Ich fühl mich Disco

Tragikomödie | Deutschland 2013 | 98 (24 B./sec.)/94 (25 B./sec.) Minuten

Regie: Axel Ranisch

Ein Sporttrainer kann mit seinem dicklichen Sohn nur wenig anfangen - und umgekehrt. Ihre kleine Familie wird von der Mutter zusammengehalten, die ihre beiden Männer mit zärtlicher Dominanz ausbalanciert. Als sie einen Herzinfarkt erleidet und der Sohn sich in den besten Turmspringer des Vaters verliebt, droht die Welt aus den Fugen zu geraten. Eine humorvoll-absurde, traurig-fantastische Komödie, die sensibel von der Annäherung unterschiedlicher Temperamente erzählt, vom schmerzhaften Einander-Verfehlen und der Gnade schwacher Momente. Die Inszenierung erinnert nicht nur durch ihre reflektierte Nähe zur Trivialität des Schlagers an Rainer Werner Fassbinder. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
ICH FÜHL MICH DISCO
Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Kordes & Kordes Film
Regie
Axel Ranisch
Buch
Axel Ranisch
Kamera
Dennis Pauls
Schnitt
Milenka Nawka · Guernica Zimgabel
Darsteller
Frithjof Gawenda (Florian Herbst) · Heiko Pinkowski (Hanno Herbst) · Christina Große (Monika Herbst) · Robert Alexander Baer (Radu) · Talisa Lilli Lemke (Nele Förster)
Länge
98 (24 B.
sec.)
94 (25 B.
sec.) Minuten
Kinostart
31.10.2013
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Tragikomödie
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
Salzgeber & Co. Medien
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Diskussion
„Kann ich nicht doch lieber ein Klavier haben?“, fragt der moppelige Florian seinen schwergewichtigen Vater Hanno, als der sein „Simson“-Moped reaktiviert und an seinen Sohn „vererben“ will. Damit hatte der Vater vor vielen Jahren, als er noch in weiße Disco-Anzüge passte, schließlich seine geliebte Monika abgeschleppt! Unmittelbar darauf bestätigt sich für Florian durchaus schmerzhaft, dass er eher nicht in den Schuhen des Vaters laufen wird. Wäre da nicht seine Mutter Monika, mit der er ausgelassen seine Liebe zur Musik teilt, und die auch sonst zwischen den beiden Männern vermittelt, es stünde viel mehr Ärger ins Haus! Denn Hanno ist ein harter Brocken, der zwar freundlich sein kann, aber meistens lieber die harte Schale um seinen weichen Kern legt. Hanno arbeitet als Turmspringtrainer mit dem jungen Talent Radu und geizt auch hier mit Lob. Doch dann bringt ein Schicksalsschlag das fragile familiale Gefüge aus dem Gleichgewicht, als Monika einen schweren Schlaganfall erleidet und ins Koma fällt. Fortan müssen Vater und Sohn ohne vermittelnde Mutter damit klarkommen, dass Florians Pubertät für beide noch so manche Überraschung parat hält. Als Florian in der Schwimmhalle im Aufwärmbecken „geparkt“ wird, wo er nach Hannos Aussage den wenigsten Schaden anrichten kann, verguckt er sich in den Turmspringer Radu, der sich überraschenderweise auf Florian einlässt. Axel Ranisch skizziert diese neugierig-schwule Annäherung sehr sensibel als körperliches Abenteuer, verbunden mit gemeinsamem Umherschweifen zur Erkundung der Lebenswelten. Als der angetrunkene Hanno seinen Sohn schließlich schlafend im Bett mit Radu überrascht, gerät der sonst scheinbar so selbstsichere Macho an seine Grenzen und braucht dringend Beistand in Erziehungsfragen. Alkohol ist da nur noch bedingt eine Lösung. Zum Glück gibt es „Neo“-Schlagersänger wie Christian Steiffen, dessen Songs, etwa „Sexualverkehr“, eingangs schon Mutter und Sohn begeisterten. Weil sich der Film trotz seines geringen Budgets einem „Magischen Realismus“ verpflichtet fühlt, steigt Steiffen gewissermaßen als Posterboy direkt von der Wand des Jugendzimmers in den Film, um Hanno ein paar dringend benötigte Tipps zu geben. „Ich fühl mich Disco“ kreist um das Spannungsverhältnis zwischen den Mühen und Enttäuschungen des Alltags und den eskapistischen Freuden einer trivialen Überhöhung. Ranisch inszeniert dieses Spannungsverhältnis potentiell durchlässig; er erweckt die Mutter im Krankenhaus für empathische Augenblicke zum Leben und macht den Schlagersänger sehr konkret zum Vertrauten des Vaters in Erziehungsfragen. Über Bande gespielt schaut Rosa von Praunheim, Ranischs ehemaliger Lehrer an der Filmhochschule „Konrad Wolf“, im Film vorbei und wirbt en passant für eine teilnehmende Beobachtung beim Analverkehr. Was Hanno zunächst sprachlos macht – und ihn anschließend, in einer unglaublichen Sequenz, beim gemeinsamen Abendessen mit Florian und Radu in einen Tsunami der Toleranz verwandelt, der den Jungs vorauseilend alle Freiheiten einräumt, von denen zumindest Radu gar nicht so recht weiß, ob er sie will. Trotz solch komischer Kapriolen überfordert der Film seine schwergewichtigen Protagonisten nicht; er zeigt vielmehr durchaus schmerzhaftes Einander-Verfehlen und Rückschläge. Aber – und dies ist die größte Leistung des Films – er denunziert seine mehr als einmal überforderten Figuren auch nicht, sondern zeichnet ihre allmähliche Annäherung über die Erfahrung des Verlustes mit großer Empathie. Der Vater muss lernen, seinen Sohn so zu akzeptieren, wie er ist: mit seinen Schwächen und Träumen. Im Gegenzug darf er selbst seine Schwäche und Überforderung zeigen. Wenn am Schluss die lebenserhaltenden Maschinen im Krankenhaus abgestellt werden, können sich Vater und Sohn auf Augenhöhe gegenseitig unterstützen. Dass das Leben „nicht immer nur Pommes und Disco“ ist, wie Christian Steiffen singt, kann als ausgemacht gelten. Manchmal muss es eine „Flasche Bier“ sein, die durchs Leben hilft. „Ich fühl mich Disco“ ist einer der schönsten deutschen Filme des Jahres und erinnert, nicht nur aufgrund seiner reflektierten Affinität zur Trivialität des Schlagers, an die unverstellt ehrliche Zärtlichkeit, mit der sich einst Rainer Werner Fassbinder dem kleinbürgerlichen Milieu näherte.
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