Drama | USA 2019 | Minuten

Regie: M. Night Shyamalan

Eine junge, tief religiöse Frau fängt als Babysitterin bei einem Ehepaar an und zieht in dessen großbürgerlichen Haushalt mit ein. An ihrem ersten Arbeitstag stellt sich heraus, dass das Kind, für dessen Betreuung ihre Arbeitgeberin sie angeheuert hat, eine Puppe ist: Nach einer Totgeburt hat die Mutter einen Zusammenbruch erlitten; die lebensechte Puppe soll helfen, die Schärfe des Verlusts verarbeitbar zu machen, wird von der Frau jedoch für das echte Kind gehalten. Dann liegt wie durch ein Wunder statt des Ersatzobjekts unter dem Einfluss der neuen Babysitterin plötzlich tatsächlich ein lebendiges Kind in der Wiege. Ein Wunder - oder ein Betrug und ein Verbrechen? Es entspinnt sich ein Horror-Kammerspiel aus Trauer und Schuld, das in der zweiten Staffel absichtlich überdreht in eine schwarzhumorige Groteske abdriftet und so die Erwartungshaltung an das Mystery-Genre selbstironisch und überaus unterhaltsam sprengt. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
SERVANT
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Blinding Edge Pictures/Escape Artists
Regie
M. Night Shyamalan · Nimród Antal · Alexis Ostrander · Daniel Sackheim · Lisa Brühlmann
Buch
Tony Basgallop · Nina Braddock
Darsteller
Lauren Ambrose (Dorothy Turner) · Toby Kebbell (Sean Turner) · Nell Tiger Free (Leanne) · Rupert Grint (Julian Pearce) · Mason Belford (Jericho)
Länge
Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Horror | Mystery | Serie
Externe Links
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Eine von M. Night Shyamalan produzierte Mystery-Serie: Ein dubioses "Wunder", bei dem aus einer Therapiepuppe ein echtes Baby zu werden scheint, stürzt ein um sein totes Kind trauerndes Paar in quälende Ungewissheit.

Diskussion

Der Ekelfaktor gehört dazu im Hause Turner, denn Ehemann Sean (Toby Kebbell) ist Sternekoch und probiert viel Neues aus: Da werden noch zappelnde Aale mit einem Nagel durchs Auge aufs Schneidebrett geheftet und zerlegt, Hummer bei lebendigem Leibe im Kochtopf gegart und Grillen für ein besonders knuspriges Gericht als Lebendware angeliefert. Sean hackt, häckselt und häutet mit brachialen Gesten, und man ist sich nicht immer sicher, ob da neben der Konzentration nicht auch ein bisschen Genuss in seiner Mimik mitspielt.

Geist und Körper, so scheint es, tragen in diesem Haus einen fortwährenden Kampf miteinander aus und werden in diesen kulinarischen Ausbrüchen kanalisiert. Unter der Oberfläche brodelt es jedoch bedrohlich. Ein Unglück hat Sean und seine Frau Dorothy (Lauren Ambrose) nicht nur aus dem Gleichgewicht geworfen, sondern ihnen regelrecht den Boden unter den Füßen weggezogen: Sie haben ihren Sohn Jericho kurz nach seiner Geburt durch einen ominösen Unfall verloren, der Dorothy in eine Katatonie versetzte. Eine lebensechte Therapiepuppe sollte ihr dabei helfen, den Verlust zu verarbeiten, doch da ist irgendetwas schiefgelaufen. Das wird gleich in der ersten Folge deutlich, die damit beginnt, dass ein neues Kindermädchen, Leanne (Nell Tiger Free), im Domizil der Turners ankommt, um ihren Dienst anzutreten – Dorothy glaubt wirklich, die Puppe sei ihr Baby, hat eine Stelle ausgeschrieben und das Gästezimmer hergerichtet. Leanne wohnt nun bei der Familie und die Stimmung ist, gelinde gesagt, angespannt.

Ein „Wunder“ – oder ein Fluch?

„Servant“ heißt dieses Serien-Kammerspiel, produziert hat es M. Night Shyamalan, Hollywoods Experte für Mystery-Blockbuster, der weniger für subtilen Spannungsaufbau oder feinziselierte Narration bekannt ist, sondern eher für Plot-Twists im Brechstangenformat. Deshalb wartet man auch bei „Servant“ darauf, dass diese absurde Prämisse mindestens eine übernatürliche oder mysteriöse Wendung bringt, sucht nach Hinweisen darauf, wessen durchgeknalltes Innenleben dieses Horror-Haus eigentlich nach außen kehrt. Aufgrund der ständigen Perspektivwechsel ist lange nicht klar, ob überhaupt eine der vier Figuren – neben Sean, Dorothy und Leanne spielt auch Dorothys Bruder Julian (Rupert Grint) eine wichtige Rolle – auch nur annähernd glaubwürdig ist.

