Ulzhan - Das vergessene Licht

- | Frankreich/Deutschland/Kasachstan 2007 | 105 Minuten

Regie: Volker Schlöndorff

Ein Franzose hat seine Familie verloren und begibt sich auf eine Reise durch die Einöden Kasachstans, vorgeblich aus Abenteuerlust, in Wahrheit jedoch aus Todessehnsucht. Obwohl er den Kontakt zu Menschen meidet, finden ihn ein Kauz, der in die Rolle eines Schamanen schlüpft, und die Tochter eines Pferdezüchters, die seine Trauer spürt und ihn gegen seinen Willen begleitet. Stilisierter Film als Hymne auf das Leben, der mit intensiven Landschaftsaufnahmen, stimmungsvoller Musik und metaphorisch aufgeladenen Ort aufwartet, wobei die angestrebte Leichtigkeit gelegentlich an formaler Kunstsinnigkeit krankt. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
ULZHAN
Produktionsland
Frankreich/Deutschland/Kasachstan
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
Fly Times Pictures/Volksfilm/Kazakhfilm National Company/Project Images Films/BR/ARTE France
Regie
Volker Schlöndorff
Buch
Jean-Claude Carrière
Kamera
Tom Fährmann
Musik
Bruno Coulais · Kuat Shildebaev
Schnitt
Peter R. Adam · Béatrice Pettovich
Darsteller
Philippe Torreton (Charles) · Ayanat Ksenbai (Ulzhan) · David Bennent (Shakuni)
Länge
105 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
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Heimkino

Verleih DVD
X Filme (1:2,35/16:9/Deutsch DD 5.1/Engl.)
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Der Mann schleppt eine Tragödie mit sich herum. Und er trägt sie als Foto bei sich: eine Frau, ein Kind; Erinnerungen an glücklichere Tage. Was genau geschah, erfährt der Zuschauer nicht. Doch schon bald ahnt man genug, um sich ein eigenes Bild zu machen. Der Franzose Charles, die Hauptfigur in Volker Schlöndorffs Psycho-Drama, hat offensichtlich seine Familie verloren. Wahrscheinlich bei einem Autounfall. Jetzt will er nur noch weg. Weg aus Frankreich, weg aus der Welt. Warum er sich unter allen Einöden ausgerechnet die Kasachstans zur Flucht ins Nirgendwo ausgesucht hat, wird ebenfalls nie wirklich aufgeklärt. Zuerst behauptet Charles von sich selbst, auf Schatzsuche zu sein. Seine Gleichgültigkeit gegenüber allem, was ihm widerfährt, passt jedoch nicht zu dieser vorgeblichen Abenteuerlust. Gleich an der Grenze werden ihm die Papiere gestohlen. In einer Bar lässt er sich abzocken und ausrauben, teilnahmslos in einen Flirt hineintreiben. Auf einem Ölfeld wird er von der Polizei festgenommen und als mutmaßlicher Spion in die Hauptstadt Astana verfrachtet, eine grotesk-futuristische Retortenmetropole mitten in der Steppe. Freigelassen geht er weiter staubige Landstraßen entlang und jedem sozialen Kontakt aus dem Weg. Die Menschen aber finden ihn. Zunächst ein seltsamer Kauz, wie ein mittelalterlicher Narr und Spielmann, den es durch Zeit und Raum hierher verschlagen hat. Shakuni (entsprechend theatralisch gespielt vom Oskar der „Blechtrommel“, David Bennet) nennt sich selbst einen Schamanen. Eines Nachts schlägt er in einem ehemaligen Gulag sein Lager neben Charles auf. Er lebe davon, seltene Wörter zu verkaufen, erzählt er. Auf einem alten Motorrad fährt er Charles hinterher. Während Shakuni mit Witz und Humor eine geistige Verbindung zu Charles aufzubauen versucht, nähert sich ihm die Französischlehrerin Ulzhan ohne viele Worte an. Und dringt direkt zu seiner Seele vor. Ulzhan, die Tochter eines Pferdezüchters, verkauft ein Pferd an Charles. Sie spürt die Trauer des Fremden und glaubt nicht an seine Schatzsuche. Gegen seinen Willen begleitet sie ihn. Vergeblich versucht er sie abzuschütteln. Instinktiv begreift Ulzhan, dass Charles dem Tod entgegen reist. Sein Ziel ist der Heilige Berg Khan Tengri, zu dem sich die Schamanen einst zum Sterben zurückgezogen haben. „Zur Abwechslung“ hat Schlöndorff über „Ulzhan – Das vergessene Licht“ gesagt, wollte er einmal „keine Literatur, keine Politik, auch keine Vergangenheitsbewältigung“ auf die Leinwand bringen. Stattdessen sollte sein Film „reine Kür, eine Hymne auf das Leben“ werden. Tatsächlich wird in nahezu jeder Einstellung, jedem Schwenk spürbar, worauf der deutsche Regie-Altmeister hinaus will. Ein „sehr lyrischer Film“ soll es sein. Eine „Liebesgeschichte fast ohne Worte“; stattdessen mit langen Landschaftsaufnahmen, stimmungsvoll musikalisch untermalt mit lauter sprechenden Orten: einem Arbeitslager, Ölfeldern, einem verseuchten Atombombentestgelände und dem mythischen Todesberg als Zielpunkt. Schlöndorff lehnt sich in seiner Bildsprache augenfällig an Filmemacher an, die in ähnlich verlassenen, ländlichen Gegenden wie Kasachstan zu Hause sind: der Mongolei, dem Iran, Lappland, Armenien. Doch wo in den Filmen Wang Quan’ans („Tuyas Hochzeit“, fd 38 277), Rafi Pitts’ („It’s Winter – Zemestan“, fd 38 408), Aleksandr Rogoshkins („Kukushka – Der Kuckuck“, fd 37 136) oder Hiner Saleems („Wodka Lemon“, fd 36 947) die lakonische Perspektive eine karge, urtümliche Welt widerspiegelt, in der Gesellschaft und Natur ineinander verwoben sind, entspringt die Inszenierung bei Schlöndorff dem formalen Bemühen um Poesie. Die leeren Landschaften werden so zu seelischen Projektionsflächen deformiert und historisch, psychologisch vollgepackt. Metaphorisch aufgeladen bis zum Äußersten. Letztlich ist dann doch wieder alles Literatur, Politik und Geschichte. Bloß diesmal durch die Hintertür erzählt. Shakuni und Ulzhan bleiben stets Figuren, literarische Zitate (der Schelm Shakuni ist laut Schlöndorff dem indischen Epos „Mahabarata“ entliehen) oder mystische, seelentröstende Gestalten wie Ulzhan. Die Schauplätze kommentieren reale Geschichte und spiegeln Charles’ fiktive Innenwelt. Die vielfach versymbolisierten Landschaftsaufnahmen entbehren damit gerade jener Leichtigkeit, die es gebraucht hätte, um dem tiefgründigen Schlöndorff-Œuvre zur „Abwechslung“ mal eine spielerische Kino-„Kür“ hinzuzufügen. Gerade weil die Bilder nicht in einem greifbaren literarischen oder historischen Stoff verankert sind, versteigt sich die formale Kunstsinnigkeit ins Prätentiöse. Schlöndorff schrammt mit „Ulzhan – Das vergessene Licht“ zwar nur knapp an einem wunderschönen Film vorbei, doch er tut dies in einer cineastischen Nische, in der ein kleiner Schritt auf die falsche Seite genügen kann, um tief zu fallen.
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