Tim Burton's Corpse Bride - Hochzeit mit einer Leiche

Animation | USA/Großbritannien 2005 | 77 Minuten

Regie: Tim Burton

An Vorabend seiner Hochzeit ehelicht ein Bräutigam versehentlich eine weibliche Leiche und wird von ihr ins Totenreich geschleppt. Fantasievolle Verfilmung eines russischen Volksmärchens als Puppenanimation, die ihren makabren Stoff mit überbordenden Einfällen anreichert und dabei inszenatorisch wie erzählerisch zu Höchstform aufläuft. Ein überwältigender Trickfilm, der sowohl filmisch als auch musikalisch begeistert und einige schaurig-gruslige Köstlichkeiten zu bieten hat. - Sehenswert ab 10.
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Filmdaten

Originaltitel
CORPSE BRIDE | TIM BURTON'S CORPSE BRIDE
Produktionsland
USA/Großbritannien
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Warner Bros./Tim Burton Animation Co./Laika Ent./Will Vinton Studios
Regie
Tim Burton · Mike Johnson
Buch
John August · Pamela Pettler · Caroline Thompson
Kamera
Pete Kozachik
Musik
Danny Elfman
Schnitt
Jonathan Lucas
Länge
77 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 10.
Genre
Animation
Externe Links
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Heimkino

Die Extras enthalten u.a. eine Tonspur mit der Filmmusik von Danny Elfman.

