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Brillanz und Bodenständigkeit - Peter Simonischek

Nachruf auf Peter Simonischek (6.8.1946-29.5.2023)

Veröffentlicht am
25. Juni 2023
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Maren Ades Film „Toni Erdmann“ verhalf dem österreichischen Schauspieler Peter Simonischek zu weltweitem Ruhm, von den deutschsprachigen Bühnen, Kinoleinwänden und Fernsehbildschirmen war der charismatische Mime freilich schon seit den 1980er-Jahren nicht mehr wegzudenken. Am 29. Mai ist er im Alter von 76 Jahren in Wien gestorben.


Der Tod, das wussten Bewohner rauer Gebirgsregionen schon vor Jahrtausenden, ist gar nicht die ultimative Verwandlung, die auf Erden möglich ist. Da geht noch mehr. Schrecklicheres und Lustigeres. Wie jene zotteligen, riesigen, böse Geister vertreibenden Ganzkörpermasken aus Ziegenfell, von denen Peter Simonischek eine trug, in der Rolle, die ihn endlich auch weltweit so groß, so gewichtig und so sichtbar machte, wie er es schon immer war.


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Als „Toni Erdmann“ zieht sich dieser Mann, der in Maren Ades legendärem Film von 2016 eigentlich Winfried Conradi heißt und sich inmitten einer Tragödie den Spaß eines Identitätswechsels samt künstlichem Gebiss erlaubt, eine solche monströse Fell-Maskerade über. Unangekündigt und wortlos sucht er damit seine Tochter Ines heim, gespielt von Sandra Hüller, die gerade mit den Kollegen-Lemuren ihrer Unternehmensberatungs-Firma Geburtstag feiert. Wie eine unerlöste Prinzessin scheint sie ihm im Brachial-Kapitalismus gefangen, während er verkörpert, was in Deutschland manche „linksgrün versifft“ nennen: Musiklehrer, Grünen-Wähler. Eine väterliche Intervention scheint ihm vonnöten, eine Performance – beides vom Kunst- und Businessjargon aufgesogene Begriffe –, um Ines mit einem gewaltigen Schabernack in einen Menschen zurückzuverwandeln.

Brachte Simonischek weltweite Aufmerksamkeit: "Toni Erdmann" (© NFP)
Brachte Simonischek weltweite Aufmerksamkeit: "Toni Erdmann" (© NFP)

„Ein Lügner im Dienste der Wahrheit“

Der 1946 in Graz geborene Theater- und Filmschauspieler Peter Simonischek, der am 29. Mai 76-jährig gestorben ist, hat dem Närrischen heutiger Identitäts-Grabenkämpfe somit ein unvergessliches Gesicht gegeben, oder, nun ja: die Zähne gezeigt. Zwar konnte er den Idealisten genauso glaubwürdig verkörpern wie den Egomanen, den eitlen Dirigenten (wie 2021 in „An seiner Seite“ mit Senta Berger) wie den um Völkerfreundschaft bemühten Maestro (2019 in „Crescendo“); und doch erreichte er sein wahrscheinlich größtes Publikum, als seine Verwandlung äußerlich und plakativ erschien: Perücke, Zähne, Fellkostüm.

In einem Interview mit dem ORF sagte er einmal, ein Schauspieler sei „ein Lügner im Dienste der Wahrheit“. In der Lüge aber gebe es eine Wahrhaftigkeit, die im Kino oder im Theater „untrüglich“ zu spüren sei, denn dann passiere „nichts anderes, als dass die Liebe fließt“. Deshalb seien sich die Schauspieler auch alle einig darüber, „wer der Größte war“: Marlon Brando, weil der so gespielt habe, als ob es gar kein Textbuch gebe, „als würde er jede Entscheidung im Moment treffen“. Darauf sei natürlich „jeder neidisch“, denn das zu können, sei eine Gnade.


Der Erd- und der Jedermann

Simonischek konnte das auch. Begnadet war er, nur wirkte es bei ihm bisweilen gemütlicher als bei Brando. Aber da durfte man sich nicht täuschen lassen. Furchtlos spielte er kürzlich den Gipfel des Unsympathischen: In Lars Kraumes „Der vermessene Mensch“ gab er einen mehr an Status als an Erkenntnis interessierten deutschen Wissenschaftler, dessen scheinbar empirisch untermauerter Rassismus zum Völkermord an den Herero und Nama führte. Simonischek konnte solchen geschichtlich verbürgten Ekeln einen Charme verleihen, dass ihre Wirkungsmacht plausibel wurde.

Die monströsen Seiten der Wissenschaft: Simonischek in "Der vermessene Mensch" (© Willem Vrey, STUDIOCANAL)
Die monströsen Seiten der Wissenschaft: Simonischek in "Der vermessene Mensch" (© Willem Vrey, STUDIOCANAL)

Seine Erscheinung verband den majestätischen Schmelz eines Maximilian Schell mit der empfindsamen bis aufbrausend rumpeligen Körperlichkeit eines Josef Bierbichler. Binnen Sekunden konnte er die Wärme seiner dunklen Augen unter den buschigen Brauen schockfrieren, und in feinen Abstufungen zwischen Brillanz und Bodenständigkeit erschuf er weltbürgerliche Intellektualität. Er war, ob mit edler Künstlermähne oder filziger Fusselperücke, der Erd- und der Jedermann: Von 2002 an acht Sommer lang, so oft wie niemand sonst, gab er in Salzburg den Jedermann in Hugo von Hofmannsthals gleichnamigem Theaterstück, das er einmal ein „Todes-Kasperletheater“ nannte.

