© Carole Bethuel („Hors du temps“)

Auftakt zur 74. Berlinale

Am Donnerstag, 15. Februar 2024, startet die 74. Berlinale. Ein Überblick über das Filmprogramm

Veröffentlicht am
04. März 2024
Diskussion

Am heutigen Donnerstag, 15. Februar 2024, startet die 74. Berlinale. Obwohl es das letzte Festival von Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian ist, weckt das Filmprogramm große Erwartungen. Vor allem im Wettbewerb und in den Specials finden sich die neuen Arbeiten vieler renommierter Filmemacher, etwa von Bruno Dumont, Abderrahmane Sissako, Andreas Dresen oder Severin Fiala und Veronika Franz. Ein Überblick über die Filme und Programme.


Mehr „Muss halt auch noch“ als „Da muss man hin!“. So fühlte sich die Aussicht auf die 74. Berlinale im Vorfeld an, die am Donnerstag, 15. Februar, jetzt mit dem Film "Small Things like These" von Tim Mielants startet. Nachdem den Ausscheiden von Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek mit Ende dieses Festivals stand zu befürchten, dass die Ausgabe 2024 in der Luft hängen würde.

Die Bären sind wieder los (© Internationale Filmfestspiele Berlin / Claudia Schramke, Berlin)
Die Bären sind wieder los (© Internationale Filmfestspiele Berlin / Claudia Schramke, Berlin)


Fast wie Ironie erschien es, dass der Titel des Eröffnungsfilms ausgerechnet „Small Things Like These“ lautet und von einem Regisseur stammt, dessen Namen allenfalls Serienfans etwas sagt, die seine Arbeiten für „Peaky Blinders“, „The Responder“ oder „Legion“ wahrgenommen haben. Sollte die Berlinale – also einer der „Big Three“ der europäischen Festivallandschaft und große Bühne für internationale Regiestars endgültig abgeschlagen sein? Doch je mehr man sich ins Programm der 74. Berlinale einarbeitet, umso klarer wird es, dass sich die „Muss halt auch noch“- Stimmung in eine „Da muss man hin“-Vorfreude wandelt.

Im Wettbewerb heißen diese Gründe unter anderem Bruno Dumont, Olivier Assayas, Abderrahmane Sissako, Matthias Glasner, Andreas Dresen, Viktor Kossakowski sowie Severin Fiala und Veronika Franz. Mit „L’Empire“ wildert Bruno Dumont, der zuletzt mit „France“ in Cannes präsent war, auf dem Gebiet der Science-Fiction-Genres und lässt das Imperium zurückschlagen. Hinter den unauffälligen Fassaden eines nordfranzösischen Fischerdorfes haben sich die Ritter einer interplanetarischen Großmacht niedergelassen und werden durch die bevorstehende Geburt des „Magrat“, einer Art kosmischer Antichrist, in Aufregung versetzt.

L'Empire (© Tessalit Productions)
"L'Empire" von Bruno Dumont (© Tessalit Productions)

Olivier Assayas, der mit seinen letzten Filmen ebenfalls in Cannes oder Venedig präsent war, ist nun mit „Hors du temps“ im Bären-Wettbewerb. Mit der Distanz von ein paar Jahren blickt der Film auf die Corona-Pandemie und die Lockdowns zurück und lässt als Tragikomödie zwei Brüder und ihre Partnerinnen im Landhaus ihrer Eltern aufeinandersitzen. Viktor Kossakowski, der zuletzt mit der Tier-Doku „Gunda“ begeisterte, widmet sich in seiner neuen Arbeit „Architecton“ – einem von zwei Dokumentarfilmen im Wettbewerb – dem Baustoff Zement und der Zukunft der architektonischen Gestaltung unseres Lebensraums.


Vielversprechende deutschsprachige Beiträge

Nachdem das deutschsprachige Kino bei der Berlinale 2023 etwas zu üppig präsentiert war, klingt die Auswahl dieses Jahr vielversprechender. Mit dabei ist das neue Projekt von Andreas Dresen, „In Liebe, Eure Hilde“. Mit Liv Lisa Fries in der Hauptrolle kreist der Film um Hilde Coppi, eine junge NS-Widerstandskämpferin der Gruppe „Rote Kapelle“. Matthias Glasner ist mit dem hochkarätig besetzten Drama „Sterben“ zurück, einem Familiendrama, in dem unter anderem Corinna Harfouch, Lars Eidinger, Ronald Zehrfeld und Lilith Stangenberg aufeinanderprallen.

