Bullet Train Explosion
Action | Japan 2025 | 134 Minuten
Regie: Shinji Higuchi
Filmdaten
- Originaltitel
- SHINKANSEN DAIBAKUHA
- Produktionsland
- Japan
- Produktionsjahr
- 2025
- Produktionsfirma
- Netflix/EPISCOPE
- Regie
- Shinji Higuchi
- Buch
- Kazuhiro Nakagawa · Norichika Ôba
- Kamera
- Yusuke Ichitsubo · Keizô Suzuki
- Musik
- Taisei Iwasaki
- Schnitt
- Atsuki Satô · Kaori Umewaki
- Darsteller
- Tsuyoshi Kusanagi (Takaichi) · Kanata Hosoda (Fujii) · Jun Kaname (Todoroki) · Machiko Ono (Kagami) · Hana Toyoshima (Yuzuki Onodera)
- Länge
- 134 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Action | Thriller
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Remake eines japanischen Actionklassikers aus den 1970ern: Eine Bombe an Bord zwingt einen Hochgeschwindigkeitszug zu rasender Fahrt, während sich die Behörden ein Wettrennen gegen die Zeit liefern, um die Insassen zu retten.
Eine Gruppe Schüler:innen besichtigt das Shinkansen-Wartungszentrum. In den Hallen der East Japan Railway Company wird der Hayabusa 60, das modernste Modell des japanischen Hochgeschwindigkeitszugs, betriebsfertig gemacht. Für die Schüler:innen ist der Shinkansen-Zug sichtbar nicht mehr das, was er für Schaffner Takaichi (Tsuyoshi Kusanagi) bedeutet. Andächtig lauschen sie seinem Vortrag, dessen Pathos sie allerdings nicht verstehen. Aber schön klinge es trotzdem. Japans Generation Z nimmt den Bullet Train nicht mehr als das Symbol des japanischen Aufstiegs wahr, das er für Takaichi noch ist; zu selbstverständlich ist seine technische Perfektion geworden. Entsprechend ernst nimmt Takaichi nicht nur seinen Lehrauftrag, sondern auch den Job selbst. Über den Scherz, den der jüngere Kollege auf dem Weg zur nächsten Fahrt macht, kann er nicht lachen.
Die Mitfahrenden werden bald auf das Pflichtbewusstsein des Schaffners angewiesen sein. Denn am Symbol von Nippons Aufstieg wurde eine Bombe angebracht; er kann nicht anhalten: Sollte der Hayabusa 60 langsamer werden als 100 km/h, wird er in die Luft gesprengt.
Update eines Action-Klassikers aus den 1970ern
Das Verbrechen ist keineswegs neu. Als Quasi-Update von Junya Satōs „Panik im Tokio-Express“ (1975), der in „Speed“ ein prominentes US-Remake erfuhr, folgt „Bullet Train Explosion“ der gleichen Prämisse, hält sich jedoch betont an den historischen Abstand. Tatsächlich ist die Katastrophe des Vorgängerfilms in Shinji Higuchis Remake ins kollektive Gedächtnis eingegangen. Die Bilder des alten Films sind das Archiv- und Nachrichtenmaterial des neuen. Auch die (filmischen) Lösungsansätze sind in etwa die gleichen geblieben. Eine Sequenz, die Personal und Geographie der Einsatzzentrale vorstellt, ist eins zu eins eine Kopie von Junya Satōs Inszenierung. Bahngesellschaft und Staat suchen zunächst gemeinsam nach einer Lösung, drohen aber bald am Diktum des Ministeriums, das nicht mit Terroristen verhandeln will, zu scheitern.
Der Stoff ist Shinji Higuchi praktisch auf den Leib geschnitten. Als Filmemacher ist er gleichermaßen Spezialist für Katastrophenfilme („Japan Sinks“, 2006) und das große, symbolträchtige Spektakelkino Japans („Shin Godzilla“, 2016, „Shin Ultraman“, 2022). Entsprechend gelungen sind die filmischen Rettungsmanöver, die zwar (wie der Shinkansen selbst) im Vergleich zum Original schneller und sichtbar aufpoliert daherkommen, aber noch immer nicht primär dynamisches Momentum, sondern präzise geplante und genau ausgeführte Aktionen darstellen. In der Schaltzentrale werden Ideen mit Modellzügen durchgespielt, die schließlich eingesetzten Rettungszüge auf den Stundenkilometer synchronisiert an den Hayabusa 60 herangeführt, Rettungsrampen aufgebaut und im rechten Moment die Weichen gestellt. An anderer Stelle gibt sich Higuchis Film deutlich mehr Mühe, die eher statischen Innenräume des Shinkansen-Zugs und der Einsatzzentrale mit Zooms, Schwenks und Choreographie einer visuellen Frischzellenkur zu unterziehen.
