Weltberühmt wurde sie als Gelsomina in dem Melodram „La Strada“ (1954), das sie zusammen mit ihrem Ehemann Federico Fellini drehte. Ihr traurig-fröhliches Clownsgesicht wurde zur ikonischen Persona der italienischen Schauspielerin Giulietta Masina. Doch ihre Darstellerinnenkunst erschöpfte sich keineswegs im Tragikomischen. Eine Würdigung einer großen Schauspielerin, die allzu lange im Schatten von Fellini stand. Am 22. Februar wäre sie 100 Jahre alt geworden.
Als
sie 1966 für „Julia und die Geister“ mit dem wichtigsten
italienischen Filmpreis „David di Donatello“ ausgezeichnet wurde, entgegnete
sie auf die Frage des Moderators, wie es sei, mit dem Ehemann Filme zu machen,
dass sie manchmal Lust habe, ihren Beruf zu wechseln und ihrerseits Filme zu
machen. Der Originaltitel des Films könnte dabei Aufschluss über ihre
Beweggründe geben: „Giulietta degli spiriti“. Spielt Giulietta Masina
sich selbst? Es könnte sich auch um eine selbstreferentielle Spielerei Federico Fellinis handeln. Vielleicht wollte sie das Heft aber auch deshalb lieber
selbst in die Hand nehmen, weil die Dreharbeiten anstrengend und
nervenaufreibend gewesen sein sollen. Als Giulietta Masina dem Moderator dann
mit einem schelmischen Grinsen im Gesicht sagt, dass sie einen Film mit dem
Titel „Die Geister von Federico“ machen könne, wird man abermals hellhörig.
Sind in dem Film möglicherweise gar nicht „die Geister Giuliettas“ zu sehen,
sondern die von Fellini? Und seine Frau will es ihm „heimzahlen“?
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Immerhin
ist es auffällig, dass die Geister, denen Giulietta im Film begegnet, zwar zum
ersten Mal in Fellinis Werk in Farbe zu sehen sind, davon abgesehen aber die
Ikonografie und Motivik seiner typischen Auseinandersetzung mit der
katholischen Kirche aufweisen. Während im vorherigen Film „Achteinhalb“,
der für viele als Fellinis Hauptwerk gilt, auf hohem reflexivem Niveau von
einer Schaffenskrise erzählt wird, steckt Giulietta in einer Beziehungskrise
(ihr Mann geht fremd, sich selbst versagt sie jedoch einen Seitensprung). Die
Geister, die ihr begegnen, blickt sie mit ihren neugierigen Augen erstaunt an,
als stelle sie sich immerfort die Frage, was ihr da so alles aufgetischt wird.
Kaum zu glauben, dass Giulietta Masina den wichtigsten italienischen Filmpreis
für ihre schauspielerische Leistung in „Julia und die Geister“ bekommen hat.
Vielmehr werden es wohl ihre wirklich bedeutenden Rollen gewesen sein, die sie
in den Jahren zuvor zum Weltstar gemacht hatten.
Ein Traum wird wahr
Zwei Jahrzehnte zuvor, im Jahr 1943. Die 22-jährige Giulietta Masina studiert Literatur an der Universität la Sapienza, der ältesten Universität Roms. Während ihres Studiums wirkt sie bei Theaterproduktionen mit. Dann erhält sie einen Anruf von Federico Fellini, ob sie bei einer Radioproduktion mitwirken wolle. Er arbeitet zu dieser Zeit als Journalist und als Radiodramaturg. Die beiden treffen sich. Beruflich finden die beiden zunächst noch nicht zueinander, dafür aber privat. Sie heiraten und werden bis zum Tod Fellinis 50 Jahre später zusammenbleiben.
