Drama | USA 2005 | 95 Minuten

Regie: Tim Kirkman

Ein im behüteten amerikanischen Kleinstadtkosmos lebendes Pfarrerehepaar scheint mit seinem homosexuellen Sohn gebrochen zu haben. Diesen treibt es an einen verschlafenen Küstenort, wo er das Überleben einer bedrohten Schildkrötenart sichert. Zur selben Zeit trauert eine Frau mittleren Alters, die als 17-Jährige ihren Sohn zur Adoption freigab, um die verpasste Chance des Mutterglücks und begibt sich auf die Suche nach dem Sohn. Das virtuos komponierte, hervorragend gespielte Drama nimmt Problematiken wie Homosexualität und Zwangsadoption zum Anlass, um eindrucksvoll über die Flüchtigkeit von Lebenskonzepten zu reflektieren. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
LOGGERHEADS
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Independent Dream Machine/LaSalleHolland/Loggerheads
Regie
Tim Kirkman
Buch
Tim Kirkman
Kamera
Oliver Bokelberg
Musik
Mark Geary
Schnitt
Caitlin Dixon
Darsteller
Tess Harper (Elizabeth Austin) · Bonnie Hunt (Grace Bellamy) · Michael Kelly (George) · Michael Learned (Sheridan Bellamy) · Kip Pardue (Mark Austin)
Länge
95 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Die Extras umfassen u.a. einen Audiokommentar des Regisseurs sowie ein Feature mit im Film nicht verwendeten Szenen.

Verleih DVD
Pro-Fun (16:9, 1.78:1, DD2.0 engl.)
DVD kaufen

Diskussion
Schildkröten scheinen etwas Magisches an sich zu haben: Wenn sie an Land schlüpfen, sind sie empfindlich und eine leichte Beute für die Möwen, haben sie aber erst einmal im Wasser Sicherheit gefunden, werden sie steinalt und geheimnisvoll. Schon John Irvin setzte diese Tiere in „Ozeanische Gefühle“ (fd 26 875) als Katalysator gegen das stillstehende Leben zweier Menschen ein. 20 Jahre später nun tut es ihm Tim Kirkman mit „Loggerheads“ gleich. Mark Austin hat es sich am Strand des verschlafenen Städtchens Kure Beach, North Carolina, zur Aufgabe gemacht, frisch geschlüpfte Schildkröten der bedrohten Loggerheads sicher ins Wasser zu begleiten. Mark ist ein Vertriebener, ein Schutzsuchender, der seine eigene Hilflosigkeit niemandem eingesteht. Seit Jahren lebt er nun schon nicht mehr bei seinen Eltern, einem Pfarrerehepaar aus dem noch verschlafeneren Eden, denn sein Bekenntnis zur Homosexualität passte nicht in das Bild der Kleinstadt. Auch in Kure Beach ist der „Landstreicher“ nicht gerne gesehen, wenn er die Ordnung der Dinge durch seine Tätigkeit und seine unerlaubten Übernachtungen am Strand ins Wanken bringt. Nur George, der am Ort ein kleines Motel betreibt, nimmt sich des Mittellosen an und überlässt ihm eines seiner seit langem ungenutzten Zimmer. Zwischen den beiden entwickelt sich langsam eine Beziehung, die über eine normale Freundschaft hinausgeht. Eine simple Liebesgeschichte entwickelt sich daraus jedoch nicht, dazu sind die weiteren Handlungsebenen des Films, die das Drehbuch virtuos ineinander webt, zu prägnant. Es sind die Geschichten zweier Mütter, die dem Film eigentlich am Herzen liegen: Da ist zunächst Elizabeth, die in latenter Angst lebt, man würde sie nach dem Verbleib ihres Sohns fragen, dessen Existenz in der Familie erstaunlich leicht einfach ad acta gelegt wurde. Insgeheim aber sehnt sie sich nach Mark, denkt an ihn in einer Mischung aus Angst und Wehmut, wenn sie heimlich auf der Veranda eine Zigarette raucht und damit gegen die Regeln des Hauses verstößt. Schließlich ist da Grace, die als 17-Jährige ihr Kind zur Adoption freigegeben hat und seither bei jedem jungen Mann für einen Augenblick überlegt, wie es wäre, ihn als Sohn zu haben. „Loggerheads“ würde diese drei Geschichten nicht erzählen, um sie nicht schließlich auch zusammen zu führen, doch das vorhersehbare Happy End erwartet man vergebens. Dafür nehmen Drehbuch und Regie ihre Protagonisten, die frei nach einer wahren Geschichte fiktionalisiert wurden, einfach zu ernst. Die Emotionen, die „Loggerheads“ evoziert, sind dezent und lassen sich weniger an Liebe als an Verlustängsten fest machen. Probleme wie die Akzeptanz von Homosexuellen auf dem amerikanischen Land, AIDS oder Zwangsadoption wirken dabei nie aufgesetzt, vielmehr als ein natürliches Geflecht, durch das sich die Protagonisten schlagen müssen. Deshalb ist „Loggerheads“ auch kein „Schwulenfilm“, sondern ein überzeugender Film über das Leben ganz allgemein. Kirkman kann dabei auf ein brillantes Ensemble zurückgreifen, dem er durch lange Kameraeinstellungen und den betont unaufgeregten Erzählstil alle Möglichkeiten lässt, den Charakteren Tiefe zu geben und Klischees stets zu meiden. Besonders sticht Kirkmans Talent hervor, allein durch das Mittel der Montage Zeit zu verdichten, und damit auf eher beiläufige Art Spannung zu erzeugen. Die Geduld, das Geschick und den Mut schließlich, die einen Regisseur auszeichnen, der es versteht, auf einen völlig ausgereizten Song zu schneiden, um damit einen Minikosmos im Netzwerk der Geschichte zu entwerfen – das ist eine Seltenheit im aktuellen Erzählkino.
Kommentar verfassen

Kommentieren