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Die Kunst, für gute Filme zu kämpfen

Ein lesenswerter Reader skizziert im Gespräch mit Erika und Ulrich Gregor die „Kunst, für gute Filme zu kämpfen“

Veröffentlicht am
27. September 2023
Diskussion

In dem spannenden Reader "Kino, Festival, Archiv. Die Kunst, für gute Filme zu kämpfen", erkunden Claudia Lenssen und Maike Mia Höhne in einem langen biografischen Interview mit Erika und Ulrich Gregor die Anfänge der „Freunde der Kinemathek“, des Arsenal-Kinos und des „Forums“ der Berlinale. Die detailreichen Ausführungen tragen die bislang nur vereinzelten Information zusammen und heben sie auf ein neues Niveau.


Die „Freunde der deutschen Kinemathek“ waren noch keine zwei Monate alt, als am 25. Mai 1963 die erste Vorführung im Studio der West-Berliner Akademie der Künste stattfand. Der Auftakt war ein langer Abend, bestehend aus zwei Teilen, „um damit die doppelte Zielsetzung des Vereins zum Ausdruck zu bringen“ wie es in der Pressemitteilung hieß. Auf dem Programm standen mit dem Stummfilmklassiker „Das Wachsfigurenkabinett“ von Paul Leni eine Wiederentdeckung aus der Filmgeschichte der Weimarer Republik und fünf zeitgenössische Filme der „Münchener Schule“, also der Unterzeichner des Oberhausener Manifests. Der Abend wurde zum Ausgangspunkt für eine der zentralen Institutionen des künstlerisch interessierten deutschen Kinobetriebs. Sieben Jahre nach diesem ersten Abend gründeten die „Freunde der deutschen Kinemathek“ ihr eigenes Kino: das Arsenal.


Die Basis: ein biografisches Interview

Claudia Lenssen und Maike Mia Höhne haben Erika und Ulrich Gregor, die das Arsenal und später das „Forum“ der Berlinale über Jahrzehnte geprägt haben, ein Buch gewidmet. „Kino, Festival, Archiv. Die Kunst, für gute Filme zu kämpfen“ zeichnet entlang eines ausführlichen biografischen Interviews die Kinoarbeit der Gregors detailliert nach. Ergänzt wird das Interview durch eine Reihe von Grußworten und Essays von Wegbegleiter:innen sowie zahlreichen reproduzierten Dokumenten und Fotos. Kurzum: einer Fülle an Material!

Die Anfänge der Gregors in der europäischen Filmkultur Ende der 1950er-Jahre erscheinen von heute aus wie eine fremde Welt. Beim ersten Besuch in Cannes verweigert der Stand der deutschen Filmindustrie den beiden Fotos zu einem Film, weil Ulrich Gregor für die ungeliebte Zeitschrift „Filmkritik“ schrieb. Als er für einen Vortrag über die französische Filmkunst jener Zeit zum Filmclub in Bad Ems reiste, übernachtete er auf einer Parkbank, weil die Hotels schon geschlossen hatten.

Was in dem Band besonders deutlich wird, ist der Wendepunkt, den das eigene Kino und die Gründung des Internationalen Forums des Jungen Films nach einer jahrelangen Krise der Berlinale bedeuteten. In wenigen Jahren wurde aus der umtriebigen Initiative mit Gastspielen in der Akademie ein Motor des deutschen und europäischen Kinos mit den Gregors im Zentrum dieser Entwicklung. Möglich wurde dies nicht zuletzt durch die persönliche Nähe zu einer Reihe von Filmemacher.innen, die durch eine bereitwillige Öffnung der Gästezimmer im Haus Gregor vor allem in der Anfangszeit entstand. So wurde István Szabó vom Gast zum temporären Kinderbetreuer, damit die Gregors auch nach der Geburt ihrer Kinder gemeinsam auf Festivals fahren konnten.

Ulrich Gregor im alten Arsenal in der Welser Straße (imago/Rolf Zöller)
Ulrich Gregor im alten Arsenal in der Welser Straße (imago/Rolf Zöller)

Im Laufe der jahrzehntelangen Leitung des Forums professionalisierten sich die Beziehungen. Doch in einer Anekdote vom Anfang der 2000er-Jahre, als es darum ging, Aki Kaurismäkis „Der Mann ohne Vergangenheit“ für die Berlinale zu sichern, verdeutlichen die Gregors, welche Bedeutung der persönliche Kontakt zu den Filmemachern für den Erfolg der Sektion hatte. In ihren Berichten von diversen Festivalreisen wird ein globales Netzwerk von Bekanntschaften und Freundschaften sichtbar, das die Grundlage dafür war, Filme nach Berlin zu holen.


Auf ein neues Niveau gehoben

Nicht ganz so gelungen sind die Gliederung und das Layout des Bandes. Der Fließtext montiert zwischen die Abschnitte des Interviews Zitate und Kommentare von Zeitzeugen der Ereignisse, die teilweise wiederum von den Herausgeberinnen kommentiert und erläutert werden. Diese eigentlich einfache Struktur führt im Layout zu einer kruden Bastelei von typographischen Hervorhebungen, überdimensionierten Anführungszeichen, Einschüben, Kästchen am Rand mit und ohne Fußnoten oder Fußnoten im Fließtext. Diese Layoutentscheidungen sind so unnachvollziehbar wie der Verzicht auf ein Register der genannten Personen, Filmtitel und zumindest der zentralen Ereignisse.

Wer mit dem inhaltsreichen Band arbeiten will, wird diese Erschließungsarbeit selbst leisten müssen, um Details wiederzufinden. Als Minimalbehelf wäre es hilfreich gewesen, wenn wenigstens einige der zahlreichen Kapitelüberschriften Jahreszahlen beinhaltet hätten, um eine grobe Orientierung im Buch anhand des Inhaltsverzeichnisses zu ermöglichen.

Die formalen Schwächen können dem Inhalt aber nichts anhaben. Das ausführliche Gespräch ist voller interessanter Details, vor allem über jene Episoden wie die Frühzeit des Arsenals, zu der bislang nur sehr verstreut einzelne Informationen vorlagen. Claudia Lenssen und Maike Mia Höhne verorten die Gregors in einem Netzwerk von Mitstreiterinnen und Gesprächspartnern. Mit dieser Kontextualisierung, unzähligen Details und einer hohen Präzision im Nachfragen haben Lenssen und Höhne das Wissen über das Arsenal, das Internationale Forum des Jungen Films und die Gregors auf ein neues Niveau gehoben, von dem aus weitere Forschung möglich ist. Für alle, die sich für deutsche Kinogeschichte und historische Programmarbeit interessieren, ist „Kino, Festival, Archiv. Die Kunst, für gute Filme zu kämpfen“ ein unverzichtbarer Band. Für alle Besucher:innen des Arsenals, die sich für die Geschichte des Kinos interessieren, ohnehin.




Kino, Festival, Archiv. Die Kunst, für gute Filme zu kämpfen. Von Claudia Lenssen und Maike Mia Höhne. Schüren Verlag, Marburg 2023. 248 Seiten, zahlr. Abb., 34 EUR. Bezug: In jeder Buchhandlung ober beim Verlag.

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