Dokumentarfilm | Chile/Spanien/Frankreich 2015 | 82 Minuten

Regie: Patricio Guzmán

Im zweiten Teil seiner Dokumentarfilm-Trilogie über die Geschichte Chiles greift Patricio Guzmán das Wasser an der 4.300 Kilometer langen Küste des Landes auf und verwebt metaphorisch-meditativ autobiografische Erinnerungen mit historischen Rekapitulationen der blutigen Historie von der Ausrottung der indigenen Kultur bis zu den Massakern des Pinochet-Regimes. In der beeindruckenden Kombination aus ungewöhnlichen Natur- und Landschaftsbildern, alten Schwarz-Weiß-Fotografien der indigenen Bevölkerung Patagoniens und philosophischen Off-Kommentaren klingen grundsätzliche Fragen nach der menschlichen Natur und ihrer Bestimmung an. (Erster Film der Trilogie: "Nostalgia de la luz", 2010) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
EL BOTÓN DE NÁCAR
Produktionsland
Chile/Spanien/Frankreich
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
Atacama Prod./Valvidia Film/Mediapro/France 3 Cinéma
Regie
Patricio Guzmán
Buch
Patricio Guzmán
Kamera
Katell Djian
Musik
José Miguel Miranda · José Miguel Tobar · Hugues Maréchal
Schnitt
Emmanuelle Joly
Länge
82 Minuten
Kinostart
10.12.2015
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Zweiter Teil von Patricio Guzmàns Chile-Trilogie.

Diskussion
Gletscher, Fjorde und vom Sturm niedergedrückte Bäume: Patagonien, die südlichste Provinz Chiles, ist eine von Wasser, Wind und eisiger Kälte geprägte Landschaft; ein echter Gegenpol zur trockenen Atacama-Wüste im Norden des Landes, der Patricio Guzmáns Film „Nostalgia de la luz“ (fd 40 225) gewidmet war. „Der Permuttknopf“ ist der zweite Teil einer Trilogie, mit der der 74-jährige Regisseur die grausame Geschichte seiner Heimat im Spiegel der Schönheit ihrer Landschaften erzählen will. Wo es in „Nostalgia de la luz“ um die Wüste und den Blick in den Sternenhimmel ging, steht nun das Element Wasser im Vordergrund. Chile verfügt über eine 4300 km lange Küstenlinie. Das Wasser hat das Land geprägt, aber auch isoliert. Es schafft Geborgenheit, wenn der Regen auf das Zinkdach prasselt. Es ist aber auch bedrohlich: Guzmáns Schulfreund, so eine Kindheitserinnerung, ertrank im Ozean. Der Film spiegelt die Zeitlosigkeit Patagoniens wider, seine raue, fast unwirkliche Landschaft. Doch das filmische Landschaftsessay ist auch eine Zeitreise, denn die Geschichte menschlicher Grausamkeit hat ihre Spuren in der Natur hinterlassen. Für die Ureinwohner der Region definierte das Wasser die kosmischen Grenzen; manche glaubten, sie würden nach ihrem Tod zu Sternen werden. Die ersten Bewohner Patagoniens kamen vor 10.000 Jahren; sie lebten trotz der extremen Wetter und Temperaturverhältnisse auf dem Meer. 1883 tauchten die ersten Siedler auf, Goldsucher und katholische Missionare, die den indigenen Kulturen ihren Glauben, die Sterne und die Kanus nahmen. Für jeden getöteten Indio wurde Geld bezahlt; für einen toten Mann musste ein Hoden, für eine Frau eine Brustwarze und für ein Kind der Kopf vorgelegt werden. Wer überlebte, fiel der Unterernährung und Alkoholismus zum Opfer; heute gibt es nur noch eine Handvoll Ureinwohner. Das grausame Zusammentreffen der Kulturen verdeutlicht jene Episode, die dem Film den Namen gab. Denn der Perlmuttknopf war der Preis, den der britische Kapitän Fitz-Roy für einen jungen Eingeborenen zahlte, den er mit nach London nahm. Der Indio, der nach diesem Knopf Jemmy Botton genannt wurde, machte so eine Reise von der Steinzeit in die Gegenwart und wieder zurück in ein Patagonien, in dem er sich nie mehr zurechtfand. Guzmán arbeitet erneut mit beeindruckenden Natur- und Landschaftsbildern, auch mit alten Schwarz-Weiß-Fotografien aus dem Anthropos-Institut der Steyler Missionare in St. Augustin. Ohne diese Bilder, sagt Guzmán, ohne das visuelle Erbe der indigenen Kulturen Patagoniens, hätte er diesen Film nicht machen können. „Viele Jahrhunderte lang“, so hört man Guzmáns Stimme aus dem Off, „war Chile ein von Wenigen beherrschtes Land. Die Revolution von Salvador Allende änderte vieles. Allende gab den Indigenen ihr Land zurück. Doch all das mündete in einem Putsch, finanziert durch die USA.“ Zu den Bildern geborstener Baumstämme und explodierender Sterne rekapituliert der Film die Diktatur mit ihren 800 geheimen Gefängnissen und 3500 Folterern. Dazwischen kommt Guzmáns historisch-politischer Diskurs immer wieder auf die Landschaft zurück: etwa auf die Dawson-Insel in Patagonien, wo viele Ureinwohner bei der katholischen Mission starben. Unter Pinochet errichtete man hier ein KZ für die Minister der Allende-Regierung; andere Regime-Gegner wurden tot oder lebendig aus dem Flugzeug ins Meer geworfen; die Zahlen schwanken zwischen 1400 bis 1900. Die Opfer wurden an Schienen aus schwerem Stahl gebunden, um sie für immer in den kalten Gewässern verschwinden zu lassen. Heute wird nach ihren Überresten gesucht; meist findet man nur noch muschelüberwucherte Eisenstücke, an einem von ihnen aber hängt ein weißer Knopf, der zugleich an den Genozid erinnert, die Vernichtung der indigenen Kulturen in Patagonien. „Der Perlmuttknopf“ ist eine faszinierende Mischung aus Landschaftsporträt, grausamen Geschichten über Völkermord und das Wüten unter Pinochet, aber auch eine ganz grundsätzliche Reflexion über existenzielle Fragen und Dimensionen.
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