„The Shape of Water” – anders gelesen

Wasser ist eine Metapher für Liebe, die Kraft des Lebens und eine enorme Vielfalt. Das Leitmotiv des fantastischen Films von Guillermo del Torro lässt sich aber auch spirituell deuten.

Veröffentlicht am
13. September 2018
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Es gibt Kinofilme, die bereits beim ersten Sehen existentielle Saiten berühren und ganz eigenständige Schwingungen erzeugen. Diese pflanzen sich fort und erreichen ungeahnte Tiefen. Einer dieser stillen Gemmen ist „The Shape of Water“ von Guillermo del Toro. Das Genre-Gemisch einer „Fantasy-Romance“ greift eigentlich auf B-Movies zurück, die zweite Garde der amerikanischen Genre-Produktion. So stand „Der Schrecken vom Amazonas“ (1954) von Jack Arnold mit seiner Inszenierung eines Amphibien-Menschen Pate für die Filmidee von „The Shape of Water“. Guillermo del Toro veredelt das B-Movie-Sujet des bedrohlichen Fischmannes mit einer feinfühligen Erzählweise und einem wunderbaren Blick fürs Detail.

Es geht in der Geschichte um das Schicksal der alleinstehenden Elisa (Sally Hawkins), die im Baltimore der 1960er-Jahre lebt. Sie wurde am Ufer eines Flusses ausgesetzt und wuchs als Waise auf. Als stumme Frau kommuniziert sie mit Gebärdensprache und schlägt sich mit Putzarbeiten in den Labors der NASA durch. In diesem Umfeld trifft sie auf ein Wassermonster aus dem Amazonas, das von bösartigen Geheimdienstlern gefangen gehalten und gefoltert wird. Elisa nähert sich dem fremden Wesen an: Sie sucht die wortlose Kommunikation, findet eine Verbindung zum Unbekannten, befreit das Monster und verliebt sich in das Wasserwesen.


Im Traum schweben

Der Traum wird von Guillermo del Torro als durchgehendes Leitmotiv verwendet. Bereits die Eröffnungssequenz ist ein Verweilen im Schlaf, in einem zeitlosen Raum, der von Wasser geflutet ist. Elisa liegt schwerelos auf einem Sofa und schläft. Dadurch erhält das filmische Erlebnis selbst eine schwebende Qualität. Durch eine konsequente Ästhetisierung des Alltags gewinnt die Filmerzählung eine märchenhafte Dimension. Musik und Sounddesign verleihen dem Film etwas Verträumtes, das bis in den magischen Realismus hineinreicht. So wird das „Monster“ zuletzt auch zu einer Art „Gott“, der heilen kann und den Aufbruch der Hauptfigur in eine neue Dimension ermöglicht. Durch Tod und Auferstehung hindurch erlebt Elisa einen Prozess der Grenzüberschreitung, der ganz und gar innerweltlich geerdet bleibt. Aus spiritueller Perspektive könnte man von einer “filmischen Transzendenzbewegung“ sprechen, die sich im Medium des Wassers vollzieht.


„Monster“ und „Gott“ zugleich

Der Film fächert das Grundmotiv des mythischen Wesens, das aus dem Wasser entsteigt und dorthin zurückkehrt, in verschiedene Dimensionen auf. Die Hauptfigur lebt in einer Wohnung oberhalb eines Kinos, das als mythischer Raum der Träume inszeniert ist. In diesem Kino läuft „Das Buch Ruth“, ein Hollywood-Bibelfilm von Henry Koster aus dem Jahr 1960. Dies hat seine besondere Bewandtnis. In einer Szene ist das „Monster“ aus dem Badezimmer von Elisa geflohen. Sie macht sich auf die Suche nach ihrem „Fischmann“ und findet das mythische Wesen im Kino, vor der Leinwand stehend, mit Blick auf den genannten Bibelfilm. Aus dem oberen Stockwerk fließt Wasser in den Kinosaal. Das Medium des Wassers verbindet die Alltagswelt von Elisa mit den Kinoträumen und dem mythischen Wesen. Auf unterschiedlichen Ebenen spielt „The Shape of Water“ mit solchen Filmzitaten und entwickelt einen eigenen Erzählkosmos, der durchaus auch spirituell konnotiert ist.

Die Transformation des „Monsters“ in einen „Gott“ findet nicht nur im Auge des Betrachters statt. Dieser Metamorphose ist tief in der Wahrnehmung von Elisa verankert, die sich durch Gebärdensprache und körperlichen Kontakt auf das haptische Erleben des Fremden einlässt. Das wird durch blaue Lichtbahnen auf dem Körper des Fischmannes gespiegelt, die immer stärker aufleuchten. Selbst der abgrundtief böse FBI-Agent (Michael Shannon) muss am Schluss anerkennen, dass er hier einem Gott gegenübersteht. Denn nicht einmal eine Gewehrkugel kann das Wesen von seiner Mission abhalten.


Ein Wunder – durch die Kraft der Liebe

Mit dieser dramaturgischen Geste greift del Torro auf ein christliches Grundmotiv zurück. Der Schluss ist eine Wundererzählung. Es geht um die Erweckung zu neuem Leben. Durch die Hilfe von Elisa kann das „Monster“ im Verlauf der Filmerzählung in sein Element zurückkehren. Der „Amphibienmann“ gewinnt seine Welt des Wassers zurück, die ihm Kraft und Allmacht verleiht. Bei seiner Rückkehr in die Fluten des Regens entzieht er sich dem menschlichen Zugriff und vollbringt ein Wunder der Totenerweckung. Das erscheint in der magischen Logik des Genres konsequent, bleibt aber aus Sicht des Alltagsverstands vollständig fremd. Letztlich kann man als Zuschauer einfach nur glauben, dass hier im Element des Wassers Elisa zu einem neuen Leben erwacht ist. Del Torro konfrontiert mit einem Wunder durch die Kraft der Liebe.


Wasser als Medium der „Diversität“

„The Shape of Water“ ist zugleich ein Film über Solidarität zwischen Minoritäten. Die Arbeitskollegin Zelda ist als Afroamerikanerin ebenso am Rand der Gesellschaft angesiedelt wie die stumme Elisa und ihr Nachbar, ein arbeitsloser homosexueller Werbegrafiker in fortgeschrittenem Alter. Wie die Allianz dieser „Marginalisierten“ zu einer wundersamen Flucht des „Monster-Gottes“ aus der Gefangenschaft führt, ist beinahe nebensächlich und mit großer Leichtigkeit erzählt. Denn eigentlich geht es um existentielle Befindlichkeiten: die Verlorenheit in der Welt, die Rettung aus den Fängen des Bösen, die Überwindung des epochalen Kalten Krieges, um ein Ende von Rassismus und der Gewalt gegenüber Frauen in einer männerdominierten Gesellschaft.

Der Filmkritiker Philipp Stadelmaier hat darauf hingewiesen, dass das titelgebende Wasser als Medium für die fundamentale Diversität des Lebens zu deuten sei. Guillermo del Torro verwebt die Assoziation von Liebe, Kraft des Lebens und Vielgestaltigkeit der menschlichen Natur zu einer spirituellen Kinoerfahrung.

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