"Sterben" (© Jakub Bejnarowicz / Port au Prince, Schwarzweiss, Senator)
"Sterben" von Matthias Glasner (© Jakub Bejnarowicz/Port au Prince)

Mit den beiden Österreichern Veronika Franz und Severin Fiala konkurrieren zudem zwei der derzeit interessantesten deutschsprachigen Vertreter des Genrekinos um die „Bären“. Sie präsentieren „Des Teufels Bad, nach „Ich seh, ich seh“ und „The Lodge“ ein weiterer Horrorfilm, diesmal in einem historischen Setting.

Stolz können die Programm-Macher auch auf Abderrahmane Sissako sein, den Grand Seigneur des afrikanischen Kinos. Sein jüngster Film „Black Tea“ kreist um eine Frau Anfang dreißig von der Elfenbeinküste, die zur Verblüffung ihres Umfelds kurz vor der Hochzeit ihren Ehemann in spe und ihre Heimat hinter sich lässt und nach Asien auswandert.

Diese Filme bekräftigen, dass es Carlo Chatrian bis zuletzt mehr ums sogenannte „Weltkino“ als ums Starkino zu tun ist. Zwar dürfte sich 2024 wieder mehr Prominenz aus dem englischsprachigen Raum auf dem roten Teppich tummeln, nicht zuletzt dank den Filmen im Wettbewerb und in den „Specials“, wie etwa dem Psychothriller „A Different Man“ von Aaron Schimberg.

Mehr Raum nehmen auch internationale Co-Produktionen ein, die sich mit dem Leben in einer globalisierten Welt auseinandersetzen. „Pepe“ von Nelson Carlos De Los Santos Arias, gedreht in Afrika und Kolumbien, widmet sich einem der sogenannten „Kokain“-Hippos, die der kolumbianische Drogenboss Pablo Escobar in seinen Privatzoo nach Kolumbien importieren ließ; der Film lässt eines der entwurzelten Nilpferde sozusagen aus dem Jenseits zum Publikum sprechen.

A Different Man (© Faces Off LLC)
"A Different Man" von Aaron Schimberg (© Faces Off LLC)

Auch in der „Encounters“-Sektion ist das deutschsprachige Kino gut vertreten, vornehmlich mit Regisseurinnen. Mit „Ivo“ präsentiert Eva Trobisch ihren zweiten Film nach dem fulminanten Debüt „Alles ist gut“, und mit „Favoriten“ ist Ruth Beckermann einmal mehr nach ihrem Triumph mit „Mutzenbacher“ in dieser Sektion vertreten. Ähnlich wie vor einigen Jahren „Herr Bachmann und seine Klasse“ widmet sich "Favoriten" dem Reizthema Schule; es geht um eine Klasse an einer Wiener Volksschule und ihre engagierte Lehrerin.


Die „Specials“

In den „Specials“ wird der südkoreanische Star Don Lee in der Actionkomödie "The Round-up: No Way Out" die Fäuste schwingen; der Franzose Nicolas Philibert, der 2023 mit seiner Doku „Aufder Adamant“ den „Goldenen Bären“ errang, hat mit "Averroès & Rosa Parks" einen weiteren Dokumentarfilm zum Thema Psychiatrie gedreht. Edgar Reitz präsentiert zusammen mit Dokumentarfilmer Jörg Adolph eine „Filmstunde 23“. Es geht um ein Schulprojekt im Jahr 1968, in dessen Rahmen Reitz in einem Gymnasium einen Workshop zum Thema Film geleitet hat, und um dessen Nachwirkungen in Form einer lebenslangen Filmliebe.

David und Nathan Zellner sind mit „Sasquatch Sunset“, einen Höhlenmenschen-Drama mit Riley Keough und Jesse Eisenberg, in den Berlinale Specials vertreten. Das gilt auch für „Love Lies Bleeding“, den zweiten Langfilm der britischen Regisseurin Rose Glass, die sich mit dem ungewöhnlichen Horrorfilm „Saint Maud“ empfohlen hatte. Die neue Arbeit ist ein Thriller mit Kristen Stewart und Ed Harris und kreist um zwei Frauen, deren lesbische Liebe auf ein gewalttätiges Umfeld prallt. Freuen kann man sich auch auf Atom Egoyan, dessen neuester Film „Seven Veils“ mit Amanda Seyfried um eine Theaterregisseurin kreist, die eine Neuadaption von Richard Strauss’ Oper „Salome“ auf die Bühne bringen will und von unguten Erinnerungen eingeholt wird.

"Love Lies Bleeding" (© Anna Kooris)
"Love Lies Bleeding" (© Anna Kooris)

Als Weltpremiere läuft auch ein Film des israelischen Regisseurs Amos Gitai.Shikun“ ist ein Drama, das vom absurdem Ionesco-Theaterstück „Die Nashörner“ (1957) inspiriert sein soll, in dem sich die Bewohner einer Stadt nach und nach in Dickhäuter verwandeln. Dieses Schicksal blüht auch den Protagonisten des Films, darunter eine von Irène Jacob gespielten Figur; allerdings wird die Handlung nach Israel verlegt und an die dortigen Verhältnisse zurückgekoppelt.


