Drama | USA 2024 | 300 (acht Folgen) Minuten

Regie: Fernando Meirelles

Ein Privatdetektiv aus Los Angeles, der sich darauf spezialisiert hat, vermisste Personen aufzuspüren, lässt sich trotz Warnungen seiner Handlerin von einem alten Hollywood-Produzenten anheuern, um dessen verschwundene Enkelin zu finden. Die Ermittlungen zu dem Fall entpuppen sich als Stich in ein Wespennest, und nicht nur die Familie des Produzenten hütet Geheimnisse, sondern auch die Organisation, zu der der Detektiv gehört. Eine stylische Neo-Noir-Serie, die lustvoll mit Zitaten und Ausschnitten aus Klassikern des Noir-Genres arbeitet und einen soliden „Whodunit“ mit einer melancholischen Reflexion über Gewalt als Teil menschlicher Kultur verbindet. Lebhafte Figurenzeichnungen und ein verwegener Plot-Twist gegen Ende sorgen durchweg für packende Unterhaltung. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
SUGAR
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
Apple Studios/Genre Films
Regie
Fernando Meirelles · Adam Arkin
Buch
Mark Protosevich · Donald Joh · Sam Catlin · David Rosen
Kamera
César Charlone · Richard Rutkowski
Musik
Ali Shaheed Muhammad · Adrian Younge
Schnitt
Fernando Stutz · John Petaja · Luis Colina · Matthew Colonna
Darsteller
Colin Farrell (John Sugar) · Kirby Howell-Baptiste (Ruby) · Amy Ryan (Melanie) · James Cromwell (Jonathan Siegel) · Dennis Boutsikaris (Bernie Siegel)
Länge
300 (acht Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Serie
Externe Links
IMDb | JustWatch

Neo-Noir-Serie um einen Privatdetektiv, der in Los Angeles der verschwundenen Tochter eines Hollywood-Produzenten nachspürt und dabei in ein Wespennest sticht.

Diskussion

Privatdetektiv John Sugar (Colin Farrell) mag keine Gewalt. Er schlägt sich zwar äußerst effizient, wenn er keine andere Option hat – das sieht man in hartem Schwarz-weiß gleich in der ersten Szene der von Mark Protosevich kreierten Serie, in der Sugar in Japan am Fall eines entführten Kindes dran ist und sich in der Wohnung des potenziellen Entführers die Lage handfest zuspitzt. Aber es ist ihm lieber, wenn sich Konflikte ohne Blutvergießen lösen lassen.

Als eine Freundin (Kirby Howell-Baptiste), die zugleich eine Art „Handler“ für ihn ist, etwas später möchte, dass er bei seinem nächsten Fall sicherheitshalber eine Pistole mit sich führt, muss sie zu einem Trick greifen, um ihm die Waffe schmackhaft zu machen: Es handele sich bei der Pistole, die sie ihm offeriert, um genau jene, die Glenn Ford weiland in „The Big Heat“ (1953) getragen habe. Da kann Sugar nicht widerstehen. Er hasst zwar Gewalt, aber er ist fasziniert von Filmen, die um Verbrechen und die dunklen Seiten des Menschseins kreisen.

Die Film-noir-Welt unterwandert die Serien-Realität

Sugar liebt den Film noir der 1940er- und 1950er-Jahre, Hitchcock und Co. und verschmäht auch nicht Neo Noirs wie „L.A. Confidential“; die Helden, Femmes fatales und Schurken des Genres sind quasi seine ständigen geistigen Begleiter. Das suggeriert die Montage, die in die Handlung immer wieder Ausschnitte aus Filmklassikern von „Boulevard der Dämmerung“ über „Die Spur des Falken“ bis hin zu „Die Nacht des Jägers“ einflicht, als würde das, was Sugar gerade erlebt, ständig mit seinem (und unserem) Filmgedächtnis abgeglichen und gedeutet.

