Small Things Like These

Drama | Irland/Belgien 2024 | 96 Minuten

Regie: Tim Mielants

Ein Kohlehändler aus der irischen Provinz wird in den 1980er-Jahren mit dem Leid im „Magdalenenheim“ des örtlichen Klosters konfrontiert. Dies weckt Erinnerungen an seine eigene, vom Makel der Unehelichkeit überschattete Kindheit und führt zu einem Gewissenskonflikt, da der Einfluss der Nonnen in der Gemeinde groß und das Mitgefühl der Menschen mit den „gefallenen“ Frauen im Kloster gering ist. Die Literaturverfilmung rund um das Unrecht, das in den kirchlich geführten Anstalten begangen wurde, führt durch die Perspektive eines nicht direkt Betroffenen die Mitverantwortung der Gesellschaft vor Augen. Die durchdachte visuelle Umsetzung und der exzellente Hauptdarsteller verleihen dem Drama über das moralische Ringen der Hauptfigur trotz einer recht ruhigen Erzählweise eine große innere Spannung. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
SMALL THING LIKE THESE
Produktionsland
Irland/Belgien
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
Artists Equity/Big Things Films/Wilder Content
Regie
Tim Mielants
Buch
Enda Walsh
Kamera
Frank Van den Eeden
Musik
Senjan Janson
Schnitt
Alain Dessauvage
Darsteller
Cillian Murphy (Bill Furlong) · Eileen Walsh (Eileen Furlong) · Michelle Fairley (Mrs. Wilson) · Emily Watson (Schwester Mary) · Clare Dunne (Schwester Carmel)
Länge
96 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
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IMDb | TMDB

Drama um einen irischen Kohlehändler, der in den 1980er-Jahren mit einem Gewissenskonflikt angesichts des Leids der „gefallenen“ Mädchen im örtlichen „Magdalenenheim“ ringt.

Diskussion

Die Schwere und Komplexität eines Dramas fast ganz ins Gesicht eines einzelnen Menschen legen zu können, ist ein Privileg des Kinos mit seiner Fähigkeit zur Vergrößerung. Selten wird das aber so deutlich wie in „Small Things Like These“ von Tim Mielants. Die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Claire Keegan lebt zu einem Großteil vom regengrauen Blick des Hauptdarstellers Cillian Murphy und vom Widerstreit seiner Züge. Die weichen, fast kindlichen Linien von Mund und Augen sind eingebettet in die scharfkantige Knochigkeit von Wangen, Stirn und Kinn, als lägen in diesem Gesicht Tod und Verjüngung ständig miteinander im unentschiedenen Kampf.

Als dieser Film 2024 die Berlinale eröffnete, hielten ihm manche genau das vor: dass Murphys Schmerzensmann-Porträt bei der Darstellung des Kohlenhändlers Bill Furlong zu viel Raum einnehme. Dieser Fokus führe zu weit weg vom „eigentlichen“ Geschehen, vom „eigentlichen“ Leid, also von den Opfern der Geschichte: jungen, „gefallenen“ Frauen, die im katholischen Irland bis in die 1990er-Jahre hinein zu Tausenden in sogenannten „Magdalenenheimen“ psychischer und körperlicher Gewalt ausgesetzt waren. Im Gegensatz etwa zu „Die unbarmherzigen Schwestern“ (2002) von Peter Mullan seien die Opfer bei Mielants nur Kulisse. Doch das ist ein seltsamer Vorwurf. So als lenke Murphys Kunst des offenen, ungeschützten Blicks nicht gerade mitten hinein in das eigentliche Drama dieses Films: das innerseelische Drama eines Mitleidenden.

Der Klang der Kirchenglocken

Noch vor dem ersten Bild nimmt das Läuten von Kirchenglocken allen Raum ein. Es ist ein kalter, mit großer Selbstverständlichkeit alles dominierender Klang. Er dringt durch die brüchigen Fassaden der von Kohlestaub, Feuchtigkeit, Armut und Ängsten bedrückten irischen Kleinstadt und wohl auch in die Seelen derer, die hier leben. Elend sind in diesem von hoher Arbeitslosigkeit gebeutelten Land eigentlich alle, auch diejenigen, die brav und gottgefällig arbeiten und ihre Kinder zu braven, gottgefälligen Menschen erziehen. Die Ausgestoßenen der Gesellschaft sind Mädchen und junge Frauen, die wegen unehelicher Schwangerschaften scheinbar gütige Aufnahme im örtlichen Magdalenenheim fanden.

