Rendezvous in Belgrad

- | Serbien/Deutschland/Frankreich 2012 | 86 Minuten

Regie: Bojan Vuletic

Vier Episoden aus der Gegenwart der serbischen Hauptstadt Belgrad, die um Liebe, Leid und Laster kreisen. Der Gästebetreuer eines Folkmusik-Festivals soll eine betrunkene Diva auf die Bühne eskortieren; eine junge Frau glaubt, mit einem vermeintlichen Diplomaten aus der amerikanischen Botschaft den Sprung in eine andere Welt zu schaffen; ein Manager umgarnt ein Zimmermädchen; ein serbisch-kroatisches Ehepaar beichtet sich gegenseitig seine Seitensprünge. Ein filmischer Führer mit schwarzem Humor und Musical-Einlagen. Künstlerisch nicht immer auf der gleichen Höhe, bringen die unterschiedlichen Episoden das Verhältnis zwischen Balkan und Europa dennoch persönlich und durchaus unterhaltsam auf den Punkt. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
PRAKTIKAN VODIC KROZ BEOGRAD SA PEVANJEM I PLAKANJEM
Produktionsland
Serbien/Deutschland/Frankreich
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Art & Popcorn/TR9 Film/Petit Film
Regie
Bojan Vuletic
Buch
Stefan Arsenijevic · Bojan Vuletic
Kamera
Jelena Stankovic
Musik
Rastko Colic
Schnitt
Ksenija Petricic
Darsteller
Marko Janketic (Stefan) · Julie Gayet (Silvie) · Anita Mancic (Melita) · Jean-Marc Barr (Brian) · Nada Sargin (Jagoda)
Länge
86 Minuten
Kinostart
11.04.2013
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
In vier kurzen Geschichten erforscht der junge serbische Filmemacher Bojan Vuletić das Comeback der Normalität in der Hauptstadt Belgrad. Vier kurze Filme über Liebe, Leid und Laster und – wie in Serbien üblich – von allem zu viel. Ein Hauptstadtführer mit Sinn für schwarzen Humor und psychologische Zwischentöne, allerdings mit den aus anderen Omnibusfilmen bekannten dramaturgischen Unterschiedlichkeiten. Belgrad zählt seit einiger Zeit wieder zu den beliebteren Tourismuszielen, nicht zuletzt wegen der Mythen von Krieg und Revolte, dem Erbe des Sozialismus und einem regen Partyleben. Ein Image, das dem von Berlin nicht unähnlich ist, nur dass in Belgrad noch ausschweifender gelebt und noch zynischer über Politik geredet wird. Dafür gibt es einen gut funktionierenden Flughafen, und von dem holt Stefan, ein junger Gästebetreuer eines Folkmusik-Festivals, die französische Akustikgitarristin Silvie ab. Die Starmusikerin bringt ein paar persönliche Probleme mit auf den Balkan und hat sich bereits im Flugzeug ordentlich volllaufen lassen. Pech für Stefan, der, von den Launen der Diva kräftig durchgerüttelt, mal provoziert, mal um Schutz gebeten wird, letztlich dafür zu sorgen hat, dass der Star auf der Bühne steht und singt. Ein furioser Start dieses Spielfilmdebüts, dessen Drehbuch Vuletić zusammen mit Stefan Arsenijević geschrieben hat. In der Episode mit ihren unerwarteten Wendungen und sarkastischen Seitenhieben gegen das hochkulturelle Showbiz stimmt dramaturgisch und schauspielerisch so ziemlich alles. Dagegen fallen die anderen drei Geschichten etwas ab. Die Liebesnacht einer Serbin, die auf das große Los hofft, und dem Koch der amerikanischen Botschaft, der sich als hochrangiger Diplomat ausgibt, wirkt gewollt skurril; das Tête á tête zwischen einem deutschtürkischen Geschäftsmann, der sein Flugzeug verpasst hat, und einem serbischen Zimmermädchen verläuft voraussehbar-konfektioniert. Erst in der letzten Episode, in der sich eine serbische Polizistin und ihr kroatischer Ehemann an ihrem Hochzeitstag ihre Seitensprünge beichten und damit eine wilde Verfolgungsjagd durch die ausfransenden Vororte auslösen, gewinnt „Rendezvous in Belgrad“ sprichwörtlich wieder an Fahrt. Vuletić nutzt die interkulturellen Konstellationen seine Figuren, um die Schnittstelle zwischen dem bitterbösen Sarkasmus der Einheimischen und der fremdelnden Neugier der nicht ganz freiwilligen Gäste zu suchen. Am Ende liegen sich die Protagonisten zumeist in den Armen, auch wenn dafür existentielle Kämpfe nötig waren und das avisierte Ziel nicht erreicht ist. Also: Liebe, Leichtigkeit, Leidenschaft? Mitnichten, denn Vuletićs Botschaft hat durchaus einen ernsten, selbstreflexiven Kern, wie nicht nur die geschichtlichen Anspielungen auf die osmanische Besetzung des Balkans oder die pointiert arrangierten Nickligkeiten in der Hochzeitstagsepisode zeigen. Vuletić betont, dass die Suche nach Normalität nach 15 Jahren Isolation mit inbrünstiger Verzweiflung geführt wird: „Wenn ich heute das Leben in Belgrad in einem Wort beschreiben müsste, wäre das „übertreiben“. Die Menschen übertreiben Essen und Trinken, Verehren und Hassen, Singen und Weinen, obwohl sie zur gleichen Zeit versuchen, ein normales europäisches Leben zu führen“. Zusammengehalten werden die Episoden durch Chorgesängen – mal singt ein Stewardessenchor, mal die Müllabfuhr, dann die Gefängniswärter, und immer geht es darum, wie toll Belgrad mehr als zehn Jahre nach Milošević geworden ist, während die Szenen eher das Gegenteil vermitteln. Gesang als Mittel des Kommentars ist im zeitgenössischen serbischen Film seit Oleg Novkovićs „White, White World“ etabliert. Doch wo Novković Kurt Weill in die Tragödie der serbischen Provinz versetzt, gibt bei Vuletić das Musical den Ton an. Das macht seinen Film verdaulicher und unterhaltsamer, auch wenn darüber zuweilen der analytische Biss auf der Strecke bleibt. Dennoch: ein treffsicherer filmischer Kommentar, der das ungleiche Gleichgewicht zwischen „Balkan“ und „Europa“ mit einem souveränen schwarzen Humor auf den Punkt bringt.
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