Tatort - Hackl

Krimi | Deutschland 2022 | 89 Minuten

Regie: Katharina Bischof

In einer Münchner Hochhaussiedlung verunglückt ein junger Mann tödlich mit dem Motorrad, nachdem er durch einen Laserpointer geblendet wurde. Ein als Querulant bekannter Rentner macht sich verdächtig, weil er sich einmal mehr der Polizei widersetzt und untertaucht. Doch die Kommissare ermitteln auch in andere Richtungen und stoßen auf lauter Menschen, die nur mit sich beschäftigt zu sein scheinen. Der um einen faszinierend gespielten Extremcharakter herum entfaltete Krimi wertet die routinierte Aufklärung durch die gelungene Zeichnung kantiger Figuren stark auf. Über den Mikrokosmos des Hasenbergl-Viertels entwickelt er sich zudem zur Studie über die fatale Macht allzu leicht gefällter Vorurteile. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Tellux Film
Regie
Katharina Bischof
Buch
Dagmar Gabler
Kamera
Robert von Münchhofen
Musik
Jessica de Rooij
Schnitt
Florian Duffe
Darsteller
Miroslav Nemec (Ivo Batic) · Udo Wachtveitl (Franz Leitmayr) · Burghart Klaußner (Johannes Bonifaz Hackl) · Ferdinand Hofer (Kalli Hammermann) · Carolin Conrad (Sandra Mittermeier)
Länge
89 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Krimi

Kriminalistische Milieustudie um einen Mord in einem Münchner Hochhausviertel und einen bekannten Querulanten, der sich als Täter geradezu aufdrängt.

Diskussion

„München leuchtete“, wieder einmal. Doch anders als in der Thomas-Mann-Novelle „Gladius Dei“, wo ein religiöser Extremist dem weltlichen Personal dessen sinnlichen Lebensstil missgönnte, ist es diesmal nicht die Sonne im weiß-blauen bayerischen Himmel, sondern ein giftgrüner Laserpointer von der lebensgefährlichen Machart, der in schwarzer Nacht einen Münchner Stenz’ blendet, der frisch, fromm, fröhlich, frei (und ohne Helm) mit dem Motorrad durchs Hasenbergl cruist. Adam Moser (Tolga Türk) ist damit der erste Tote dieses „Tatorts“ (Buch: Dagmar Gabler, Regie: Katharina Bischof).

Das Hasenbergl, hier nicht nur Hauptschauplatz des Geschehens, sondern geradezu handelnde Stadtgestalt, ist ein Quartier im Norden Münchens mit wechselvoller Geschichte. Einst war es ein sogenannter sozialer Brennpunkt; heute gilt es nicht mehr als prekär. Teilweise recht spektakuläre Vogelperspektiven zeigen eine interessante strukturelle Verwandtschaft der modernen Architekturen von Tatort und Polizeirevier; vor allem der Polizeibau wird mit einigem Stolz auf die ultratransparente neue Arbeitswelt in Szene gesetzt.

Ein riesiges Wohnsilo beherbergt hingegen die Gemeinde von Opfer, Tatverdächtigen, Zeug:innen und solchen, die „nichts gesehen“ haben. Von Anonymität jedoch keine Spur; man kennt sich im Hasenbergl oder meint sich zumindest zu kennen. Denn „Tatort - Hackl“ ist vor allem auch eine Studie über die fatale Macht des Anscheins beziehungsweise der allzu leicht gefällten Vorurteile.

Ein Sonderling in starkem Verdacht

Schnell gerät eine Gestalt in den Fokus der Ermittlungen und in den Verdacht, etwas mit Adams Tod zu tun zu haben, die mit „Sonderling“ nur unzureichend beschrieben wäre. Johannes Bonifaz Hackl (Burghart Klaußner), ein alter, weißer Mann mit einem vieldeutigen Namen, transzendiert geradezu den Begriff des „Grantlers“ Altmünchner Art. Er ist durchaus „Teil von jener Kraft, die stets das Böse will“ (und – manches Mal – das Gute schafft). Mit einer Vergangenheit voller zivilem Ungehorsam und tätlicher Renitenz (eine kleine Bisswunde am Finger des Kommissars Leitmayr ist ein Hackl’sches Souvenir) lebt er nun von der „Stütze“, doch sozial isoliert und voller Verachtung gegenüber der Welt, inklusive eines stressinduzierten Tinnitus. Dabei wird offenbar: Hackl hasst jedermann, sich selbst eingeschlossen.

Unter seinem Filzhütchen steckt ein moderner „Wutbürger“, wie er im Drehbuch steht. Bei einer ersten Vernehmung in seiner Wohnung schreit er wie ein in die Ecke gedrängtes Tier: „Auslassen!“ Derjenige, der nach eigenem Bekunden nichts weiter als „a Rua!“ will, brüllt selbst nahezu unablässig. Der von Grund auf disparate Charakter wird von Burghart Klaußner mit flackernd lauernden Äuglein und auf der Flucht mit wüst-gehetztem Schnauben derart meisterlich verkörpert, dass seine Darbietung beinahe den ästhetischen Rahmen einer solchen Fernsehproduktion zu sprengen droht; auch die anderen Darsteller:innen agieren präzise, doch Klaußners Leistung hat Arthouse-Qualität.

Besonnen in alle Richtungen ermitteln

Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl) wären jedoch nicht ein so bewährtes, dienstaltes „Tatort“-Team, würden sie nicht besonnen auch in andere Richtungen ermitteln. Was hat es zum Beispiel mit Jonas (Lorenzo Germeno) auf sich, einem halbwüchsigen, computerspielsüchtigen Stubenhocker, der seiner Mutter, einer überforderten Lehrerin (Carolin Conrad), viel Kummer macht und offensichtlich ebenfalls eine Menge Wut in seinem beachtlichen Bauch hat? Müsste der nicht zumindest Augenzeuge der Tat gewesen sein? Oder ist er vielleicht selbst der Verlockung erlegen, sich mit dem Laser(-schwert) endlich einmal Macht über andere anzueignen? Das ominöse Objekt scheint im Hasenbergl geradezu von Hand zu Hand gegangen zu sein und hat seine Spuren fast überall hinterlassen.

Eine Recherche in Adams Nahfeld bringt wenig Aufschluss; die beiden Ermittler stoßen dabei zunächst auf die sprichwörtliche „Mauer des Schweigens“, hier meisterlich verkörpert von einem vielversprechenden Jungdarsteller namens Joshua Kimmich als wortkargem Empfangschef einer Muckibude, der sich provozierend genüsslich ein großes grünes Shake mixt – und fast nichts sagt.

Die Auflösung des an sich unspektakulären Falls kommt wie so oft im Krimigenre unerwartet, hier geradezu antiklimaktisch, jedoch erst nach einer weiteren, unselig-schlimmen Brandtat. Das Ende, dann doch in Weiß-Blau, stimmt nachdenklich, fast melancholisch: Ein Extremist wider die Welt der anderen liegt in extremis, und eine gequälte Seele findet schließlich ihre Ruhe.

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