I want to see the Manager

Dokumentarfilm | Deutschland/Italien 2014 | 93 Minuten

Regie: Hannes Lang

Sieben präzise, funkelnde Momentaufnahmen rund um den Globus, die wie unter einem Mikroskop den verwirrend-chaotischen Zustand der Welt betrachten. Die visuell und inszenatorisch sehr sorgfältig gestalteten Miniaturen aus Mumbai, einem bolivianischen Dorf, Peking, Detroit, Pompeji, der thailändischen Stadt Chiang Mai sowie Caracas in Venezuela kreisen um den Stand der wirtschaftlichen Entwicklung und deren Folgen für die Menschen. Die Verknüpfung der inhaltlich disparaten, erzählerisch aber dezent durchkomponierten Erzählungen obliegt dabei weitgehend der interpretatorischen Kunst des Betrachters. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
I WANT TO SEE THE MANAGER
Produktionsland
Deutschland/Italien
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Petrolio Film/Miramonte Film/ZDF
Regie
Hannes Lang
Buch
Mareike Wegener
Kamera
Thilo Schmidt
Schnitt
Stefan Stabenow
Länge
93 Minuten
Kinostart
03.09.2015
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Momentaufnahmen vom verwirrend-chaotischen Zustand der Welt

Diskussion
Den „Manager“ bekommt man nie zu Gesicht. Wie auch? Denn wen außer Gott wollte man für die Entwicklung der Welt auch verantwortlich machen? Lange nach dem Ende der „großen Erzählungen“, im Schlagschatten von Postmoderne und Posthistorie, wagen es die Dokumentaristen Hannes Lang und Mareike Wegener dennoch, ein Bild vom Entwicklungszustand des Planeten im Anthropozän zu entwerfen. In sieben funkelnden Fragmenten und mit einem vagen theoretischen Konstrukt, das Armut und Reichtum, Fortschritt und Zerstörung, Entwicklung und Abhängigkeit als wechselseitige Größen versteht. In Mumbai, einem bolivianischen Dorf in den Anden, in Peking, Detroit, Pompeji und der thailändischen Stadt Chiang Mai sowie in Caracas in Venezuela heben sie mit dokumentarischer Präzision exemplarische Momente sehr unterschiedlicher Art hervor, die man im Sinne der Filmemacher als dialektische Stationen eines globalen Prozesses vom Aufstieg und Verfall der westlichen Zivilisation – oder auch ganz anders verstehen kann. Denn die Größe ihres verwegen bis abwegigen Versuches erweist sich gerade darin, dass er keine dominante Leseweise vorgibt. Stattdessen werden die konzentrierten, aber gänzlich disparaten Miniaturen schroff hintereinander montiert. Wo in Mumbai ein Broker im schlecht sitzenden Anzug inmitten eines Slums darüber palavert, warum sich Investments in der Alten Welt nicht mehr lohnen, wollen in Bolivien auch einfache Indios vom Lithium-Boom profitieren, während ein graugesichtiger Arbeiter im Großraum Detroit detailliert die Schritte erläutert, wie man sich bei der Firma Cryonic nach dem Tode in flüssigem Stickstoff einfrieren lassen kann, um eines fernen Tages vielleicht reanimiert zu werden. In jeder Episode begegnet man einer Person, die ihre Gedanken, Träume, Hoffnungen und Ängste der Kamera anvertraut. Das schreibt den großartig fotografierten und kadrierten Einstellungen eine eher narrative denn kommentierende Spur ein. Auf eine Pointe läuft es dabei zwar nicht gerade hinaus, aber ein erzählerischer Bogen findet sich immer. So fährt der Broker in Mumbai viele treffende Argumente auf und wirft mit Kennzahlen und Prognosen nur so um sich, die den Aufstieg der Schwellenländer belegen sollen; doch erst, als die Kamera hochzieht und man im Hintergrund die hypermoderne Glas- und Chrom-Skyline von Mumbai erkennt, gerinnt die Rede zum umwerfenden metaphorischen Bild. Ähnliches gilt für fast alle Episoden, die „sprechende“, gleichermaßen einfache wie verdichtete Einstellungen für komplizierte Sachverhalte finden. Beispielsweise zwei Indios, die in Sichtweite der gigantischen Lithium-Salinen des „Salar de Uyuni“ auf den Wind warten, um die Spreu vom Getreide zu trennen. Hier die unbeeinflussbare, ziemlich willkürliche Naturzeit, dort die digital durchrationalisierte Zukunft, beide nur einen Steinwurf voneinander entfernt. Was diese ersten beiden Sequenzen mit dem Paar aus Peking zu tun haben, das schon so lange auf eine Zulassung für ihr Auto durch die Stadtverwaltung hofft, oder mit der Altenpflegerin in einem thailändischen Sanatorium, in dem demente Schweizer betreut werden, drängt die Inszenierung nicht auf, sondern überlässt es der Imaginationsfreude des Betrachters, entsprechende Bezüge aufzudecken. Selbst wenn man auf Anhieb vielleicht nicht so recht versteht, was die Beobachtungen eines Zenturio-Darstellers vor den Toren von Pompeji mit dem Zustand der Welt zu tun haben, akzeptiert man diese radikale inszenatorische Offenheit weit mehr als die sinnbildlicheren Anklänge in der siebenten Episode, die um die besetzte Hochhausruine „Turm des David“ in Caracas kreist. In dem Rohbau, der für eine Bank errichtet, in Folge der Finanzkrise aber nie fertig gestellt wurde, entfaltet sich ein wahrer Kosmos, der spiegelbildlich für die Welt und mithin für den Film stehen könnte. Hier gibt es oben und unten, Macht, Gewalt, Solidarität, Kinder, Mütter und Greise, High-Tech und Bettler, Herrschaft und das Sich-Durchwursteln. Die sich summierenden Assoziationen, in denen man die Intentionen der beiden Dokumentaristen am ehesten greifen kann, wirken hingegen platt und pädagogisierend; auch vor diesem Hintergrund gewinnen die unbestimmten Bezüge der anderen sechs Episoden umso mehr an Bedeutung. Allerdings vermag der babylonische Schlussakkord keineswegs die vielen unbeantworteten Fragen zu übertönen, die „I want to see the Manager“ unter Rekurs auf ein geflügeltes Wort von William S. Burroughs nach dem Verantwortlichen rufen lassen.
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