Giulietta Masina hat in Interviews immer wieder betont, wie sehr es ein Traum von ihr gewesen sei, Schauspielerin und ein Star zu werden. Dieser Traum sei „finalmente“ in Erfüllung gegangen, als sie Clark Gable bei der „Oscar“-Verleihung im Jahr 1957 begegnete. Sie war eine leidenschaftliche Autogrammsammlerin; von ihm hatte sie noch keines. In Hollywood nahm sie stellvertretend den „Oscar“ für „La Strada“ als besten ausländischen Film entgegen; im selben Jahr war sie für ihre Rolle in „Die Nächte der Cabiria“ als beste Hauptdarstellerin in Cannes und in San Sebastián ausgezeichnet worden.
Fellinis
Regiedebüt „Lichter des Varieté“ (1951) brachte ihr die erste
größere Rolle ein. Im gleichen Jahr spielte sie in „Europa ’51“
an der Seite von Ingrid Bergman, deren Karriere durch die Heirat mit Roberto
Rossellini eine drastisch andere Richtung eingenommen hatte. Wohin sollte es
wohl mit Giulietta Masinas Karriere, als Ehefrau eines aufstrebenden
Regisseurs, gehen? Es dauerte nicht lange, bis Klarheit herrschte. Bereits 1954
spielte sie die Rolle, die sie unsterblich machen sollte: Gelsomina in „La Strada“. Der Film begründete zugleich Fellinis Ruhm als Regisseur und brachte
ihm den ersten „Oscar“ für den besten ausländischen Film ein. Es folgte eine
Nebenrolle in „Die Schwindler“ und 1957 der nächste Höhepunkt,
die Titelrolle in „Die Nächte der Cabiria“.
Tramp à la italiana
Gelsomina und Cabiria sind schauspielerische Glanzstücke, die große Resonanz hervorgerufen haben. Die britische Filmkritik verglich Gelsomina mit Chaplins Tramp, François Truffaut bezeichnete ihre Rolle der Cabiria als „ausgesprochen chaplinesk, eine Beobachtungskomik, die ständig auf irre Erfindungen hinausläuft“. Allerdings erkannte er in „Cabiria“ auch eine Fellinische Schöpfung, die Gelsomina aus „La Strada“ fortführe. Der französische Filmtheoretiker und „Vater“ der Nouvelle Vague, André Bazin, war von dem Bezug zu Chaplin nicht überzeugt. Bis auf eine bezeichnende Ausnahme.
Gelsomina ist selbstverständlich auch Giulietta Masinas Schöpfung (das betonte sogar Fellini selbst), so wie Zampanò auch Anthony Quinns Schöpfung ist. Ihre Körpersprache in „La Strada“ ist clownesk und in „Die Nächte der Cabiria“ ganz offensichtlich an Chaplin angelehnt. Für Fellini war Masina eine Clown-Schauspielerin, eine für ihn „rühmliche Bezeichnung“ (auch Adorno hätte dagegen nichts einzuwenden gehabt). Sie schuf eine Ausdrucksform zwischen Tragik und Komik, die wesentlich dazu beitrug, den italienischen Neorealismus in eine neue Sicht auf die Realität zu transformieren, die auch den Traum und die Imagination als Bestandteil der Wirklichkeit umfasste. Was beiden Filmen viel Häme von den Apologeten eines dogmatischen neorealistischen Stils einbrachte.
Wie Chaplins Tramp sind es gesellschaftliche Randfiguren, denen Masina eine Stimme gibt. Im Gegensatz zu Chaplin legte Giulietta Masina ihre Figuren sowohl mit einer exaltierten pantomimischen Körpersprache als auch mit einer enormen stimmlichen Präsenz an. Sie fordert eine Sprache der Gefühle ein, wenn sie versucht, Zampanò aus der Reserve seines maskulinen Panzers zu locken. So wehrt sie sich gegen ihre unsagbare Einsamkeit. Ein Kampf, den sie erst posthum gewinnt, wenn Zampanò am Ende des Films emotional zusammenbricht, als er von ihrem Tod erfährt.
