Glaube, Liebe, Hoffnung

Dokumentarfilm | Deutschland 1993 | 88 Minuten

Regie: Andreas Voigt

Dokumentarfilm über eine Gruppe radikaler Jugendlicher in Leipzig. Linke und rechte Skinheads sprechen über ihre Gefühle und Meinungen und eröffnen verblüffende Perspektiven auf die deutsche Gegenwart fünf Jahre nach dem Mauerfall. Der Film erhebt nicht den Anspruch einer Analyse radikaler Phänomene, behindert sich durch überholte Interview-Methoden jedoch mitunter selbst. Dennoch eine wichtige Ergänzung zu vereinfachenden Darstellungen zum selben Thema. - Ab 16 möglich.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1993
Produktionsfirma
A Jour Film- und Fernsehprod./DokFilm
Regie
Andreas Voigt
Buch
Andreas Voigt
Kamera
Sebastian Richter
Schnitt
Angela Wendt
Länge
88 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16 möglich.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Der Weihnachtsmann vor dem Leipziger Kino "Capitol" steht im Regen. Seine Werbegeschenke wird er kaum los. "Keine Kinder da ...", kommentiert er verdrießlich. Wenig später ist Schichtwechsel: Knecht Ruprecht zieht sich um. Unter der Robe kommen Bomberjacke und Springerstiefel zum Vorschein. Vor den Zuschauem steht Skinhead Andre, verlegen Richtung Kamera blinzelnd. Er ist einer der Jugendlichen, die in diesem Dokumentarfilm vorgestellt werden. Als unerwünschte Frucht einer Beziehung zwischen Volkspolizistin und Philosophie-Dozent ("Der hat ja jetzt auch keine Zukunft mehr") wuchs Andre vorrangig in Kinderheimen auf, brach mehrere Lehrverhältnisse ab, landete schließlich bei Punks in Potsdam, dann bei den Skins in Leipzig. Er hängt in in seiner Sofaecke herum, spricht mit dem Wellensittich oder zupft ungelenk auf der Gitarre: "Ausländer rein, das macht Spaß. Ausländer rein, rein ins Gas." Lächelt wieder verlegen in die Kamera. Nur so, zum Spaß, habe er sich das ausgedacht. Ein anderer Skin wird "Papa" genannt und bezeichnet sich als "sharp", d. h. eher als links. Auch er: unbehütete Kindheit, kein Berufsabschluß, Pendeln zwischen politischen Extremen. Immerhin hat er einen Job - ausgerechnet als Wachmann eines Security-Unternehmens. Papa lächelt nie und ballert in seiner Freizeit mit Platzpatronen auf die Mondlandschaft, die der Tagebau rings um Leipzig zurückgelassen hat. Zwei Exponenten einer Gruppe radikal genannter Jugendlicher, derer sich Voigt in seinem Film annimmt.

In den Gesprächen geht es weniger um die Inhalte der politischen Ansichten als um vergangene und augenblickliche Befindlichkeiten. Beharrlich fragt der Regisseur nach Freundin und Eltern, nach Arbeit bzw. Arbeitslosigkeit, nach Wünschen und Hoffnungen. Und erstaunlich schnell öffnen sich die Gesprächspartner. Das Bild, das dabei von den Jugendlichen und dem Phänomen des rechten Extremismus entworfen wird, ist alles andere als universell, gibt aber Einblicke preis, deren authentischer Wert nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Problematisch ist die Interviewkonstellation nicht wegen ihres eventuellen "Sozialarbeitertons" ("taz"), sondern durch die Diskrepanz zwischen der Offenheit der Befragten und der Anonymität des Fragenden. Voigt ist niemals im Bild, seine leisen Fragen kommen stets aus dem Off. So gerät der Film mitunter in die Nähe einer Polit-Peep-Show und behindert sich durch diese überholte Methode selbst. Das ist grundsolide und gut gemeint, macht aber den Eindruck, als hätte es Innovationen wie die eines Marcel Ophüls niemals gegeben.