Ein Spiegel der Malaise der japanischen Gesellschaft
Der eigentliche Unterschied zu „Panik im Tokio-Express“ ist aber ein struktureller. War Satōs Film ein größtenteils auf den Bombenleger und Erpresser zugeschnittener Hybrid aus Noir und Thriller, ist „Bullet Train Explosion“ ein waschechter Katastrophenfilm, der ganz bei Opfern und Rettern bleibt. Damals wie heute dient das Drama als Spiegel der Malaise der japanischen Gesellschaft. Die gewählten Protagonist:innen deuten dabei an, dass sich in fünfzig Jahren einiges verändert hat: Neben Schaffner Takaichi greifen auch Zugführerin Chika Matsumoto (Rena Nōnen), eine Politikerin, die ihre Kampagne plant, und ein Entrepreneur-Influencer, der die Katastrophe mit utilitaristischer Zweckethik zu navigieren versucht, ins Geschehen ein. Die einzige junge Frau an Bord ist sichtbar Teil einer ignorierten, unterrepräsentierten und frustrierten Gesellschaftsschicht.
Takaichi ist auch hier, als derjenige, der das Pflicht- und Arbeitsbewusstsein über die eigenen Interessen und die eigene Sicherheit stellt, die krisenfeste und allegorische Vorbildfigur. Wo Satōs Film einen Staat sah, dessen rigide Politik mehr Probleme schafft, als sie bewältigt, glaubt Higuchi daran, dass besagter Staat, so sehr er in den eigenen Strukturen festgefahren scheint, doch immer wieder in die richtigen Bahnen gelenkt werden kann: Die Verantwortlichen sehen sich bald genötigt, von der angekündigten Position, nicht mit Terroristen zu verhandeln, abzurücken.
Im Zug entsteht derweil eine andere Dynamik: Über die sozialen Medien entsteht eine Spendenaktion für die geforderte Lösegeldsumme, zur selben Zeit findet eine Hexenjagd auf einen der Passagiere statt, einen Helikopterpiloten, der vor Jahren einen Unfall verursachte, bei dem mehrere Menschen ums Leben kamen. Als die Situation zunehmend ausweglos erscheint, werden die ethischen Fragen möglicher Handlungsoptionen direkt zwischen den Insassen des Zugs und dem aus Staat- und Bahnunternehmen gebildeten Krisenstab diskutiert. Jedes der Opfer bekommt ein Stimmrecht bei dem, was sich anschickt, eine kollektive japanische Notbremsung zu werden.
Der Fortschritt hat gewonnen
Das Gesellschaftsabbild des Films ist breit, satirisch und dynamisch angelegt. Und doch fehlt mit der alten Hauptfigur, einem Mann, der an den Rändern der Gesellschaft existiert, eben die Konfliktpartei, die als Mensch zwischen Symbolik und Subtext existiert und die dazugehörigen Verhältnisse verkompliziert.
Die Person, die im Jahr 2025 außerhalb des vom Shinkansen verkörperten Prestiges steht, ist nicht mehr Teil eines Proletariats, das sein letztes Blut für das Überleben opfern muss. Vielmehr repräsentiert die zunächst anonyme Stimme eine längst ins System eingemeindete und für den politischen Gesamtkomplex zunehmend irrelevante Person. Mit der Abwesenheit der Außenwelt, des gesellschaftlichen Rands, entfällt nicht nur der Vorwärtsdrang, den „Panik im Tokio-Express“ durch die Noir-/Thriller-Struktur gewann, es fehlt gewissermaßen auch das eigentliche Zentrum der Katastrophe. Der Fortschritt hat gewonnen. Er hat keine denkbare Alternative mehr, die seine dehumanisierte Perfektion zum Entgleisen bringen könnte. Vielleicht steckt darin weniger Utopie, als Shinji Higuchis Film annimmt.