Als Prostituierte Cabiria quasselt sie sich wiederholt temperamentvoll um Kopf und Kragen. Mit naiver Hartnäckigkeit versucht sie ohne Unterlass, ihren Körper mit Tanz und Slapstick im öffentlichen Raum sicht- und hörbar zu machen – und scheitert mit ebenso großer Regelmäßigkeit daran. Letztlich bleibt sie die Außenseiterin. Giulietta Masinas rundes Gesicht mit den lebendigen großen Augen trägt immer Züge einer listigen Aufmüpfigkeit in sich, es zeugt von nicht zu brechendem Frohsinn. Dieser wird durch die Narration in den Filmen kontinuierlich herausgefordert, mal mit tragischem Ausgang wie bei Gelsomina, mal mit offenem Ende wie bei Cabiria.
Die US-amerikanische Filmkritikerin Pauline Kael hat die Figur der Gelsomina als die „Seele“ bezeichnet (Zampanò als den Leib und den Seiltänzer „Matto“ als den „Geist“). Giulietta Masina ist zweifellos die Seele beider Filme: „La Strada“ und „Die Nächte der Cabiria“. Um noch einmal auf Bazin zurückzukommen: Es ist das letzte Bild, das mit Chaplin zu vergleichen er für angemessen hielt. Cabiria hat einmal mehr eine schlimme Erfahrung mit einem Mann gemacht (der Film beginnt bereits mit einer solchen) und wäre dabei fast ums Leben gekommen. Einsam und verlassen kommt sie aus dem Wald auf eine Straße, wo plötzlich junge Menschen ausgelassen mit Gitarren und Akkordeon und einer Vespa zu tanzen und zu musizieren beginnen. Sie umkreisen und umspielen Cabiria. Langsam heben sich ihre Mundwinkel wieder, und die Wolken verziehen sich aus dem Gesicht, um dieses umwerfende Lächeln neu erblühen zu lassen, das allen Herausforderungen des Lebens zu trotzen weiß. Das letzte Bild zeigt sie in Großaufnahme und ihre Augen blicken mal hierhin, mal dorthin und auch direkt in die Kamera, so dass auch wir, das Publikum, integriert werden in diesen musikalischen Reigen der Hoffnung auf das Gute im Menschen.
Komik und Tragik
Nicht nur in der Zusammenarbeit mit Fellini konnte Giulietta Masina ihr schauspielerisches Können unter Beweis stellen. Zu nennen sind vor allem der 1958 erschienene Film „Fortunella“ in der Regie von Eduardo De Filippo. Sie spielt die in armen Verhältnissen lebende Trödelhändlerin Nanda, die von ihrem faulen und unzuverlässigen Kompagnon Peppino (Alberto Sordi) die Nase voll hat und einen Professor kennenlernt, der nachts im Brunnen schwimmen geht. Zwar hat dieser das Herz am rechten Fleck, doch ist auch er nicht gerade die Zuverlässigkeit in Person und dem Leben zudem nicht wirklich gewachsen. Giulietta Masina spielt auch hier die Tragikomik einer Frau, die an die falschen Männer gerät, doch liegt der Schwerpunkt in der Komik.
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mit psychologischem Realismus legt Giulietta Masina ihre Rolle in Renato
Castellanis Gefängnisdrama „Die Hölle in der Stadt“ (1959) an.
Sie verkörpert Lina, die wegen der Beteiligung an einem Einbruch ins
Frauengefängnis kommt. Dort trifft sie auf die abgebrühte Egle, gespielt von
dem damaligen Superstar Anna Magnani. Der Film entwickelt sich zu
einem Kampf der Schauspielgiganten. Beide Schauspielerinnen vollziehen auch
hier den entscheidenden Schritt weg vom Neorealismus zu einem neuen Realismus
(Magnani wurde 1945 mit Rossellinis paradigmatischem neorealistischem Werk „Rom, offene Stadt“ zum Star), in dem die Schauspielkunst dazu beiträgt,
einzigartige und differenzierte Charaktere und nicht soziale Typen zu schaffen,
die eine klare Botschaft zum Ausdruck bringen.
