Wie weit noch?

Road Movie | Ecuador 2006 | 92 Minuten

Regie: Tania Hermida

Eine junge spanische Touristin lernt auf einer Reise durch Ecuador eine Studentin kennen, die von Quito nach Cuenca unterwegs ist, um die Heirat ihres Geliebten zu verhindern. Die beiden gegensätzlichen Frauen werden zu Reisegefährtinnen. Kraftvolles, authentisch wirkendes Road Movie, das in mehrfacher Hinsicht neue Perspektiven eröffnet. Bis auf einen aufdringlichen Off-Kommentar überzeugt der Film durch genaue Beobachtungen und einen leisen Humor. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
QUÉ TAN LEJOS
Produktionsland
Ecuador
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Corporación Ecuador para Largo
Regie
Tania Hermida
Buch
Tania Hermida
Kamera
Armando Salazar
Musik
Nelson García
Schnitt
Iván Mora Manzano
Darsteller
Tania Martinez (Esperanza) · Cecilia Vallejo (Tristeza) · Pancho Aguirre (Jesus) · Fausto Miño (Andrés)
Länge
92 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Road Movie
Externe Links
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Diskussion
Vom Reisen erzählt dieser Film, und damit natürlich vom Kino selbst, vom Filmemachen und -sehen. Der ecuadorianischen Regisseurin Tania Hermida geht es in ihrem Langfilmdebüt um den Blick, den wir auf die Dinge richten, und darum, dass dieser Blick nie neutral und unvoreingenommen ist. Weshalb es sich besonders lohnt, sich auf das Hier und Jetzt einzulassen, sein Augenmerk auf die Geschehnisse am Wegesrand, die kleinen Begebenheiten jenseits der ausgetrampelten Hauptpfade zu lenken. Dieses Bestreben kommt gerade zu Beginn etwas didaktisch daher. Die beiden Hauptfiguren Esperanza und Teresa werden als klares Gegensatzpaar eingeführt, was schon die Namensgebung deutlich macht. Denn Teresa stellt sich gegenüber ihrer Antipodin mit dem Namen „Hoffnung“ spontan als „Tristeza“, „Traurigkeit“, vor. Esperanza ist eine Touristin aus Barcelona, die sich mit dem „Lonely Planet“ unterm Arm die Schönheiten des südamerikanischen Landes ansehen will, Teresa ist eine Studentin aus Quito, die sich auf den Weg nach Cuenca im Süden des Landes macht, um ihren Geliebten von der Heirat mit einer anderen abzuhalten. Im Bus treffen sie aufeinander und bilden alsbald ein Reisegespann, das sich trampend weiterbewegt, als der Bus wegen Straßenblockaden und eines Streiks der indigenen Bevölkerung auf halber Strecke stehen bleibt. Die naive, aber auch optimistische Perspektive der europäischen Touristin kontrastiert mit dem vielleicht realistischeren, zumindest aber schlechter gelaunten Blickwinkel von „Tristeza“ auf ihr Land. Mit dem Fortgang der Reise nähern sich die Perspektiven an, und damit findet auch der Film zu einer natürlicheren, entspannteren Erzählhaltung. „Wie weit noch?“ folgt Esperanza und Teresa auf ihrem Weg vorbei an schneebedeckten Vulkanen, hügeligen Landschaften und gesichtslosen Ortschaften, zu Fuß, im Auto oder auf der Ladefläche eines Trucks. Dass das Land durch den Streik seltsam entvölkert wirkt, ist ein reizvoller Schachzug: Es gibt dem Schauplatz Ecuador etwas Unwirkliches, Tristes, das herkömmliche Vorstellungen von lateinamerikanischer Lebensprallheit konterkariert, und es fokussiert den Blick auf die zentralen Figuren und ihre sporadischen Begegnungen mit Einheimischen. Irgendwann schält sich aus dem für die Anden so typischen Nebel ein hagerer, hoch gewachsener Mann namens „Jesús“ heraus, der sich den beiden jungen Frauen anschließt. Der Mann mit dem dichten Bart und der Urne seiner Großmutter unterm Arm hat tatsächlich etwas von einem Messias an sich. In sich ruhend und mit abgeklärter Weisheit vermag er vor allem der unglücklichen Teresa eine gewisse Erdung zu geben. Ob es ein Happy-End oder nicht gäbe, hänge immer bloß davon ab, wo einer den Schlusspunkt für seine Geschichte setze, erklärt Jesús irgendwann – kurz darauf ist er verschwunden, so plötzlich, wie er am Tag zuvor aufgetaucht war. Analog zu Jesús’ Erkenntnis erzählt der Film davon, wie sich mit dem Reisen und dem Blick in fremde Welten die Perspektiven weiten – was schmerzhaft sein kann, letztlich aber, daran lässt der Film keinen Zweifel, befreiend wirkt. Dabei ist „Wie weit noch?“ alles andere als Kino, wie es Esperanza liebt, in dem es Sex, Drogen, Mord und Totschlag gibt. Es ist ein Road Movie, das auf unspektakuläre Weise kleine Annäherungen an so manche große Frage des Lebens versucht. Dramaturgisch und inszenatorisch wirkt der Film, der in Ecuador ein großer Erfolg war, mitunter etwas holprig, aber immer authentisch. Die feine Beobachtung alltäglicher Begebenheiten und ein leiser Humor prägen ihm. Unterstrichen wird dieser Eindruck des „Echten“ und fast dokumentarisch Anmutenden auch durch den regional stimmigen Score aus Gitarren- und Pianoklängen sowie durch Bilder, die die Schönheit Ecuadors einfangen, ohne sie auf Postkartenansichten zu reduzieren. Absolut entbehrlich wären jedoch die enervierenden Off-Kommentare gewesen, mit denen die zentralen Figuren und Orte im Stile eines Lexikons oder Reiseführers eingeführt werden. Schade, dass Tania Hermida hier nicht auf ihre erzählerische Kraft vertraut hat.
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