · Albert Bassermann (Dr. Alfred Thalhoff) · Albert Steinrück (Herr von Dorsday) · Else Heller (Frau Thalhoff) · Adele Sandrock (Tante Emma)
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Melodram | Literaturverfilmung
Externe Links
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Diskussion
Arthur Schnitzlers 1924 publizierte Erzählung „Fräulein Else“ atmet das Klima der Inflationszeit. Der innere Monolog der zur Prostitution gezwungenen Heldin beschwört den Vater-Tochter-Konflikt und mündet in eine Anklage der Doppelmoral der bürgerlichen Gesellschaft. „Ihr habt mich umgebracht, Ihr alle, alle, alle“, schreit Else am Ende heraus. Dennoch gestattet ihr der Autor auch eine andere, ambivalente Seite. „Fräulein Else ist auch ein Luder. Sie erregt Voyeur-Phantasien. Kokettiert mit Exhibitionismus“, schreibt ein zeitgenössischer Rezensent. In Paul Czinners Adaption dominiert die patriarchalische Familienstruktur, an der die junge Frau zerbricht. Die Scham und Aufopferung einer naiven Kindfrau tritt gegen den allgegenwärtigen Vater und einen machtbewussten Lebemann an. Else, Tochter eines jüdischen Anwalts aus Wien, ist mit Tante Emma und Cousin Paul in den mondänen schweizerischen Wintersportort St. Moritz gefahren. Dort erreicht sie wenig später ein Brief der Mutter, in dem jene schreibt, der Vater sei in eine schlimme finanzielle Notlage geraten. Else wird gebeten, vom befreundeten, ebenfalls im Hotel Carlton weilenden Kunsthändler von Dorsday eine Summe von 30.000 Schilling anweisen zu lassen. Der hat bereits ein Auge auf die unbeschwerte junge Frau geworfen und verlangt als Gegenleistung, sie nackt wie eine Statue zu sehen. Else hadert mit sich und bereitet ihre Abreise vor. Doch als die Bitte mit der drohenden Verhaftung des Vaters wiederholt wird, nimmt sie Schlaftabletten und sucht den Geldgeber, nur mit einem weißen Pelzmantel bekleidet, im weitläufigen Hotel auf. Vor dessen Augen und den umstehenden Gästen lässt Else das Kleidungsstück fallen und sinkt ohnmächtig zu Boden. Ein herbeigerufener Arzt kann nur noch ihren Tod feststellen. Die Exposition im Wiener Zuhause der Thalhofs zeigt eine intakte Familie. Das innige Verhältnis von Tochter und Vater wird auch nicht durch den Urlaub mit den Verwandten getrübt. Der Zauber schneebedeckter Winterlandschaften, vielfältige Sportmöglichkeiten, der Aufenthalt im Luxushotel scheinen ein sorgenfreies Leben zu garantieren. Doch der Sturz in den Abgrund erfolgt jäh. Die Börsenkrise (vom Mai 1927, die Vorahnung des Schwarzen Freitags vom Oktober 1929) und der ökonomische Zusammenbruch des Vaters manövrieren Else in eine ausweglose Situation. Sie wird dem stiernackigen, schmierigen Kunsthändler (Albert Steinrück) – wie das erbetene Geld – quasi „leihweise“ überlassen. Elisabeth Bergner (1897–1986), der große deutsche Stummfilmstar, spielt die Titelfigur eindringlich und nuanciert. Nicht zu vergessen ist auch Adele Sandrock als Tante Emma, die in ihrer Rolle desillusioniert-gouvernantenhaft brilliert. Nach der Premiere im März 1929 schimpfte Rudolf Arnheim in der „Weltbühne“ wenig zimperlich. Wegen „endloser Mätzchen, wie auf einen Fliegenleim photographiert und plump mit der Gartenschere geschnitten, größerer Posten antiquarischer Ansichtskarten aus St. Moritz und dem menschlichen Liebesleben… sollte… Herrn Czinner die Schankkonzession entzogen werden.“ In ihren Memoiren resümiert Bergner: „Der Stummfilm von ,Fräulein Else‘ war natürlich eine ziemlich verkitschte Version des Buches. Wir waren zu ungeduldig gewesen; zwei oder drei Jahre später hätten wir einen viel intelligenteren Sprechfilm daraus machen können.“ Die Fernseherstausstrahlung einer durch die Cineteca di Bologna restaurierten Fassung ist noch immer um zehn Minuten kürzer als bei der Uraufführung in Berlin. Da von der deutschen Fassung kein Material überliefert ist, griff man bei der Restaurierung auf eine Nitratkopie des Dänischen Filminstituts zurück. Die originalen Zwischentitel konnten dank der im Berliner Bundesarchiv/Filmarchiv erhaltenen Zensurkarte rekonstruiert werden. Das siebenköpfige Ensemble Kontraste gestaltete unter dem italienischen Dirigenten Marco Dalpane eine der Stimmungslage, den Figuren und den Schauplätzen hervorragend angepasste Musik. Die Verwendung von populären Melodien schafft so immer wieder Freiräume für innere Spannung und neue Aufmerksamkeit.
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