Summer Of Soul (…Or, When The Revolution Could Not Be Televised)

Dokumentarfilm | USA 2021 | 117 Minuten

Regie: Ahmir "Questlove" Thompson

Im Sommer 1969 fand nur hundert Meilen südlich von Woodstock das Harlem Culture Festival statt, das afroamerikanische Geschichte, Kultur und Mode feierte. Die Basis für die dokumentarische Aufarbeitung durch den Schlagzeuger und Musikproduzenten Ahmir „Questlove“ Thompson bildet Filmmaterial, das damals von der Veranstaltung gedreht wurde. Der Film begeistert nicht nur als Dokument des Ereignisses selbst, sondern auch durch die kluge Kontextualisierung, die das Festival in die gesellschaftlichen Entwicklungen und die „Black Power“-Bewegung einordnet und sich kritisch damit befasst, wie es im Gegensatz zu Woodstock lange aus dem kulturellen Gedächtnis nahezu getilgt werden konnte. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
SUMMER OF SOUL (...OR, WHEN THE REVOLUTION COULD NOT BE TELEVISED)
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
Concordia Studio/LarryBilly Prod./Mass Distraction Media/RadicalMedia/Vulcan Prod.
Regie
Ahmir "Questlove" Thompson
Kamera
Shawn Peters
Schnitt
Joshua L. Pearson
Länge
117 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm | Musikdokumentation
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Ein vielschichtiger Dokumentarfilm über das Harlem Culture Festival im Jahr 1969, das als "Black Woodstock" Schwarze Geschichte, Kultur und Mode feierte, danach aber lange aus dem kollektiven Gedächtnis verschwand.

Diskussion

50 Jahre Woodstock – dieses Jubiläum war im Jahr 2019 ein mediales Ereignis; das Andenken an das Festival wurde mit Gusto zelebriert. Dass es im Sommer 1969 nicht nur auf der Farm von Max Yasgur nahe Woodstock ein großes, dreitägiges „Get Together“ gegeben hatte, sondern gar nicht weit entfernt, im Park rund um den Mount Morris in Harlem, ein weiteres sich über sechs Wochen hinziehendes Festival, das über 300.000 Menschen gelockt hatte, musste erst wieder dem Vergessen entrissen werden. Das Woodstock-Festival, festgehalten auf Zelluloid und Mehrfach-Vinyl, ist weltweit geradezu legendär als friedlicher Höhepunkt der Utopie einer mehrheitlich weißen Hippie-Gegenkultur, das andere Festival geriet schlicht zum lokalen Ereignis, das nicht in die Geschichtsbücher Eingang fand.

Für „Black Woodstock“ interessierte sich niemand

Dabei war das Harlem Cultural Festival sehr wohl ebenfalls dokumentiert worden. Im Archiv des Filmemachers Hal Tulchin (1926-2017) lagerten an die 40 Stunden Material, von dem bislang nur kleine Teile für Nina-Simone-Dokumentationen genutzt worden waren. Dieses Material musste zunächst gefunden, dann gesichtet und digitalisiert werden. Tulchin selbst hatte wiederholt versucht, seine Aufnahmen als „Black Woodstock“ zu vermarkten, war aber auf keinerlei Interesse gestoßen.

Aufgrund seiner umfassenden musikalischen Expertise wurde das Projekt schließlich an Ahmir „Questlove“ Thompson (The Roots) herangetragen, der zunächst einmal staunte, weil er selbst von dem Festival noch nichts gehört hatte. Genau das scheint ihn aber letztlich gereizt zu haben, das Projekt zu seinem Regiedebüt zu machen, denn es ist ja in der Tat erstaunlich, dass ein soziales Ereignis von derlei Ausmaßen schlicht aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht wird.

Ein umwerfendes Musikdokument

Schaut man jetzt „Summer of Soul“, dann ist der Film als Musikdokumentation schlicht umwerfend. Höhepunkt reiht sich an Höhepunkt und formt sich zu einem Kompendium der Black Music. Das Programm ist bunt und abwechslungsreich, beginnt mit psychedelischem Soul-Rock (The Chambers Brothers) und setzt sich fort über Blues (B.B. King) und Gospel (The Edwin Hawkins Singers, Mahalia Jackson), Pop (The Fifth Dimension), klassischen Sixties-Soul (David Ruffin, Gladys Knight & The Pips), Jazz (Max Roach, Abbey Lincoln, Herbie Mann, Hugh Masekela), Latin Grooves (Mongo Santamaria, Ray Barretto), Future Sounds (Sly & The Family Stone, Stevie Wonder, der sich hier schon deutlich in Richtung „Innervisions“ bewegt und auch als Drummer brilliert) und endet mit einem triumphalen Auftritt von Nina Simone.