Misserfolge und Comeback
Mit zwei deutsch-französischen Co-Produktionen, die vom deutschen Produzenten Kurt Ulrich initiiert wurden, bekam Giulietta Masinas Karriere Ende der 1950er-Jahre einen Knacks. Zuerst spielte sie die Erdme in „Jons und Erdme“ (1959) und danach die Titelrolle in der Verfilmung von Irmgard Keuns berühmtem Roman „Das kunstseidene Mädchen“ (1960) unter der Regie von Julien Duvivier. Beide Filme fielen sowohl bei der Kritik als auch beim Publikum durch. Zu einer weiteren Zusammenarbeit mit Ulrich in der geplanten, aber verschobenen Verfilmung der „Dreigroschenoper“ kam es nicht. Hildegard Knef spielte dann die Jenny unter der Regie von Wolfgang Staudte (zuvor war wohl Helmut Käutner als Regisseur im Gespräch).
In den 1960er-Jahren drehte Masina noch mit Alberto Sordi und Lina Wertmüller und 1968 in Hollywood schließlich „Die Irre von Chaillot“ von Bryan Forbes. In den 1970er-Jahren kamen noch vereinzelte Arbeiten fürs Fernsehen hinzu. Dort brachte ihr 1973 „Eleonora“ große Aufmerksamkeit ein. Erst 1986 kam es wieder zu einer Zusammenarbeit mit Fellini. „Ginger und Fred“ ist eine Satire auf die Realität und Banalität des Fernsehens. Giulietta Masina und Marcello Mastroianni spielen zwei alt gewordene Imitatoren von Ginger Rogers und Fred Astaire, die sich nach Jahrzehnten anlässlich einer TV-Weihnachtsshow, in der sie auftreten sollen, wiedersehen. Die Figur gibt Giulietta Masina leider nur bedingt Raum, ihre komödiantische Virtuosität auszuspielen. Das bleibt überwiegend Mastroianni vorbehalten. Doch allein ihre Präsenz und ihre würdevolle Darstellung einer gealterten Schauspielerin sind sehenswert. Für diese Rolle wurde sie ein weiteres Mal für den „David di Donatello“ nominiert.
Freiheit
In einem Interview mit Dominique Delouche, der bei „Die Nächte der Cabiria“ Regieassistent war, hat Fellini eingeräumt, dass Giulietta Masina für ihn „wie eine kleine Fee gewesen ist, die mir etwas eröffnet hat“. An anderer Stelle weiß Delouche aber auch davon zu berichten, dass Fellini Giulietta Masina am Set viel strenger behandelt haben soll als die anderen Schauspieler. Er habe Takes mit ihr so lange wiederholt, bis Giulietta Masina in Tränen ausgebrochen sei. Kein Wunder also, dass sie einmal gesagt hat, dass sie sich freier fühle, wenn Fellini nicht dabei ist.
Hinweise
2014 wurde Giulietta Masina mit einem Buch des langjährigen Wegbegleiters und Experten zum Werk von Federico Fellini, Gianfranco Angelucci, eine längst überfällige Würdigung zuteil. Ihre Filme mit Fellini sind auf DVD erhältlich. „Fortunella“ und „Die Hölle in der Stadt“ sind nur in Italien auf DVD erschienen. Beide Filme finden sich aber in ansprechender Qualität auf Youtube; „Fortunella“ im Original mit englischen Untertiteln. Auf der Arthaus-DVD von „Ginger und Fred“ ist die Dokumentation „Die Kraft des Lächelns“ über Giulietta Masina enthalten, der für den vorliegenden Artikel viele Informationen entnommen wurden.