Ort der Begegnung und des Austauschs

Das Leitungsteam Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek betonten bei der Präsentation des Programms , wie sie die Berlinale als kulturelle Institution sehen und wie sie sie in den letzten Jahren gestaltet haben – als freier „Raum für künstlerischen Ausdruck“, als Plattform, die friedliche Dialoge anregen und einen Ort für Begegnungen schaffen und damit Empathie und Verständigung fördern solle. Und die Verständnis für die Komplexität der Welt wecken soll. Das Programm der 74. Berlinale lässt hoffen, dass sich dieser Anspruch wieder etwas mehr mit der Sehnsucht der deutschen Filmszene vereinbaren lässt, die „Berlinale“ als eines der wichtigsten Branchen-Großereignisse für Besucher aus aller Welt zu positionieren.


Ein Überblick über die Filme der 74. Berlinale


Wettbewerb

"Another End" von Piero Messina

"Architecton" von Victor Kossakovsky

"Black Tea" von Abderrahmane Sissako

"La Cocina" von Alonso Ruizpalacios

"A Different Man" von Aaron Schimberg

"Gloria!" von Margherita Vicario

"Dahomey" von Mati Diop

"L'Empire" von Bruno Dumont

"Hors du temps" von Olivier Assayas

"In Liebe, Eure Hilde" von Andreas Dresen

"Langue Étrangère" von Claire Burger

"Pepe" von Nelson Carlos De Los Santos Arias

"My Favourite Cake" von Maryam Moghaddam & Behtash Sanaeeha

"Who Do I Belong To" von Meryam Joobeur

"Shambhala" von Min Bahadur Bham

"Small Things Like These" von Tim Mielants

"Des Teufels Bad" von Veronika Franz, Severin Fiala

"A Traveler's Need" von Hong Sangsoo

"Sterben" von Matthias Glasner

"Vogter" von Gustav Möller

Im Wettbewerb: "In Liebe, Deine Hilde" von Andreas Dresen" (Berlinale)
Im Wettbewerb: "In Liebe, Eure Hilde" von Andreas Dresen" (© Pandora/Frederic Batier)


Encounter

"Arcadia" von Yorgos Zois

"Cidade; Campo" von Juliana Rojas

"Demba" von Mamadou Dia

"Direct Action" von Guillaume Gailleau, Ben Russell

"Sleep with Your Eyes Open" von Nele Wohlatz

"Une Famille" von Christine Angot

"Ivo" von Eva Trobisch

"The Fable" von Raam Reddy

"Favoriten" von Ruth Beckermann

"The Great Yawn" von Aliyar Rasti

"Some Rain Must Fall" von Qiu Yang

"Hands in the Fire" von Margarida Gil

"Through the Graves the Wind is blowing" von Travis Wilkerson

"Matt and Mara" von Kazik Radwanski

"You Burn Me" von Matías Piñeiro


Minna Wündrich in "Ivo" von Eva Trobisch (Adrian Campean)
Minna Wündrich in "Ivo" von Eva Trobisch (© Adrian Campean)


Berlinale Specials

"The Roundup: Punishment" von Meo Myeong-haeng

"Loves Lies Bleeding" von Rose Glases

"Spaceman" von Johan Renck

"Cuckoo" von Tilman Singer

"Seven Veils" von Atom Egoyan

"The Strangers' Case" von Brandt Andersen

"Treasure" von Julia von Heinz

"Averroès & Rosa Parks" von Nicolas Philibert

"Exergue - On Documenta 14" von Dimitris Athiridis

"Dostoyevsky" von Daminao & Fabiozo D'Innocenzo

"Filmstunde_23" von Edgar Reitz, Jörg Adolph

"The Box Man" von Gakuryu Ishii

"Das leere Grab" von Agnes Lisa Wegner, Cece Mlay

"Made in England: The Films of Powell and Pressburger" von David Hinton

"Sasquatch Sunset" von David & Nathan Zellner

"Shikun" von Amos Gitai

"Supersex" von Francescai Manieri

"Turn in the Wound" von Abel Ferrara

"Abiding Nowhere" von Tsai MIng-liang

"August My Heaven" von Riho Kudo

"Chime" von Kiyoshi Kurosawa


"Cuckoo" von Tilman Singer (Neon)
"Cuckoo" von Tilman Singer (© Neon)


Hinweise

Im Programmheft der 74. Berlinale finden sich alle Filme und Termine und weitere Veranstaltungshinweise.

Auf der übersichtlichen Programm-Website lassen sich nicht nur die Titel und Starttermin recherchieren, sondern auch Tickets erwerben.

Kommentar verfassen

Kommentieren