Letzteres war eine Idee von Regisseur Fernando Meirelles in Zusammenarbeit mit Editor Fernando Stutz, nachdem Showrunner Mark Protosevich Meirelles vor Drehbeginn zur Sichtung 15 Noir-Klassiker anempfohlen hatte. Und auch über die direkten Ausschnitte hinaus unterwandern die Filmvorbilder immer wieder die Serien-Realität, indem Situationen und visuelle Arrangements wie Querverweise wirken – wenn etwa in einer Szene vom Abfluss einer Dusche, in den das Wasser gurgelt, auf ein Auge übergeblendet wird und Genre-affine Zuschauer:innen sofort an die Duschszene aus „Psycho“ denken müssen. Ein Spiel mit „Easter Eggs“ für Cineasten, aus dem im Lauf der acht Episoden nicht nur die Liebe zum klassischen Kino spricht, sondern das sinnreich Teil einer Erzählung wird, in der es um eine melancholische Reflexion von Gewalt als Teil menschlicher Kultur geht. Einer von Sugars Freunden, Henry (Jason Butler Harner), ist Anthropologe, und auch Sugar selbst ist sowohl in seinen Ermittlungen als auch in seiner Film-Schaulust nicht zuletzt ein neugieriger Beobachter und Erforscher des Menschlich-Allzumenschlichen. Wofür er Gründe hat, die sich peu à peu andeuten, aber erst dann voll zu Tage treten, wenn die Serie in ihren letzten Folgen einen verwegenen Plot-Twist hinlegt.

Ein Entführungsfall in einer Hollywood-Dynastie

Auch Sugars neuer Fall, für den er die Pistole bekommt, hat mit dem Kino zu tun. Sugar, der sich darauf spezialisiert hat, vermisste Personen zu ihren Lieben zurückzubringen, lebt in L.A. und wird von einem einflussreichen Filmproduzenten, Jonathan Siegel (James Cromwell), angeheuert, um dessen spurlos verschwundene Enkelin Olivia (Sydney Chandler) zu finden. Obwohl er psychisch angeschlagen ist und unter Schlafstörungen leidet, nimmt Sugar den Auftrag an – denn die Vermisste weckt Erinnerungen an eine andere Frau in ihm.

Sein neuer Auftraggeber ist Patriarch einer glamourösen Hollywood-Dynastie; Olivias Vater Bernie (Dennis Boutsikaris) ist wie Jonathan Produzent; Olivias Halbbruder David (Nate Corddry) ist Schauspieler und hofft aktuell darauf, sich mit seiner neuesten Rolle zurück in den Star-Zenit zu spielen. Olivia selbst war lange das schwarze Schaf des Clans und sorgte höchstens mit Drogen-Eskapaden für Schlagzeilen; in letzter Zeit schien sie sich aber, laut Jonathan, gefangen zu haben. Als Sugar mit seinen Recherchen beginnt, merkt er bald, dass nichtsdestotrotz nur der Großvater sich wirklich Sorgen darum zu machen scheint, was aus der jungen Frau geworden ist; Bernie blockt ihn ab, und David macht sich damit verdächtig, dass er seinerseits jemanden auf Sugar ansetzt, der ihn beschattet. Und nicht nur ihm ist der Privatdetektiv ein Dorn im Auge: Wie weiland Jack Nicholson in „Chinatown“ stößt Sugar mit seinen hartnäckigen Nachforschungen in ein veritables Wespennest.

Stadt der Engel mit Abgründen

Wie Sugar sich nichtsdestotrotz unerbittlich immer näher an das herantastet, was mit Olivia geschehen ist, gestalten Showrunner Mark Protosevich und sein Team als stylischen, soliden „Whodunit“, der durchaus auch dann tragfähig ist, wenn man beim Spiel mit den Filmzitaten außen vor bleiben sollte. Das verdankt sich nicht zuletzt lebhaften Figurenzeichnungen, charismatisch angeführt von Colin Farrell als Titelfigur, die (aus gutem Grund) fast etwas zu „larger than life“ ist – fesch in perfekt sitzenden Anzügen und leuchtend blauem 1960er-Corvette-Cabrio, fließend nicht nur auf Englisch, sondern auch auf Japanisch, Arabisch und Französisch parlierend, so edelmütig, als hätte er den „Code of Chivalry“ direkt hinter die Augenlider tätowiert, und so charmant, dass selbst bissige Dobermänner vor ihm dahinschmelzen. Der letzte weiße Ritter in der Stadt der Engel, in der ansonsten hinter den sonnenbeschienenen, glanzvollen Fassaden moralische Abgründe lauern – wobei es in „Sugar“ nicht zuletzt um teils latente, teils offen brutale Misogynie geht, die in verschiedenen Formen in den Fall Olivia Siegel hineinspielt.

Wenn Sugar im Lauf der acht Episoden immer besessener darum kämpft, das Mädchen zu retten, gerät das für ihn immer mehr zum Balanceakt zwischen der dunklen und der hellen Seite. Die Gewalt, die Sugar nicht mag, die er aber so hartnäckig erforscht und beobachtet, färbt früher oder später unweigerlich ab. Er habe schon so lange mit ihr zu tun, sagt er an einer Stelle, dass er sich daran gewöhnt habe. Ihm ist klar, was das über die Welt sagt, in der er sich bewegt. Aber was sagt es über ihn?

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