Der Krieg des Charlie Wilson

- | USA 2007 | 97 Minuten

Regie: Mike Nichols

Ein texanischer Kongressabgeordneter, Lebemann und leidenschaftlicher Antikommunist, versorgt quasi im Alleingang die afghanischen Mujaheddin nach dem Einmarsch der Sowjets in den 1980er-Jahren mit Waffen und Munition und unterstützt entgegen amtlicher US-Politik deren Kampf. Die schillernde, ebenso amüsante wie irritierende Polit-Satire lebt von geschliffenen Dialogen und den vor allem in den Nebenrollen überzeugenden Darstellern. Dabei hält sich der Film weitgehend an die historischen Fakten, blendet aber die bitteren Bezüge zur Gegenwart aus. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
CHARLIE WILSON'S WAR
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
Universal Pic./Good Time Charlie Prod./Playtone/Paticipant Prod./Relativity Media
Regie
Mike Nichols
Buch
Aaron Sorkin
Kamera
Stephen Goldblatt
Musik
James Newton Howard
Schnitt
John Bloom · Antonia Van Drimmelen
Darsteller
Tom Hanks (Charlie Wilson) · Julia Roberts (Joanne Herring) · Philip Seymour Hoffman (Gust Avrakotos) · Amy Adams (Bonnie Bach) · Emily Blunt (Jane Liddle)
Länge
97 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Universal (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion
Es ist eine bittere Ironie der Zeitgeschichte, dass ausgerechnet aus den Reihen der Mujaheddin, die für ihren Krieg gegen die Sowjetunion von der CIA aufgerüstet wurden, der aktuelle Erzfeind der USA hervorging. Das räumt „Der Krieg des Charlie Wilson“ gleich in der ersten Einstellung mit einer ironischen Paraphrase des berühmten Pistolenschusses aus „The Great Train Robbery“ (1903) ein, wenn ein afghanischer Freischärler, dessen Silhouette sich zunächst beim Gebet gegen den Nachthimmel abzeichnet, eine Panzerfaust in Richtung Publikum abfeuert. Daher ist umso überraschender, dass die Polit-Satire anschließend für anderthalb Stunden die Gegenwart ausblendet. Der Ton erinnert, obwohl die Themen kaum unterschiedlicher sein könnten, an die erste Hälfte von „Boogie Nights“ (fd 33 156): Auch Mike Nichols’ neuester Film schwelgt in naiver Dekadenz, wobei die ironische Nostalgie allein wegen unseres Wissens um die Nebenfolgen melancholisch eingefärbt ist. Doch während Paul Thomas Anderson in der zweiten Hälfte seines Pornoindustrie-Epos ebenso ausschweifend das Zerbersten von Illusionen ausmalte, deutet Nichols die unbeabsichtigten Konsequenzen, die das draufgängerische Handeln seiner Figuren hat, zuletzt nur ganz dezent noch einmal an. Als man den Protagonisten kennen lernt, sitzt der texanische Kongressabgeordnete mit Stripperinnen im Whirlpool, wobei Champagner fließt und Koks die Runde macht. Die Szene entspricht, wie angeblich die gesamte Filmhandlung, recht genau historischen Begebenheiten aus den 1980er-Jahren, wobei sie die prägnantesten Eigenschaften Charlie Wilsons auf den Punkt bringt, indem sich dessen Aufmerksamkeit schließlich auf einen Fernsehbericht aus Afghanistan konzentriert. Der Lebemann war nämlich leidenschaftlicher Antikommunist, den die sowjetische Invasion Afghanistans in Rage brachte. Die Eigenheiten des amerikanischen Parlamentarismus, der Ausschussmitgliedern enormen Einfluss auf einzelne Politikfelder eröffnet, ermöglichten es diesem Hinterbänkler, den Mujaheddin fast im Alleingang jene Waffen und Munition zuzuschanzen, die Voraussetzung für ihren Sieg gegen die Sowjets waren. Weil die massive Aufrüstung zunächst amtlicher US-Politik widersprach – von Gesetzen ganz zu schweigen – und der Hilfe Pakistans sowie Israels und Ägyptens bedurfte, war Wilson bei seiner geheimen Mission allerdings auf die Kooperation eines ähnlich eigensinnigen CIA-Manns angewiesen. Fast jeder Satz, den dieser hemdsärmelige Geheimagent sagt, sprüht vor trockenem Witz, weshalb man beinahe übersehen könnte, welche Leistung darin liegt, dass Philip Seymour Hoffman die geschliffenen Dialoge von Drehbuchautor Aaron Sorkin, dem Erfinder der TV-Serie „The West Wing“, schnodderig klingen lässt. Im Vergleich dazu wirkt Wilson beinahe harmlos, zumal Tom Hanks’ weiche Gesichtszüge nicht den kantigen Charme vermitteln, den der echte Wilson sogar nach einer Herztransplantation noch ausstrahlt. Umso imponierender ist indes Julia Roberts in der Rolle einer texanischen Millionärin, die in ihrem reaktionären Eifer Wilson überhaupt erst zur afghanischen Mission inspirierte. Roberts legt diese Nebenfigur als ebenso überkandidelte wie souveräne Diva an, die schon Eindruck macht, wenn sie in Großaufnahme eine Sicherheitsnadel zum Wimperntusch-Utensil umfunktioniert. Nichols treibt den Plot so beschwingt voran, dass er sich schließlich dazu versteigt, die Nachricht vom Mujaheddin-Sieg mit einer Großaufnahme des Hinterns einer Wilson-Assistentin einzuleiten. Diese frivole Ausgelassenheit im Erzählton ist freilich nur möglich, weil der Film Abstand zu den siegreichen Bodentruppen wahrt. Bei Wilsons erstem Besuch in Pakistan hört man vom Elend afghanischer Zivilisten, dessen Ausmaß die abschließende Panoramaeinstellung eines Flüchtlingscamps eindrücklich suggeriert. Das legitimiert Wilsons Handeln ebenso wie die erste Darstellung eines sowjetischen Luftangriffs, die vorübergehend die Ego-Shooter-Perspektive eines Videospiels nachahmt. Die Mujaheddin bekommt man während des Films kaum zu sehen – weshalb die Nachricht, dass nach dem Abzug der Sowjets irgendwelche „crazies“ nach Kandahar strömen, sehr unvermittelt in Washington eintrifft. Wer genau diese Irren sind, und woher sie kommen: darüber hält sich dieser ebenso amüsante wie irritierende Film bis zuletzt bedeckt.
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