Ultima Thule - Eine Reise an den Rand der Welt

- | Schweiz/Österreich 2005 | 100 Minuten

Regie: Hans-Ulrich Schlumpf

Ein erfolgreicher Geschäftsmann verunglückt auf der Straße und schwebt auf der Intensivstation zwischen Leben und Tod. Ein Zustand, der sich als subjektive Bilderreise dargestellt: vom Weltall über Eiswüsten bis zur belebten Natur. Zur Inszenierung der Nahtod-Erfahrung nutzt der Film eine fiktional-dokumentarische Form, die sich an Bildern von Caspar David Friedrich und Magritte orientiert. Dabei handelt er von der Poesie im Realen, die sich in faszinierenden Bildern ausdrückt, denen die anspruchsvolle Balance zwischen Diesseits und Jenseits gelingt. Der subjektive Blick und der meditative Rhythmus der Montage verweisen auf den Traumzustand. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
ULTIMA THULE - EINE REISE AN DEN RAND DER WELT
Produktionsland
Schweiz/Österreich
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Ariane Film/SF-DRS/Teleclub
Regie
Hans-Ulrich Schlumpf
Buch
Hans-Ulrich Schlumpf
Kamera
Pio Corradi
Musik
Fazil Say
Schnitt
Fee Liechti
Darsteller
Stefan Kurt (Fred Böhler) · Barbara Auer (Anita Böhler) · Patrick Frey (Arzt, Astronom, Barkeeper) · Leoni Wills (Sara Böhler) · Jeremy Senn (David Böhler)
Länge
100 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Eine Reise an den Rand der Welt: Dies ist die dramaturgische und ästhetische Bewegung von Hans-Ulrich Schlumpf in seinem fiktional-dokumentarischen Werk „Ultima Thule“. Bereits mit „Kongress der Pinguine“ (fd 31 069) wagte er sich ins ewige Eis, mit unvergesslichen Bildern von Kameramann Pio Corradi. Gemeinsam mit ihm nähert sich Schlumpf nun dem Übergang zwischen Diesseits und Jenseits anhand einer Nah-Tod-Erfahrung. Der erfolgreiche Geschäftsmann Alfred Böhler verunglückt auf dem Weg zur Arbeit und wird in die Intensivstation eingeliefert. Während sein Körper schwer verletzt ist und durch Maschinen am Leben erhalten wird, fliegt seine Seele als Adler in eine andere Welt. Seine innere Reise führt ihn durch einen endlos langen Tunnel ins Licht, bis er auf der Kuppel eines Observatoriums anlangt. Sein Blick durch das Fernrohr katapultiert ihn ins Weltall, wobei er vor der Leere und Kälte zurückschreckt. Mit dem Blick des Adlers fliegt er nun über Gipfel und Gletscher, gelangt in wärmere Regionen. Während Ärzte und Pflegepersonal um sein Leben kämpfen, führt die Reise tief in seine Erinnerungen. Böhler erinnert sich an seine frühen Ambitionen, Naturwissenschaftler zu werden. Sein Weg ist nun eine Wanderung entlang der Evolution durch verschiedene Regionen Alaskas – von der Eiswüste über den Mikrokosmos in einem Wassertropfen bis zu den ersten Pflanzen und zur belebten Natur. Seine Faszination führt ihn von der Kälte zur Wärme, vom Tod zurück ins Leben. Hier erwartet ihn seine Frau Anita am Krankenbett. Der Anspruch, eine Nah-Tod-Erfahrung auf die Leinwand zu bringen, birgt Risiken. Viele Klischees und bekannte Vorbilder aus dem Mainstream-Kino stehen im Weg, um diese Erfahrung glaubwürdig zu inszenieren. Schlumpf gelingt es mit dem Blick seiner zweiten Hauptfigur, dem Adler, einen Schwebezustand zu erzeugen, der an den neoromantischen Ansatz von Godfrey Reggio in „Koyaanisqatsi“ (fd 24 271) erinnert. Die Flüge über den Aletsch-Gletscher und die Eislandschaft in Alaska sind so faszinierend, dass die Unterbrechungen durch die Spitalszenen fast schmerzhaft sind. Hier grenzt sich Schlumpf klar von einer allzu einfachen Identifikation ab und zeigt die Szenen in der Intensivstation dokumentarisch genau. Umso traumhafter wirken dagegen die inneren Bilder der Reise, die in einem ruhigen und meditativen Rhythmus geschnitten sind. In der Bildsprache bewegt sich der Film zwischen dem Romantiker Caspar David Friedrich und dem Surrealisten Magritte. Die Subjektivierung der Erzählperspektive beginnt mit dem Blick durchs Fernrohr. Hier führt der Film in eine Reise durchs Weltall, die sich an Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ (fd 15 732) orientiert. Was anschließt, sind Traumbilder, Innen-Welten der Hauptfigur. Dabei interessiert sich Schlumpf vor allem für eine Poesie im Realen: Seine Bilder der Naturschönheit wirken nachhaltig. Der blaue Planet aus dem Blickwinkel des Astronauten, die Bilder der Eiswüste aus der Flugperspektive und die belebte Natur aus der Sicht des Wanderers vermitteln ein Gefühl für die Immanenz der Transzendenz. Hier scheint etwas im Realen durch, was nicht von dieser Welt ist. „Ultima Thule“ bekommt als Titel gebende Metapher eine vielschichtige Bedeutung. In der Antike war dies der sagenumwobene Ort am nördlichen Rand der Welt. Es ist ein Ort in einer Region, die nicht auf der Landkarte verzeichnet ist. Zugleich handelt es sich um das entfernteste Ziel menschlichen Strebens. Ganz prosaisch ist es u.a. der Name der Lodge, die als Basislager für die Dreharbeiten in Alaska diente. Zudem klingt die Geschichte Grönlands an: Thule ist der von Rasmussen Anfang des 20. Jahrhunderts gegründete Ort, der seit 1953 als Atomwaffenstützpunkt von den USA genutzt wird. In diesem assoziativen Geflecht gelingt Schlumpf die Gratwanderung zwischen dem Diesseits und dem Jenseits, im Kopf eines Mannes, dem sich eine neue Lebensperspektive eröffnet.
Kommentar verfassen

Kommentieren