Sie schuften dort unentgeltlich in der Wäscherei; ihre Neugeborenen sterben oder werden verkauft. Das alles geschieht unter dem mitleidslosen Blick von Schwester Mary (Emily Watson), einer machtbewussten Frau mit bohrend puppenhaften Augen. Als Bill das Heim beliefert, wird er einmal Augenzeuge einer gewaltsamen Einweisung. Später findet er eine Schwangere bei Eiseskälte im Kohlenschuppen, wo sie zur Strafe eingesperrt wurde. Schwester Mary spielt das Geschehen vor Bill herunter und nötigt ihm ein Schweigegeld auf, indem sie subtil damit droht, seine Töchter von der Schule nehmen zu lassen.

„Der Herr ist Mitgefühl und Liebe“, beten die Nonnen zusammen mit der Gemeinde beim weihnachtlichen Gottesdienst. Die Rolle der anderen Bewohner des Ortes ist die der tatenlosen Mitwisserschaft. „Schlafende Hunde soll man nicht wecken“, warnt die wohlmeinende Wirtin Bill einmal, und auch Bills Frau Eileen (Eileen Walsh) versucht, seine Aufmerksamkeit und Energie vom hinzunehmenden Elend weg auf die beeinflussbaren Dinge des Lebens zu lenken: etwa ein Weihnachtsgeschenk für sie selbst.

Ein Grollen wie von einem Erdbeben

Selten drängen sich die weibliche Mittäterschaft an patriarchalischen Strukturen und das männliche Dagegenhalten auf so engem Raum. Schwester Mary wittert in Bills Lebensumständen einen willkommenen Schwachpunkt und versucht ihn mit der Bemerkung zu provozieren, dass er doch „sicherlich unzufrieden“ sei, weil er mangels eines Sohns seinen Namen nicht weitergeben könne. Er trage den Namen seiner Mutter, entgegnet er. Dass bei diesem Gespräch auf der nur mit wenig Musik auskommenden Tonspur ein Grollen wie von einem fernen Erdbeben zu hören ist, lässt unheilvoll offen, welche Kraft hier heranrollt und wen diese irgendwann zermalmen wird: die Institution oder den mitfühlenden Einzelnen?

Rückblenden, eingebettet in Bills schlaflose Nächte, in denen er sich Tee kocht und aus dem Fenster starrt, erklären sein Mitfühlen vor allem aus seiner eigenen, verdrängten Biografie heraus. Die bahnt sich allmählich ihren Weg in sein Bewusstsein. Auch seine Mutter gebar ihn unehelich, immerhin nicht in einem solchen Heim. Er wuchs bei einer gutsituierten, mitfühlenden Frau auf, bei der seine Mutter bis zu ihrem frühen Tod im Haushalt arbeitete. Seinen leiblichen Vater kennt er nicht.

Psychologisch stimmig spielt der Film Bills übergroße Empathiefähigkeit nicht gegen das Betrauern des eigenen Lebens aus. „Wer seine Mutter beweint, beweint auch seine Kindheit“, notierte jüngst der französische Schriftsteller Didier Eribon. Die schweren Tränen, die manchmal über Bills unbewegtes Gesicht tropfen, gelten der eigenen Mutter und der eigenen Vergangenheit ebenso wie den gefährdeten Töchtern und dem brutalen Ausgeliefertsein der fremden jungen Frauen.

Verunsichernde Unwirtlichkeit

Die Kamera von Frank van den Eeden schafft mit in Unschärfen sich verlierenden Innenräumen, vagen Schwenks und unruhigen Fahrten eine bedrängende, verunsichernde Unwirtlichkeit. Das mit grünen Wiesen und boomender Wirtschaft assoziierte Land zeigt der Film in gedeckten, düsteren Farben, angeschmutzt und selbst in der Vorweihnachtszeit ohne jeden anheimelnden Charme, ganz so, wie das Land bis in die Mitte der 1990er-Jahre tatsächlich aussah. Doch über seinen atmosphärischen Realismus hinaus erzählt „Small Things Like These“ vor allem auf körperliche Weise vom Aufrechtsein, Sich-Beugen, Fast-Brechen. Der schweigsame Bill geht stets gebückt; er ist gewohnt, Lasten zu tragen. Sein Körper aber wirkt eigentlich viel zu zart für all die Kohlensäcke, die er Tag für Tag von seiner Ladefläche auf seine Schultern und dann in finstere Lagerräume wuchtet.

Natürlich erwartet man seit Cillian Murphys Rolle als „Oppenheimer“ den großen Knall, wenn man dieses Gesicht sieht, oder sucht einen Abglanz von fast unmenschlicher Größe in seinen Augen. Doch Bill ist kein Held der Großtat. Er schleppt Kohlen, weil er muss, er gibt ein paar Münzen, weil er nicht anders kann, und er reicht seine Hand, weil es nicht anders geht. Diese letzte Geste im Film vollführt Cillian Murphy nicht wie ein großer Erlöser von oben herab und auch nicht wie ein Gebrochener bittend hinauf. Er streckt seine Hand einer jungen Frau entgegen, auf Augenhöhe, aus dem Inneren eines warmen Raums.

 

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