Für eine Fahrerin sieht die Frau zu perfekt aus. Sie ist platinblond, ihre Nägel sind rot lackiert, ihre Lippen weinrot, ihr Outfit ein Damenanzug mit betontem Dekolleté. Ava (Jessica Chastain) holt einen französischen Geschäftsmann mit ihrem SUV am Flughafen ab. Sie flirtet mit ihm und er fällt darauf rein: „No masks, no bullshit!“ Ava gesellt sich zu ihm auf den Hintersitz und erschießt ihn. Auf der Rückfahrt wischt sie sich die Blutspritzer und den Lippenstift ab. Die platinblonde Perücke landet auf dem Rücksitz.
Ava ist eine professionelle Auftragskillerin, die für eine ominöse Organisation namens „Management“ arbeitet. Ziel ist es, unliebsame Personen zu töten. Doch wer alles unliebsam ist, lässt sich nicht genau sagen. Einmal muss Ava einen deutschen Offizier erledigen, der mit Waffen in Riad handelt. Es ist ein kleiner Seitenhieb auf die häufig kritisierten Waffendeals von deutschen Unternehmen im Nahen Osten. Doch ausschließlich politisch motiviert agiert das „Management“ nicht.
„It’s not war. It’s business!“
Der Chef der Geheimorganisation, den Colin Farrell mit Schnauzer als hinterlistigen Bösewicht spielt, sagt einmal: „There are no sides. It’s not war, it’s business!” Als ein Auftrag von Ava schiefläuft, misstraut er ihrem Können und vermutet wieder einen Rückfall: Ava war jahrelang Alkoholikerin, nachdem sie bei der US-Armee ausgebildet wurde und im Einsatz war. Ihr Mentor (John Malkovich als fürsorglicher Agenten-Pate in Fischerhose) versucht sie vor dem Chef zu schützen und empfiehlt ihr unbefristeten Urlaub.
Den nutzt Ava, um ihre Familie nach acht Jahren Abwesenheit in Boston wieder zu sehen. Dort hat sich einiges geändert: der Vater ist tot, die Mutter liegt im Krankenhaus und die Schwester ist in einer Beziehung mit Avas früherem Freund. Niemand ist glücklich, Ava zu sehen, und andersherum auch nicht. Da tauchen die Schergen vom „Management“ auf, das die Killerin loswerden will.
Schwesternstreit und Waffendeals
Der Film von Tate Taylor will Actionfilm und Familiendrama gleichzeitig sein. Die Verbindung zwischen den zwei Genres funktioniert hier aber ebenso wenig wie die Genres jeweils einzeln für sich. Ist es logisch, dass Ava in Folge eines Familienkonflikts der Armee beitritt? Ist es konsequent, dass sie ihren Exfreund von seinen Spielschulden rettet, obwohl er ihrer Schwester gerade einen Heiratsantrag macht? Ist die Rivalität zwischen den beiden Schwestern um einen Typen so tragisch wie weltpolitisch gefährliche Waffendeals? Hinzu kommt, dass die Deals des „Managements“ nur holzschnittartig umrissen werden.
Die Ava Identität
Darstellerisch kann immerhin die Protagonistin überzeugen: Jessica Chastain, die den Film auch mitproduziert hat, kann genial zwischen der Rolle einer kämpfenden Femme Fatale und der einer traurigen Tochter wechseln. Sie beherrscht Kampfkünste und kann in Momenten der Ruhe auch die gebrochene Seite ihrer Heldin zeigen. Einmal fragt sie ihren Mentor nach den Gründen für den nächsten Auftrag, aber der winkt nur ab. Ava könnte eine weibliche Version von Jason Bourne sein, des CIA-Killers mit Amnesie: ein dysfunktionales Rädchen in einer Spionage-Maschinerie, deren Sinn und Zweck undurchschaubar bleibt.
Letztlich wirkt die Figur wie ein Relikt aus der Bush-Phase unmittelbar nach 9/11. Mittlerweile haben Killer und Agenten sehr abstrakte Formen aus Daten und Drohnen angenommen, denen jegliche Körperlichkeit abhandengekommen ist. Fast zeit- und ortlos werden heute Konflikte ausgetragen. Die James-Bond-Reihe versucht, das Problem mit Markenautos, Gadgets, Designeroutfits und der Exotik von weltweiten Schauplätzen zu kaschieren. In „Code Ava“ funktioniert nicht einmal das, obwohl der Film in Nordamerika, Frankreich und Saudi-Arabien spielen soll. Die Außenaufnahmen beschränken sich auf ein Minimum. Paris und British Columbia sind mit ihrem Herbstlaub und grau bewölkten Himmeln kaum unterscheidbar.
Killer sind keine Superhelden
Nachdem Ava ihren Exfreund mit Fäusten und Kicks verteidigt hat, fragt er sie: „Are you Wonder Woman?“ Sie antwortet ihm nicht direkt. Im Anschluss an die Szene bestellt sie in der nächstliegenden Bar einen doppelten Scotch und gibt kurzzeitig ihrer Abstinenz auf. Vielleicht wollte der Regisseur einfach zeigen, dass Killer eben keine Superhelden sind, sondern auch nur Menschen. Im englischen Original schreit Ava übrigens auf Deutsch: „Hülfe!“