Nicht nur Dorothy scheint angeknackst, auch Sean zweifelt bald an seinem Verstand, denn Leanne spielt die Farce nicht nur mit, sondern bestärkt Dorothy in ihrem wahnhaften Verhalten, nimmt ihre Phantomschmerzen vom vermeintlichen Stillen ernst und hilft ihr, sich um den von der Geburt geschundenen Körper zu kümmern. Als statt der Puppe plötzlich ein echtes Baby in der Krippe liegt, zieht Sean Julian zu Rate, um zu klären, was da passiert ist: Hat Leanne der Familie ihr eigenes, uneheliches Kind untergeschoben? Oder ein fremdes Baby entführt? Oder sind doch übernatürliche Kräfte am Werk und hinter Leannes schon fast pathologischer Gottesfürchtigkeit steckt mehr?

Ein cleveres Spiel mit den Erwartungen der Zuschauer

In gewisser Weise ist „Servant“ ein klassischer Shyamalan-Stoff, denn die Fährten und Finten türmen sich regelrecht übereinander. Doch die Serie stellt diese Erwartungshaltung genüsslich zur Schau, scheint sich einen Spaß daraus zu machen, immer noch mehr mögliche Erklärungsversuche einzuführen. Erstaunlicherweise wirkt das kurze Serienformat hier Wunder, denn die jeweils nur 30-minütigen Folgen der beiden Staffeln schaffen es immer wieder, sich davor zu drücken, die Erwartungshaltungen zu erfüllen. Vielmehr mäandern die kurzen Folgen durch dieses Familienkonstrukt, das scheinbar nur noch von Trauer, Misstrauen und Gewohnheit zusammengehalten wird, und schaffen es auch ohne einen spektakulären Handlungsbogen, atmosphärisches Grauen zu erzeugen.

Wendet man sich den in sich verkrochenen Figuren dieses Hauses zu, wandert die Frage danach, woher das Baby kommt, bald in den Hintergrund. Denn vor allem die erste Staffel ist nach außen gekehrte Trauerarbeit und lotet die Verknüpfung von Körper und Geist aus. Denn nicht nur Dorothys physische wie psychische Gesundheit, sondern auch die Verfassungen der anderen Bewohner drohen sich gegenseitig herunterzuwirtschaften: Leanne geißelt sich abends in ihrem Zimmer mit einer Peitsche, Julian bedient sich fleißig im hauseigenen Weinkeller und trinkt sich in psychedelische Zustände, und Sean, der angesehene Star-Koch, hat nicht verheilen wollende Wunden, sein Geruchs- und Geschmackssinn verschwinden langsam und zuletzt auch sein Schmerzempfinden. Einmal hält er seine eh schon geschundene Handfläche über die Herdflamme, bis die Haut Blasen wirft – nichts. Die extravagante Eiscreme aus Hummerfleisch – für ihn gänzlich geschmacksneutral.

Eine Verquickung von Kochen, Körperzerstörung und Wahnsinn

Diese kurzweilige Verquickung von Kochen, Körperzerstörung und Wahnsinn wendet sich in der zweiten Staffel in groteske Komik, noch weiter abgelöst von jeglicher Handlung: Leanne hat die Familie überstürzt verlassen, und alle gehen davon aus, dass sie Baby Jericho in eine religiöse Sekte entführt hat. Die immer verzweifelteren Versuche der Eltern, ein Kind wiederzubekommen, das nicht ihres ist, münden in immer schlechtere Entscheidungen. Mit einem Fake-Pizzalieferservice wollen sie die Sekte locken, suchen für den Firmennamen halb-ironisch ein religiöses Homonym aus: „Cheese’s Crust – aus Gottes Ofen in Ihren Mund“. Spätestens hier ist der schwarze Humor nicht mehr aufzuhalten und verwandelt Trauer und Schmerz der ersten Staffel vollends in Wahnsinn. Vor allem Lauren Ambrose als Dorothy entfesselt eine übergeschnappte Karikatur aus Wahnsinn und Besessenheit. Es ist fast so, als wüsste sie um die Möglichkeit, dass sie nur eine fiktionale Figur ist und irgendwie aus diesem Handlungslabyrinth entkommen muss. Das ist sicherlich nicht sehr subtil, doch sprengt „Servant“ mit dieser selbstironischen Geste die so hartnäckige Erwartungshaltung an das Genre mehr als effektiv und wird dadurch höchst unterhaltsam – trotz und vielleicht gerade auch wegen des so enthemmten Zusammendenkens von Ekel und Genuss.

 

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