Andreas Voigt hat sich seit 1987 immer wieder filmisch mit Leipzig auseinandergesetzt. Während "Leipzig im Herbst" (1989) wesentliche Momente des Kollapses der DDR dokumentierte und noch ganz von der Euphorie dieses Umbruchs getragen war, bilanzierte "Letztes Jahr Titanic" (1991) bereits Ernüchterung. "Glaube, Liebe, Hoffnung" nun richtet den Blick auf die sich konsolidierenden Verwerfungen der Einheit. Der eingespielten Zusammenarbeit des Aufnahmeteams gelingt es, der Stadt und ihren Bewohnern vielschichtige Perspektiven abzugewinnen. Überraschende Bilder und Begegnungen, deren Zeichenhaftigkeit jeden Kommentar überflüssig macht. Szenen wie die eines Karnevalsdubs am Völkerschlachtdenkmal oder die einer sich zombiehaft bewegenden Brigade von ABM-Kräften, die ihre ehemalige Fabrik abträgt, bleiben nachhaltig in Erinnerung. Sie sind mehr als atmosphärische Auffütterung der Interview-Passagen, prägen den Film ästhetisch ganz wesentlich und treten in meinst unaufdringliche Korrespondenz mit den Aussagen der Befragten. Voigt arbeitet bewußt mit der Eigendynamik des dokumentarischen Materials: das Filmen ist für ihn ein Prozeß der Neugier, zu dessen Beginn noch jedwede Entwicklung möglich ist. Vorschnelle Schlüsse sind nicht seine Sache. Und diese Neugier auf den Lauf der Dinge, die Bereitschaft, sich vom Geschehen überraschen zu lassen, überträgt sich auf die Zuschauer ebenso wie auf die Gesprächspartner im Film. Anders lassen sich die freiminütigen Auslassungen über deren Innenleben kaum erklären.

Zwischen linken und rechten Skinheads und den Streifzügen durch Leipziger Stadtlandschaften nimmt die Person Dr. Schneiders eine Sonderfunktion ein. Wenn sich der Immobilienmakler volkstümelnd zum Flughafen fahren läßt oder in einem Stahl-Glas-Marmor -Büro Grundsätze seiner Unternehmer-Ethik zum Besten gibt, stellt sich mitunter die direkte Kausalität zu den sozialen Katastrophen Ostdeutschlands her. Ein etwas holzschnittartiger Eindruck, der durch die Schwarz-Weiß-Fotografie noch genährt wird. Daß Voigt sonst auf derartige Fingerzeige verzichtet, macht seinen Film ja gerade so sehenswert. Im Verhältnis zu den Skinheads, die sich viel offensichtlicher am Rande der Legalität bewegen, mutet der Fall Schneider auch wie eine Parabel auf den Kapitalismus an. Derart didaktisch-thesenhafte Prinzipien sind aber eindeutig nicht die Intention des Regisseurs. Andererseits erhält "Glaube, Liebe, Hoffnung" durch die Ereignisse um den Groß-Betrüger Schneider unfreiwillig zusätzliches Gewicht. Kurz vor seinem Untertauchen gelang es dem Kriminellen nämlich, die Filmemacher dieser Dokumentation zu inkriminieren: kraft einer einstweiligen Verfügung durch das Amtsgericht Leipzig wurde unter Androhung einer Geldstrafe von 500 000 DM untersagt, den Film in seiner bisherigen Form weiterhin aufzuführen. Der Verleih ersetzte daraufhin die beanstandeten Passagen durch Schwarzfilm, und verschiedene Kinos führten den Film auch mehrfach so vor. Erst nach dem Verschwinden Schneiders wurde auf langwierigem Amtsweg das durch ihn verfügte Bilderverbot wieder aufgehoben.
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