Dokumentarfilm | Deutschland 2014 | 101 Minuten

Regie: Peter Scharf

Aus dem subjektiven Blickwinkel eines von einer längeren Krankheit betroffenen Journalisten geht der Dokumentarfilm der Frage nach, ob sich der Wert eines Menschen in Geld ausdrücken lässt. Der filmische Bilderbogen führt durch viele Länder und stellt ebenso kühle Berechner des „Menschenwerts“ vor wie auch jene, die deren teils obskuren Ideen ausgesetzt sind. In markanten Parallelmontagen entblößen sich immer wieder jene Perversionen, die heutigen kapitalistischen Warengesellschaften innewohnen. Die Leichtigkeit des Erzähltons, die den Zorn des Autors eher camoufliert, macht den Film recht zugänglich. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Bildersturm Filmprod.
Regie
Peter Scharf
Buch
Peter Scharf
Kamera
Oliver Schwabe
Musik
Christian Sasse · Peter Scharf
Schnitt
Oliver Held
Länge
101 Minuten
Kinostart
09.10.2014
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
W-Film/Lighthouse (16:9, 1.78:1, DD2.0 dt. & engl. & russ. & rumän.)
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Diskussion
Wonach bemisst sich der Wert eines Menschen? Ist er eine rein ideelle Größe, oder lässt er sich auch in Geld ausdrücken? Was hat es mit Schlagworten wie „Kostenfaktor Mensch“ und „Humankapital“ auf sich? Setzen diejenigen, denen diese Begriffe allzu schnell über die Lippen gehen, die Ideale der Humanität aufs Spiel? Besteht die Gefahr, dass sich eine Welt, die das Individuum vorrangig auf dessen Geldwert reduziert, von ethischen Normen abwendet? Als Peter Scharf kurz vor seinem 50. Geburtstag erkrankte und nur noch eingeschränkt als freier Journalist arbeiten konnte, dachte er zum ersten Mal intensiv über solche Dinge nach. Der Film, der daraus entstand, ist ironisch, sarkastisch, traurig: eine Melange, die sich zum feuilletonistischen Bilderbogen fügt. Am Schluss freilich bleibt die Frage, ob der Autor angesichts seiner teils erschreckenden Entdeckungen auch wirklich erschüttert wurde. Oder ob er das, was er erfuhr, relativ abgeklärt zusammenbaute? Die Leichtigkeit des Erzähltons, die seinen denkbaren Zorn mehr camoufliert als nach außen stülpt, macht den Film insgesamt recht gefällig: Zivilisationskritik, unterhaltsam aufbereitet. Vielleicht sollte das, möglicherweise aus der Sicht der mitbestimmenden Fernsehredaktionen, ja genau so sein, um sich nicht dem Vorwurf der Didaktik, der Agitation auszusetzen? Wie auch immer: Mehr Anleihen bei Michael Moore, mehr Empört-euch-Emphase als bloße Bestandsaufnahme, hätten „Was bin ich wert?“ gut getan. Der Film beginnt mit Selbstversuchen, zum Beispiel der Erkundigung beim Apotheker, welchen Geldbetrag die chemischen Bestandteile eines menschlichen Körpers wert sind. Im Falle des Autors wären das 1576,20 Euro, „und ausgerechnet der Kohlenstoff bringt am meisten“, wie es im launigen Kommentar heißt. Von einem Kiewer Friseursalon, der sich auf gut ukrainisch „Fashion Hair Market“ nennt, werden für 600 Euro pro hundert Gramm internationale Haarwünsche entgegen genommen, zum Beispiel koscheres Haar für Israel. Ein junger Schweizer hat seinen Rücken für kunstvolle Tätowierungen verkauft; wer will, kann ihn in Ausstellungen besichtigen; ein deutscher Käufer hat dafür 150.000 Euro ausgegeben und erhält nach dem Tod des Mannes dessen abgezogene Haut. Versteht sich der Tätowierte als selbstbestimmtes Kunstobjekt, wussten die moldawischen Arbeiter nicht, wie ihnen geschieht, als sie in die Türkei gelockt wurden, wo man ihnen eine Niere aus dem Körper schnitt und ihnen dafür Reisekosten, Verpflegung und 1.000 Dollar aushändigte. Die beteiligten Kliniken und Ärzte, so lässt der Film wissen, erhielten pro Niere auf dem schwarzen Markt bis zu 200.000 Dollar. Der Reigen aus mehr oder weniger zufälligen Beispielen setzt sich fort, führt nach Italien, England, Schottland oder in die USA, fragt nach dem Wert, der einzelnen Menschen nach Naturkatastrophen oder Verkehrsunfällen zugebilligt wird, oder wenn sie als Soldat im Krieg fallen. Unter anderem interviewt Peter Scharf den US-amerikanischen Anwalt Feinberg, der die individuellen Entschädigungssummen für rund dreitausend Opfer des 9/11- Anschlags auszuhandeln. Feinberg ist sich seiner Sache vollkommen sicher: Natürlich mussten Angehörige verschiedener Berufsgruppen unterschiedlich bewertet werden; Bankern und Börsenmaklern habe sehr viel mehr zugestanden als Busfahrern oder Polizisten. So wurden die Angehörigen eines toten Tellerwäschers mit 250.000 Dollar abgefunden, die eines Bankers mit 7,5 Millionen. Entschädigt wurde dabei der „Verlust des zukünftigen Einkommens“: eine perverse Rechnung, die wie selbstverständlich angewandt wurde, nicht zuletzt aus Sorge vor jener Klagewelle, die der Staat fürchtete, wenn alle Menschen gleich bewertet worden wären. In solchen Momenten, weniger in grotesken Selbstpräsentationen obskurer anderer Menschenwert-Berechner, gelingt es dem Film, Perversionen zu entblößen, die der modernen kapitalistischen Warengesellschaft innewohnen. Dem eloquenten Professor Feinberg zuzuhören und en passant die Prozentzahl zu erfahren, die seinem Anwaltsbüro pro Entschädigungsfall zusteht, lässt dem Zuhörer das Blut in den Adern gefrieren – oder auch nicht: Vertreter pragmatischer Kosten-Nutzen-Rechnungen finden es bestimmt legitim, was der hochdotierte Advokat austüftelte. Gut, dass Peter Scharf in einer Parallelmontage den Angehörigen eines am 11. September verstorbenen Feuerwehrmanns zu Wort kommen lässt, dessen bittere Sentenz „Wie kann ein Mensch entscheiden, was ein anderer wert ist?“ einen Gegenpol zu jenen kalten Geldjongleuren setzt, die sich vor der Kamera produzieren.
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