Lebenszeichen - Jüdischsein in Berlin

Dokumentarfilm | Deutschland 2018 | 83 Minuten

Regie: Alexa Karolinski

Die in Los Angeles lebende Filmemacherin Alexa Karolinski streift auf der Suche nach Spuren der jüdischen Geschichte durch Berlin und sammelt assoziativ Beobachtungen und Begegnungen ein, in denen sich eine kollektive Identität manifestiert. Ausgangspunkt des sehr persönlichen Films ist ihre eigene, von vererbten Traumata gezeichnete Familiengeschichte. Die Leichtigkeit und Unsystematik verleiht dem Film eine schöne Offenheit, tendiert aber auch dazu, das Material eher lose nebeneinanderzustellen als miteinander in Beziehung zu setzen. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Arden Film/ZDF/Das kleine Fernsehspiel/Cine Plus Filmprod.
Regie
Alexa Karolinski
Buch
Alexa Karolinski
Kamera
Alexa Karolinski · Johannes Louis
Musik
Adam Gunther
Schnitt
Alexa Karolinski · John Walter
Länge
83 Minuten
Kinostart
23.08.2018
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Eine deutschstämmige Filmemacherin auf den Spuren jüdischer Geschichte in Berlin als Ausgangspunkt eines sympathisch offenen, wenn auch eher lose verknüpften Dokumentarfilms.

Diskussion
Alle drei Tage kommt das Ehepaar Michalski zum Aufräumen und Putzen an das an der Berliner Friedrichstraße gelegene Denkmal „Züge ins Leben – Züge in den Tod“. Sie kehren Zigarettenkippen und Müll zusammen, sammeln achtlos Abgestelltes ein und wischen die Oberflächen der Bronzefiguren sauber. Für Frank Michalski hat die vom Danziger Künstler Frank Meisler geschaffene Skulptur, die der deportierten Kinder gedenkt wie auch an die Kindertransporte zwischen 1938 und 1939 erinnert, eine ganz persönliche Bedeutung: Er verdankt sein Leben einem Kindertransport nach England. Die Szene am Denkmal ist eine von mehreren Stationen beziehungsweise Begegnungen, die die in Berlin geborene und in Los Angeles lebende Filmemacherin Alexa Karolinski in ihrem Porträt der deutschen Hauptstadt und ihrer jüdischen Geschichte „einsammelt“. „Lebenszeichen – Jüdischsein in Berlin“ ist ein assoziativer Streifzug, der die eigene Familiengeschichte zum Ausgangspunkt nimmt. Als Enkelin von Holocaust-Überlebenden trägt Karolinski das Erbe des Traumas. Im Film erzählt ihre in Kanada geborene Mutter von der Melancholie ihrer Eltern und wie sie Anfang der 1980er-Jahre ihrem zukünftigen Mann nach Berlin folgte, wo sie zunächst einen Kulturschock erlebte. Wie sie sich in der jüdischen Gemeinde integrierte – und wie sie selbst sagt „ghettoisierte“ –, um sich erst allmählich für nicht-jüdisches Leben zu öffnen. „Lebenszeichen“ bietet auch ein Wiedersehen mit Oma Regina Karolinski – einer der beiden wunderbaren Protagonistinnen aus „Oma & Bella“ (fd 41 216). Auch den Bruder der Filmemacherin lernt man kennen. „Haben wir Juden eigentlich auch Migrationshintergrund?“, fragt Karolinski, die mit ihren Fragen aus dem Off stets präsent ist. „Klar haben wir das.“ Karolinskis Suche nach Spuren jüdischer Geschichte, nach Ritualen und Gewohnheiten, in der sich eine kollektive Identität manifestiert, folgt keinem stringenten Konzept. Mit dem Medientheoretiker Siegfried Zielinski spricht sie über die Terminologien zur Beschreibung des Holocaust und über das mediale Echo der gleichnamigen Serie in der deutschen Presse. Am Denkmal für die ermordeten Juden Europas folgt sie einem Jugendlichen, der sich an den schwarzen Monolithen aus Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ erinnert sieht und sich mit seiner Kamera filmend durch den Stelengarten bewegt. Unweit des Haus der Wannseekonferenz pflegt eine Gruppe von Freundinnen den Garten der Liebermann-Villa – „an die Geschichte denkt man hier weniger“, meint eine der Frauen. Eine andere, die wegen der Farben den Garten zum Aquarellmalen besucht, spricht ein wenig wolkig über ihre Beschäftigung mit dem „Judenthema“. Und im Gespräch mit einer Freundin rekapituliert die Filmemacherin eine lebhafte Auseinandersetzung über einen Instagram-Post – Karolinski wollte in einem Schriftzug am Hermannplatz eine Ähnlichkeit zur „Arbeit macht frei“-Toraufschrift an den Vernichtungslagern erkannt haben. Die Unsystematik und Leichtigkeit, mit der Karolinski Orten und Menschen begegnet, verleiht dem Film eine schöne Offenheit. Ihr auf das Sammeln von Stimmen und Eindrücken angelegter Ansatz neigt aber auch dazu, das Material eher lose nebeneinanderzustellen, als es miteinander in Beziehung zu setzen. In der Parallelisierung von Erinnerung und Erinnerungsverlust findet „Lebenszeichen“ am überzeugendsten zu einer Verdichtung. Während Karolinskis dementem Stiefvater immer mehr sein Gedächtnis abhandenkommt, hat sich bei Evelyn Gutman, die die Shoa überlebte, indem sie sich unter Nazis in einem dunklen Bunker versteckte, das Geschehene auf ewig eingebrannt. Ihre Wohnung muss immer hell beleuchtet sein.
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