Take Me Somewhere Nice

Drama | Bosnien-Herzegowina/Niederlande 2019 | 91 Minuten

Regie: Ena Sendijarevic

Eine junge Frau mit bosnischen Wurzeln, die in den Niederlanden aufgewachsen ist, reist nach Bosnien, um ihren entfremdeten, schwerkranken Vater zu besuchen. Begleitet wird sie von ihrem wenig begeisterten Cousin und dessen Freund, der umso mehr von ihr angetan ist. Eine Mischung aus Coming-of-Age-Film und Road Movie um eine junge Frau zwischen zwei Kulturen und Lebensabschnitten, erzählt als träumerisches, mal komödiantisches, mal dramatisches Eintauchen in die Erlebniswelt der Hauptfigur. Trotz der Vorwärtsbewegung des Road Movies zeigt der Film das Land und die Menschen im Stillstand und die Entladung von Desillusionen in Gewalt gegen Schwächere. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
TAKE ME SOMEWHERE NICE
Produktionsland
Bosnien-Herzegowina/Niederlande
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Pupkin Film
Regie
Ena Sendijarevic
Buch
Ena Sendijarevic
Kamera
Emo Weemhoff
Musik
Ella van der Woude
Schnitt
Lot Rossmark
Darsteller
Sara Luna Zoric (Alma) · Lazar Dragojevic (Denis) · Ernad Prnjavorac (Emir) · Jasna Duricic (Jovana)
Länge
91 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama
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IMDb | TMDB

Eine junge Frau begibt sich auf einen Trip nach Bosnien, um ihren sterbenden Vater ein letztes Mal zu sehen. Trotz der obligatorischen Vorwärtsbewegung eines Road Movies zeigt die Regisseurin Ena Sendijarević, wie das Land und die Menschen im Stillstand verharren.

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Zikaden zirpen. Eine junge Frau liegt ausgestreckt am Pool. Die Sonne strahlt auf ihren gebräunten Körper, auf ihren pastellfarbigen Bikini und auf ihre nassen Haare. Das stillstehende Bild strahlt zwar Sommergefühle aus, aber in Wirklichkeit erzählt es von Ratlosigkeit und Enttäuschung. Die Frau ist hier unfreiwillig im Hotel gelandet, das Sonnen am Pool eine Notlösung.

Die junge Frau heißt Alma und ist aus der Niederlande nach Bosnien, in die Heimat ihres ihr entfremdeten Vaters, gereist. Der liegt dort sterbend im Krankhaus. Die Mutter weigert sich, Alma zu begleiten: „Er war ein Bastard!“ Sprich: er hat die Familie vor Jahren verlassen. Die Tochter will ihn nun aufsuchen und trifft zuerst ihren Cousin Emir und dessen Kumpel Denis. Emir ist von Alma wenig begeistert, Denis dafür umso mehr. Gleich beim ersten Mal zu zweit fallen Denis und Alma knutschend übereinander her.

Warten im Nirgendwo

Aber Alma haut ab, wird vom Reisebus am Straßenrand stehengelassen und von einer Sängerin aufgegabelt. Die beiden übernachten im nächsten Hotel, und dort liegt Alma wartend in der Sonne, bis sich die nächste Gelegenheit ergibt, weiter zum Krankhaus zu fahren. Wie lang es hier im Nirgendwo dauert, bis sie jemand mitnimmt, ist ungewiss. Erst als die Jungs Alma finden, nimmt das Road Movie wieder an Fahrt auf.

Regisseurin Ena Sendijarević wählt in ihrem Debütfilm eine Dreiecks-Konstellation, die einen sehr an Jim Jarmuschs „Stranger Than Paradise“ erinnert: In beiden Fällen begibt sich eine Frau in die Fremde, trifft auf einen genervten Cousin und einen unterbelichteten Freund, der sich hauptsächlich für ihren Körper interessiert. Statt in dreckigen Fabriken und verwahrlosten Motels im Amerika der 1980er-Jahre spielt dieser Film in einem mediterranen Land der Gegenwart, in dem fast Stillstand herrscht.

Männer, die krumme Dinge drehen

„Was hat Europa für uns getan? Nichts! Was hat Russland für uns getan? Nichts!“, beschwert sich ein Busfahrer. Ein Gefühl von Lethargie durchzieht den Film. Emir und Denis sind dementsprechend keine selbsternannten Hipster und Belmondo-Verschnitte wie bei Jarmusch, sondern Typen, die „krumme Dinge drehen“. Das Verbrechen bleibt die einzige Einnahmequelle. Alma schlägt Denis einmal vor, für ein Praktikum nach Holland zu kommen. Wenig später enttäuscht sie ihn: „Die Niederlanden haben schon genügend ausländische Verlierer.“

Zwischen den drei jungen Menschen schwillt die Spannung viel stärker an als in „Stranger Than Paradise“. Emir ist nicht nur von Alma gelangweilt, sondern sieht in ihr eine Verräterin seiner Heimat – sie und ihre Mutter, zwei Frauen, die ihr Glück im Ausland gefunden haben. Alma fragt ihn auf dem Roadtrip: „Willst du nicht abhauen?“ – „Nein, ich bin zwar kein Nationalist, aber ein Patriot.“ Der Unterschied bestehe darin, dass man in einem Fall hasst, im anderen liebt. Alma kann mit Emirs Aussage nichts anfangen: Ena Sendijarević erzählt auch davon, wie Menschen, die ausgewandert sind, sich von ihrem Heimatland auch innerlich entfernen und eine sozusagen grenzüberschreitende Identität entwickeln, während zugleich in den Ländern selbst das Nationalgefühl wiederauflebt.

Blutspuren am Strand

Zusätzlich zu den unterschiedlichen politischen Vorstellungen intensiviert sich auch die physische Spannung. Hinter Emirs schweigender Präsenz auf dem Trip offenbart sich ein inzestuöses Begehren für seine Cousine. In einem nächtlichen, übermüdeten Streit im Auto, der sich im Wald fortsetzt, eskaliert die Situation. Der Stärkere fällt über die Schwächere her. Ein Ausbruch von Gewalt, der sich am Ende am Strand auf andere Weise wiederholt. Zwei breitschultrige Männer (Hotelaufseher?) verprügeln Denis und Alma, weil sie sich auf die Liegestühle gesetzt haben. Eine sinnlosere Motivation kann es für Gewalt kaum geben, und so findet man an dem traumhaft schönen bosnischen Ort am Mittelmeer schließlich Blutspuren – der Krieg mag lange vorbei sein; unterschwellige Aggressionen bleiben bestehen.

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