Men On The Bridge - Köprüdekiler

- | Deutschland/Türkei/Niederlande 2009 | 87 Minuten

Regie: Asli Özge

Dokumentarisch beeinflusste Stadt- und Milieustudie aus Istanbul, die Ausschnitte aus dem Alltag eines Sammeltaxifahrers, eines Blumenverkäufers und eines Verkehrspolizisten zeigt. Nah am Leben seiner Protagonisten, handelt der Film von einer Gesellschaft, die unweit des Existenzminimums von einem besseren Leben träumt und sich im Alltagsstress aus Überlebenskampf, nationalistischer Phraseologie und vetternwirtschaftlicher Hackordnung aufreibt. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
KÖPRÜDEKILER
Produktionsland
Deutschland/Türkei/Niederlande
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
Endorphine Prod./Yeni Sinemacilik/Kaliber Film/BR/ZDF-3sat/Rush Hour Films
Regie
Asli Özge
Buch
Asli Özge
Kamera
Emre Erkmen
Schnitt
Vessela Martschewski · Aylin Zoi Tinel · Christof Schertenleib
Darsteller
Fikret Portakal · Murat Tokgöz · Umut Ilker · Cemile Ilker
Länge
87 Minuten
Kinostart
22.07.2010
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Externe Links
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Diskussion
Die Bosporusbrücke, die den europäischen und den asiatischen Teil Istanbuls miteinander verbindet, gilt als Symbol für die kulturelle Vielstimmigkeit der türkischen Metropole. Mit „Crossing the Bridge“ (fd 30 904) setzte Fatih Akin dieser Atmosphäre ein filmisches Denkmal. Doch abseits der Szene-Viertel gärt es: die Vororte der 12,8-Millionen-Stadt sind von hoher Arbeitslosigkeit geprägt, und viele Istanbuler leben mit Niedriglöhnen am Existenzminimum. „Men on the Bridge“ zeigt drei von ihnen. Die Lebenswege des Sammeltaxifahrers Umut, des Verkehrspolizisten Murat und des Blumenverkäufers Fikret treffen sich auf der Bosporusbrücke. Hier, im Dauerstau zwischen Europa und Asien, versucht Fikret seine Rosen an verzweifelte Autofahrer los zu werden und erhält dabei einen Platzverweis von Murat. Der wiederum wurde kurz zuvor von einer gut gekleideten jungen Frau zusammengestaucht, die er beim Telefonieren am Steuer erwischte: „Geben Sie mir Ihre Dienstnummer, mein Vater ist Kongressabgeordneter“. Die institutionelle Hackordnung gehört zu den kleinen Details, die die Hierarchie des alltäglichen Miteinanders bestimmen. In ihrem zweiten Spielfilm versammelt die in Istanbul geborene und in Berlin lebende Asli Özge weitere Momentaufnahmen: vom Frühstück, das auf einer auf dem Fußboden ausgebreiteten Tageszeitung eingenommen wird, von Murats 20-Stunden-Tag, von der Parade zum Tag der Republik, auf der die Soldaten im Stakkato betonen, dass sie ihr Blut für die Flagge vergießen würden und „glücklich ist, wer sich Türke nennen kann“. „Ich wünschte, es wäre Krieg“, meint ein junger Zuschauer angesichts des beeindruckenden Arsenals an Panzern, tieffliegenden Düsenjägern und martialisch marschierenden Armeekapellen. „Inspiriert von den Geschichten realer Charaktere, die im Umfeld der Brücke arbeiten, schrieb ich ein Drehbuch und bot ihnen an, die Rollen selbst zu spielen“, resummiert Özge ihre filmische Methode. Damit bewegt sie sich im Grenzbereich zwischen Dokumentation und Fiktion, zeigt, wie sich Istanbuler Lebensläufe vor alltäglichem Hintergrundrauschen vollziehen, in denen sich Existenzangst und Nationalismus, Alltagsstreitereien und ständiges Politisieren – meist über die Situation im Osten des Landes – miteinander vermischen. Hier ist Druck im Kessel, der sich von oben nach unten entlädt – auch Umuts Taxiunternehmer und der Besitzer des kleinen Schnellrestaurants, bei dem Fikret kurzzeitig einen Job gefunden hat, gehören zu den kleinen Leuten, aber sie können es sich erlauben, ihre Angestellten herumzukommandieren. Frust wird auch in den Stammtischdebatten abgelassen, in denen „die Kurden“ im Südosten des Landes für mehr herhalten müssen als für den PKK-Anschlag, bei dem während der Dreharbeiten 16 türkische Soldaten ums Leben kamen. Özge integriert die Fernsehnachrichten und die Reaktionen auf den Anschlag in ihren Film; sie ist bei einer Demonstration der Taxifahrer dabei, auf der ein Redner ganz weit ausholt und den „westlichen Imperialismus und seine zionistische Finanzierung“ geißelt. Im November kommt in der Türkei unter dem Titel „Tal der Wölfe: Palästina“ die nächste Folge der umstrittenen „Tal der Wölfe“-Staffel ins Kino; „Men on the Bridge“ zeigt, ohne plakativ zu werden, welches Potenzial für ein derartiges, erwartungsgemäß antisemitisches Polit-Kino zu befürchten ist. Obwohl Özge nah an ihren Protagonisten bleibt, verzichtet sie doch nicht auf kleine Träume. Murat sucht im Internet nach der großen Liebe, auch wenn alle Treffen – in romantischen Caféhäusern mit Blick auf den Bosporus – ins Leere laufen. Umuts Frau macht das Eheglück von einer schickeren Wohnung in einem besseren Stadtviertel abhängig, doch bei der Suche bekommt das Paar nur zu teure Wohnungen angeboten. „Men on the Bridge“ verbindet dokumentarisch beeinflusste Milieustudie mit der Analyse einer Gesellschaft, die sich rastlos im Kreise dreht – oder im Stau steckt wie die Autos auf der Bosporusbrücke.
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