Drama | Deutschland/Dänemark/Niederlande 2009 | 105 Minuten

Regie: Hans-Christian Schmid

Die Anklage gegen einen Ex-Befehlshaber der jugoslawischen Armee wegen Menschenrechtsverletzungen vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag droht zusammenzubrechen, als der Hauptbelastungszeuge Selbstmord begeht. In der Schwester des Toten entdeckt die engagierte Anklägerin eine weitere Zeugin der Gräuel. Diese zögert, vor Gericht auszusagen, doch auch politische Verstrickungen bedrohen den Prozess. Ein überzeugender Politthriller mit eindrucksvollen Hauptdarstellerinnen, die ebenso wie die um Authentizität bemühte Inszenierung den politischen Fragen nach der Ahndung von Kriegsverbrechen Dringlichkeit verleihen. (Kinotipp der katholischen Filmkritik) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
STORM
Produktionsland
Deutschland/Dänemark/Niederlande
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
23/5 Filmprod./Zentropa Int. Köln/Zentropa Ent. Berlin/Zentropa Entertainments5/Zentropa Int. Netherlands/IDTV/Film i Väst/SWR/ARTE/WDR/BR
Regie
Hans-Christian Schmid
Buch
Bernd Lange · Hans-Christian Schmid
Kamera
Bogumil Godfrejów
Musik
The Notwist
Schnitt
Hansjörg Weissbrich
Darsteller
Kerry Fox (Hannah Maynard) · Anamaria Marinca (Mira Arendt) · Stephen Dillane (Keith Haywood) · Rolf Lassgård (Jonas Dahlberg) · Alexander Fehling (Patrick Färber)
Länge
105 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama

Diskussion
Es gibt Regisseure, deren gesamtes Werk sich als Variation eines einzigen Films deuten lässt. Es sind, wenn man an derart obsessiv Getriebene wie David Lynch, Ingmar Bergman oder Rainer Werner Fassbinder denkt, nicht die schlechtesten. Hans-Christian Schmid gehört nicht zu ihnen. Er zählt auch nicht zu den Vielfilmern, die jedes Jahr wenigstens einen Film heraushauen und neben jeder Menge Ramsch auch manche Kinoperle auf die Leinwand bringen. In den 13 Jahren, die seit seinem charmanten Debüt „Nach fünf im Urwald“ (fd 31 882) vergangen sind, inszenierte der an der HFF München ausgebildete Dokumentarfilmer „nur“ fünf weitere Spielfilme. Diese sind dafür umso sorgfältiger. So ist Schmids Œuvre bislang noch von Ausrutschern verschont geblieben. Jeder Film ist auf seine Art gelungen: „23“ (fd 33 482) als rauer Hacker-Thriller, „Crazy“ (fd 34 303) als warmherzige Teeniekomödie, „Lichter“ (fd 36 069) als realitätsnahes Gesellschaftsporträt, „Requiem“ (fd 37 501) als aufwühlende Psychostudie. Dabei meisterte Schmid Außen- und Innenperspektiven, soziales und psychologisches Drama und erwies sich als Entdecker (im Kino) eher unbekannter Schauspieler wie Franka Potente, August Diehl oder Sandra Hüller. Eine solche Entdeckung gibt es in „Sturm“ trotz guter Hauptdarsteller nicht, was wohl vor allem daran liegen dürfte, dass der politische Blick von außen über die seelische Innenschau dominiert. Im Mittelpunkt steht eine Anklägerin am Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Die von Kerry Fox glaubwürdig verkörperte Hannah Maynard ermittelt gegen Goran Duric, einen ehemaligen Befehlshaber der jugoslawischen Armee. Doch ihre Beweisführung bricht zusammen, als ihr Hauptbelastungszeuge der Falschaussage überführt wird und sich kurz darauf das Leben nimmt. Die Anklage droht zu scheitern, bis Hannah auf dem Begräbnis des Zeugen Mira Arendt begegnet, der Schwester des Toten, und herausfindet, dass sie eines der Opfer von Duric war. Mira wurde von Durics Einheit in ein Vergewaltigungscamp verschleppt, worüber sie jahrelang schwieg, auch gegenüber ihrem eigenen Mann. Jetzt will sie endlich aussagen, doch genau das versuchen die Täter von damals gewaltsam zu durchkreuzen. Dennoch gelingt es Hannah, Mira zu einer Aussage zu bewegen, was in Folge fragwürdiger politischer Absprachen hinter den Kulissen noch verhindert werden soll – und das ausgerechnet von Hannahs eigenen Leuten. Mit „Sturm“ hat Schmid als Spielfilmregisseur erstmals (beinahe) vollständig deutschen Boden verlassen – der Bezug zum Produktionsland wird nur noch behelfsmäßig aufrecht erhalten (Mira lebt dort mit ihrem deutschen Mann) – und jenen internationalen Blickwinkel eingenommen, der sich schon in „Lichter“ andeutete und auch Schmids jüngsten Dokumentarfilm „Die wundersame Welt der Waschkraft“ (fd 39 275) prägte. „Sturm“ ist Schmids erste überwiegend englischsprachige Produktion und markiert einen weiteren Schritt in der Entwicklung vom bayerischen zum internationalen Filmemacher, vom kleinen zum großen Kino, ohne dass der Regisseur auf diesem Weg seine aus dem Dokumentarfilm entlehnten Prinzipien wie die differenzierte Charakterbeschreibung oder den intimen (Hand-)Kamerablick aufgegeben hätte. Während bei Schmid der Sprachwechsel keinen Identitätsverlust bewirkt, ist das bei seinen Filmfiguren ganz anders. Gleich zu Beginn ist es die Frau des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Duric, die das familiäre Idyll der am Strand spielenden Kinder mit einem harschen „Sprich Spanisch!“ durchbricht. Später, als Mira von einer Zeugenbegleiterin in ein gesichertes Hotel geführt wird, wo sie auf den Tag ihrer Aussage warten soll, wird ihr eingeschärft: „Sprechen Sie nicht in Ihrer Muttersprache!“ Diese Sprachversagung symbolisiert eine verdrängte, unaufgearbeitete Vergangenheit, der sich Mira aus zutiefst persönlichen, therapeutischen Beweggründen stellen möchte, ja stellen muss, indem sie ihr langjähriges Schweigen bricht und die erlittenen Erniedrigungen in Worte fasst. Es sind die individuellen Geschichten wie die von Mira, die hier als Fundament einer historischen Vergangenheitsbewältigung erahnbar werden. Das, so suggeriert Schmids Film, ist es, worauf es in Den Haag zu allererst ankommt: den Opfern ihre Stimmen zurückzugeben, ihnen zuzuhören. Gerade dieses Recht droht ihnen durch opportunistisches Geschacher und bürokratische Routine versagt zu werden. Vor der Folie eines packenden Politthrillers lässt sich der in den Hauptrollen überzeugend, in den Nebenrollen bisweilen etwas unglücklich besetzte Film auch als Appell für eine stärkere Unterstützung des mit viel zu geringen Ressourcen ausgestatteten Tribunals lesen, dessen UN-Mandat 2010 beendet werden soll. Indirekt macht sich „Sturm“ für eine Verlängerung dieses Mandats stark, unmittelbar schlägt er sich im Zwiespalt zwischen individueller Wahrheitsfindung und politischem Pragmatismus auf die Seite der Einzelnen. So finden zumindest hier die kleinen Leute, die Opfer im großen Spiel der Macht, doch noch Gehör. Im Bemühen um eine authentische Darstellung des Geschehens greift Schmid auf formale Mittel zurück, die vor Jahren noch primär mit Dokumentationen assoziiert wurden – wacklige Handkamerabewegungen, ruckartige Zooms –, sich mittlerweile aber als Darstellungsmittel von Authentizität im Spielfilm etabliert haben. Die Stärke von „Sturm“ wie von Schmid ist es, diesen Stil nicht als formalistisches Blendwerk zu verwenden, sondern mit seiner Hilfe emotionale Nähe und damit auch die nötige Empathie zu erzeugen, um dringliche politische Fragen glaubhaft aufzuwerfen.
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