Verleih DVD
Warner (1:1.85/16:9/Dolby Digital EX 5.1)
Verleih Blu-ray
Warner (16:9, 1.78:1, DD6.1 engl./dt.)
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Diskussion
Mit Hochzeitsschwüren ist nicht zu spaßen. Diese Lektion lernt der schüchterne Victor auf makabre Weise. Nachdem er sich bei der „Generalprobe“ seiner Trauung mit der hübschen Victoria bis auf die Knochen blamiert hat, weil er seine Sprüche immer wieder verpatzte, zieht er sich des nachts in einen winterlich-düsteren Wald zurück, um die Zeremonie noch einmal zu üben. Zwar ist die Heirat von den Eltern arrangiert – Victors bürgerliche Familie hofft, sich dadurch einen Adelstitel zu beschaffen, Victorias aristokratische, aber verarmte Erzeuger wollen sich sanieren –; doch die Verbindung ist für Victor trotzdem zur Herzensangelegenheit geworden, seit er die Braut kennen lernte. Fern von der Verwandtschaft wirkt der junge Mann ungeachtet der schaurigen Umgebung wesentlich gelöster, und so klappt es mit den Schwüren besser – zu gut. Als er zum Abschluss seiner Probe den Trauring über etwas streift, was wie eine Baumwurzel aussieht, findet er sich unversehens als frisch gebackener Gatte einer Leichenbraut wieder: Die Wurzel entpuppt sich als knochiger Finger, und aus dem Schnee erhebt sich ein von leichten Verwesungsspuren gezeichnetes Mädchen in seinem Brautkleid. Das erweist sich als wesentlich zupackender als Victoria und schleppt Victor kurzerhand mit sich ins Totenreich. Über ein Jahrzehnt nach „A Nightmare before Christmas“ (fd 31 095) beweist Tim Burton, dass er das Handwerk des Puppentricks nicht verlernt hat. Sein Film quillt geradezu über vor fantasievollen, skurrilen Figuren, die mittels Stop-Motion-Verfahren zum Leben erweckt werden und sich in detailverliebten Settings bewegen. Für die Animation der Gesichtszüge ließen sich die Macher ein neues Verfahren einfallen: Anstatt wie noch bei „Nightmare“ eine Variation der Gesichtszüge durch „Ersatzköpfe“ herzustellen, bei denen der mimische Ausdruck jeweils um Nuancen veränderbar ist, standen ihm jetzt Puppenköpfe zur Verfügung, deren Mienen durch einen Getriebemechanismus bewegt werden können, was eine weit größere Subtilität im Ausdruck ermöglicht – im Film etwa auf sehr komische Weise umgesetzt, wenn Victorias klumpiger Aristokratenvater seine sonst herabgezogenen Mundwinkel bei der Begrüßung der plebejischen Familie des Bräutigams zu einem falschen Lächeln nötigt. Die Lebendigkeit der Puppencharaktere könnte auch damit zusammenhängen, dass Burton diese vor der Animation von seinen Sprechern – u.a. Johnny Depp als Victor, Emily Watson als Victoria und Helena Bonham-Carter als „Leichenbraut“ – zum Leben erwecken ließ, und die Puppenanimatoren erst auf der Basis der Stimmen ihre Arbeit aufnahmen. Die Schauspieler haben also bei der Gestaltung ihrer Figuren, denen sie im Fall der Protagonisten auch optisch als Vorbild dienten, wesentlichen Anteil. Unterstützt werden ihre Bemühungen, die Gefühle der Puppencharaktere herauszuarbeiten, auch vom Komponisten Danny Elfman, der einmal mehr einen brillanten, stimmungsvollen Score geschaffen hat, bei dem er Viktorianisch- Schauriges mit 1930er-Jahre-Jazz verbindet. Vor allem für die tragische Leichenbraut erfand er nicht nur ein wunderschönes Motiv, sondern auch einen Song, der deutlich macht, wie viel Gefühl in einem Herzen stecken kann, das schon lange zu schlagen aufgehört hat. Burton hatte sich lange nach einem neuen Stoff für einen Puppentrickfilm umgesehen. Er fand ihn in einem russischen Volksmärchen. Tatsächlich ergänzen sich Story und Medium hier kongenial: Der von der Realität abstrahierende Charakter der Puppenanimation unterstützt die Atmosphäre des Märchenhaften, mildert die Drastik der Horrorelemente und erlaubt mehr Freiheit in der Gestaltung der Figuren, in deren Äußerem sich besonders plastisch das Innere spiegeln kann. Den Märchenstoff entwickelten Burtons Drehbuchautoren zu einer Geschichte, die sich nahtlos in den typischen, ebenso schwarzromantischen wie -humorigen Kosmos des Regisseurs einfügt und Elemente des Märchens und der Gothic Novel mit komischen Verweisen auf die Filmgeschichte verbindet. Das romantische Motiv der Totenhochzeit, wie es in zahlreichen Erzählungen und Balladen auftaucht, entfaltet durchaus sein schauriges Potential – etwa wenn die Leichenbraut, dramatisch mit bläulichem Licht von hinten angestrahlt, ihren „Bräutigam“ durch den Wald verfolgt. Jedoch wäre Burton nicht Burton, wenn er nicht einen sehr eigenen Blickwinkel auf das, was normalerweise als gruselig oder eklig eingestuft wird, entwickelt hätte. So entpuppt sich das Totenreich als allemal lebendiger und bunter als die in tristen Grautönen gestaltete, viktorianisch-strenge Oberwelt, und ihre von Standeszwängen befreiten Bewohner sind wesentlich munterer und umgänglicher als die Lebenden – sei es der freundliche Herr, der Victor auf der Straße Platz macht, indem er sich einfach in zwei Hälften teilt, oder die Schwarze Witwe, die mit ihren dürren Spinnenbeinen auf den ersten Blick abstoßend wirkt, bei genauerem Hinsehen mit den langen Wimpern über ihren vielen Augen aber doch ganz niedlich ist. Zu diesem Schluss kommen auch die Lebenden, als sie gegen Ende des Films in eine wilde Hochzeitsparty hineingezogen werden, die die Toten auf der Oberwelt zu Ehren Victors geben. Zwar sind sie zunächst rechtschaffen schockiert, als sie sich einer Horde Leichen gegenüber sehen, doch bald setzt bei vielen ein fröhliches Wiedererkennen von Verstorbenen ein. Was macht es schon, dass einer tot ist, wenn man sich wirklich liebt? Schließlich ist das Leben nur ein sehr flüchtiger Zustand. Auch Victor kommt seiner Leichenbraut allmählich näher – doch kann er Victoria nicht vergessen. Tim Burton gelingt mit „Corpse Bride“ einmal mehr ein verschrobenes Kinomärchen, dessen visueller Reichtum, dessen Witz und Zitierfreudigkeit die melancholische Poetik der Geschichte nicht schmälern. Vielmehr ergänzen sich alle Ingredienzen zu einem furiosen Gruselett, das gleichermaßen zum Lachen, Schaudern und Mitleiden einlädt – und damit ähnlich gekonnt auf der Klaviatur der Emotionen spielt wie Victor auf dem Harryhausen-Flügel. Wer angesichts fallenden Herbstlaubs und kürzer werdernder Tage in depressives Grübeln über die Endlichkeit des Lebens verfällt, wird durch den Burton'schen Totentanz sicher aufgemuntert werden.
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