Man kommt nicht umhin zu konstatieren, dass die Musik auf dem Harlem Cultural Festival ungleich besser gealtert ist als diejenige auf der Konkurrenzveranstaltung vor den Toren New Yorks. Vielleicht auch, weil sie an Aktualität nichts verloren hat. Der Film konfrontiert zudem Akteure von damals heute mit den Bildern von 1969. Deren Erschütterung, Rührung und Stolz, Teil davon gewesen zu sein, verstärkt die Emotionalität der Bilder nochmals.

Kluge Kontextualisierung

„Summer of Soul“ ist jedoch weit mehr als eine Musikdokumentation, die ein längst vergessenes Ereignis in Erinnerung ruft. Ahmir „Questlove“ Thompson hat das Material so montiert, dass es einerseits von Segregation und andererseits von der Aktualität des Ereignisses erzählt und dabei auch den damit verbundenen Gedächtnisverlust der US-Gesellschaft thematisiert. Als narrativen Rahmen wählt „Summer of Soul“ die Gewaltgeschichte der US-Gesellschaft in den 1960er-Jahren mit den Morden an den Kennedys, an Malcolm X und Martin Luther King, mit den Rassenunruhen, dem militanten Widerstand der Black Panther Party, dem Vietnam-Krieg und der Heroin-Epidemie in der afro-amerikanischen Community jener Jahre.

„Summer of Soul“ erzählt vom Spirit der „black and brown community“, erzählt davon, dass die New Yorker Polizei sich weigerte, das Festival zu sichern, weshalb die Aufgabe von den Black Panthers übernommen wurde. Harlem wurde so zu einem „safe place“ der Community. Der Film erzählt auch von der „Black Consciousness Revolution“ jener Jahre, als es hieß, man sei „black, proud and beautiful“. Diese Haltung manifestierte sich auch in der Mode, sei es durch afrikanische Accessoires, sei es durch prachtvolle Afro-Frisuren. Dass diese „Black & Proud“-Haltung wiederum ästhetische Probleme aufwerfen konnte, zeigt der Film am Beispiel der Formation „The Fifth Dimension“, die gewissermaßen forciert zwischen Harlem und Woodstock zu vermitteln versucht. Die Band hatte ihren größten Hit mit „Aquarius / Let the Sunshine in“ aus dem Erfolgsmusical „Hair“ und wurde dafür als „black band with a white sound“ kritisiert.

Grenzen überwinden

Der Film selbst sucht solche positiven Vermittler-Figuren gegen die herrschende Segregation und findet sie in weißen Musiker:innen auf der Bühne, exemplarisch in der Besetzung von Sly & The Family Stone, in der der Drummer und der Saxophonist weiß sind und die Trompeterin ein Frau. Und dann ist da ja auch noch der „blue-eyed soul brother“ John Lindsay, der damalige Bürgermeister von New York City, der von der Community für seine Zugewandtheit gefeiert wird. Immer wieder zeigt der Film, dass das Festival eine Feier von Jung und Alt, von Puerto Ricaner:innen und Afro-Amerikaner:innen gewesen ist. Und er zeigt auch immer wieder einzelne weiße Hipster im Publikum.

Besonders pointiert sind die Impressionen von den divergierenden Haltungen zur „Apollo 11“-Mondlandung, die mitten in die Festivalzeit fiel. Während die weiße Öffentlichkeit das Ereignis feiert, stößt es in Harlem auf deutliche Reserven. Man hätte das Geld, das dafür ausgegeben wurde, auch anderswo einsetzen können. Und, ja, das „Harlem Cultural Festival“ sei für die Leute von größerer Bedeutung als die Mondlandung. Für die Bewohner:innen aus Spanish Harlem mit ihrer Herkunft aus Puerto Rico jedoch eröffnet der Mix aus Mondlandung und Afrozentrismus die Chance, die Stadt bald für sich allein zu haben, wird einmal grinsend zugespitzt. Und Pops Staples von den Staple Singers nimmt die Mondlandung zum Anlass, um von der Bühne herab zur verstärkten Bildungsanstrengung aufzurufen, damit irgendwann mal „one of us“ vielleicht US-Präsident werden könne.

Es war kein Traum!

Das hat zwar funktioniert, aber nicht viel verändert. So stellt sich der Eindruck ein, dass zwischen 1969 und 2019 eigentlich nicht viel passiert ist, ja, dass man vielleicht auch schon mal weiter war in Sachen Community-Bewusstsein. Das schönste Kompliment dem Film gegenüber aber macht Musa Jackson, der als Kind das „Harlem Cultural Festival“ als etwas Überwältigendes erlebt hatte. Beim Wiedersehen bricht er in Tränen aus und dankt dafür, dass der Film seine Erinnerungen bestätigt habe. Weil das Festival aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht sei, habe er irgendwann begonnen, seinen Erinnerungen selbst zu misstrauen. Aber es sei kein Traum gewesen. Dafür ist „Summer of Soul“ jetzt für Nachgeborene und Nicht-Dabeigewesene ein Traum von einem Film, dem die große Kino-Leinwand gut zu Gesicht gestanden hätte. Kann ja noch kommen.

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