Als Tod geschminkt taucht er übrigens auch bei Maren Ade auf, noch bevor er sich in Erdmann verwandelt: Seiner gefühlskalten Mutter, die im Keller noch verbeulte Stahlhelme aufbewahrt, tritt er mit Totenschädel-Make-up entgegen, weil er mit seiner Musikschulklasse gleich einen Auftritt haben wird. Was seine Mutter ohnehin nicht interessiert, also erlaubt er sich einen Scherz: Er habe einen „Nebenjob im Theresienstift, 50 Euro pro Exitus“. Die Mutter wird bleich, und die internationale Presse reibt sich nach der Premiere in Cannes die Augen: Die Deutschen können Komödie?


„Hamlet“ ändert alles

Ein Schrat war er schon. Zu Premieren soll er gerne mit dem Fahrrad gefahren sein. In seiner Wiener Altbauwohnung bewahrte er neben Trophäen wie dem Grimmepreis, dem Deutschen Filmpreis, dem Europäischen Filmpreis, dem Nestroy-Preis, dem Ernst-Lubitsch-Preis und vielen anderen auch die acht Gebisse aus „Toni Erdmann“ auf. Sie waren ganz besondere Trophäen, weil sie ihn an seine beruflichen Anfänge erinnerten: Simonischeks Vater war Dentist und forderte selbige Berufswahl natürlich auch vom Sohn. Brav begann Peter zunächst eine Ausbildung zum Zahntechniker, doch schon bei der Entscheidung für ein Studienfach widersetzte er sich: Architektur statt, wie vom Vater gewünscht, Medizin. Aber auch das war nichts für ihn.

Sein berufliches Erweckungserlebnis hatte Simonischek, als er mit seinem nichtsahnenden Vater in Graz eine „Hamlet“-Vorstellung besuchte, mit Superstar Helmuth Lohner in der Hauptrolle. In dessen „Jedermann“-Inszenierung würde er Jahre später als Tod auftreten, für ihn eine Auszeichnung. Dass wiederum noch viel später ausgerechnet die Rolle, in der ein künstliches Gebiss das wichtigste Requisit ist, Simonischeks beruflichen Lebensweg krönen würde, bewies ihm, dass das Leben manchmal wirklich Humor hatte. Das väterliche Gebot war als segensreicher Scherz zurückgekehrt, „Toni Erdmann“ wurde als bester fremdsprachiger Film für einen „Oscar“ nominiert. Simonischek nannte das einmal seinen „Fünfer im Lotto“.


„Ein ausgeprägtes Künstler-Ego“

Zuvor war auch schon seine Bühnenkarriere glanzvoll verlaufen: Er war ein Star an der Berliner Schaubühne, wo er mit Peter Stein und später mit Andrea Breth zusammenarbeitete, 2019 wurde er zum Ehrenmitglied des Wiener Burgtheaters ernannt, an dem er bereits seit der Jahrtausendwende zum Ensemble gehörte. Privat ging es hingegen auf und ab, aus zwei Ehen – seit 1989 war er mit der Schauspielerin Brigitte Karner verheiratet – stammen drei Söhne, die alle den künstlerischen Weg zu Theater und Film fanden. Wie ein reuiger Sünder gab er sich in der Rückschau: Er habe ein „ausgeprägtes Künstler-Ego“ gehabt, sagte er vor ein paar Jahren, dem sei alles andere untergeordnet gewesen, „vor allem die Frauen“. Er sei eben in einem patriarchalischen System aufgewachsen: „Mein Vater war die Instanz und die Mutter der dienende Teil. So bin ich auf die Frauenwelt losgelassen worden und habe peu à peu Lehrgeld gezahlt.“

Selbstkritisches Porträt eines patriarchal geprägten Künstlers: Simonischek in "An seiner Seite" (© ZDF/Arte, Hendrik Heiden)
Selbstkritisches Porträt eines patriarchal geprägten Künstlers: Simonischek in "An seiner Seite" (© ZDF/Arte, Hendrik Heiden)

Wenn ein alter weißer Mann wie er über sexuelle Übergriffe im Theaterbetrieb befand, so sei das eben gewesen früher, wie Simonischek im ORF-Interview sagte, hätte das andere in Teufels PR-Küche gebracht. Ihm aber konnte das nichts anhaben. Vielleicht ja auch, weil Toni Erdmann sich in der Wahrnehmung als noch viel stärker erwies als der sowieso sündenbehaftete Jedermann; weil mit diesem bizarren, liebenswerten Zottel eine Vaterfigur angetreten war, mit anarchischem Witz den bösen Geist aus dem väterlichen Gebot zu vertreiben und der Tochter zur Freiheit zu verhelfen. Oder, wie Ines’ Kollegin ihm einmal ihre Beratertätigkeit erklärt: „Die Kunst ist, dem Klienten zu erklären, was er eigentlich will.“ Toni Erdmann kaperte den neoliberalen Spruch und verwandelte ihn einfach in Liebe und Fürsorglichkeit.

Präsent war Simonischek seither als glücklicher Mann auf der Höhe seines Erfolgs. Umso schockierender erschien die Geschwindigkeit, mit der eine Krebserkrankung ihn, den so wuchtigen Mann, nun dem Tod entgegenschob. Beharrlich las er noch vor wenigen Wochen, erschreckend schmächtig geworden, in einem Burgtheater-Video aus dem Werk des ukrainischen Schriftstellers Andrij Bondarenko vor. Am 29. Mai ist er in Wien gestorben. Dabei hat sich die Welt doch gerade erst an seine mächtige Brust geworfen wie an die eines seltsamen Vaters, der als Partyschreck aufgetaucht und dann viel zu früh gegangen ist.

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