© Viacom International (Lars Eidinger in "Der Panther")

Leders Journal: Die Serie „Zeit Verbrechen“

Leders Journal (XXVIII): Der Abschied des US-Streamers Paramount+ von deutschen Produktionen droht die außergewöhnliche Serie „Zeit Verbrechen“ ins Nirwana zu katapultieren

Veröffentlicht am
09. April 2024
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Bei der Berlinale wurde die von Paramount+ produzierte Mini-Serie „Zeit Verbrechen“ noch umjubelt, doch ob sie je zu sehen sein wird, ist mehr als ungewiss. Der Abschied des US-Streamers von deutschen Produktionen droht die radikalen Filme wie etwa „Der Panther“ von Jan Bonny ins Nirwana zu katapultieren.


Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die deutsche Serienproduktion einer Krise entgegengeht, dann wurde er auf der Berlinale geliefert. Selbstverständlich war das so nicht geplant. Im Gegenteil: Die Uraufführung der vier Folgen der Reihe „Zeit Verbrechen“, die nach Geschichten aus dem erfolgreichen Podcast der Wochenzeitung „Die Zeit“ mit dem Titel „Verbrechen“ entstanden, sollte die Leistungskraft des Auftraggebers Paramount+ beweisen. Die Streaming-Plattform, die zum Medienkonzern Paramount Global gehört, der 2019 aus der Fusion der Unternehmen Viacom und CBS entstand, war in Deutschland im Dezember 2022 an den Start gegangen, wesentlich später als die Konkurrenten Netflix, Disney+, Apple+ und Amazon Prime.


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Wie die Konkurrenz versprach Paramount+, in den Ländern, in denen es um Abonnenten warb, Filme und Serien in Auftrag zu geben. Auf diese Weise wollte man ein Publikum erreichen, dass mit ausschließlich US-amerikanischen Produktionen nicht zufrieden ist. Die dezentrale Produktionsweise hat vor allem Netflix in seinen Anfangsjahren betrieben und dabei genau studiert, wie die jeweiligen nationalen Produktionen in anderen Ländern und auf anderen Kontinenten ankamen. Die anderen Streamingdienste zogen mit Ausnahme von Apple+ nach. Das stimulierte die deutsche Serienproduktion enorm. Und der Erfolg von Serien wie „how to sell drugs online (fast)“, „Liebes Kind“ (beide Netflix), „Deutsches Haus“, „Sam - Ein Sachse“ (beide Disney+) und „Die Discounter“ (Amazon Prime), die bei Publikum wie Kritik gleichermaßen gut ankamen, schien dieser Strategie auch recht zu geben.

Packende Psychothriller-Serie: "Liebes Kind" (Netflix)
Packende Psychothriller-Serie: "Liebes Kind" (© Netflix)

Doch der deutsche Markt ist längst überfüllt. Auf ihm tummeln sich neben den großen Streaming-Plattformen ja noch Sportanbieter wie DAZN und die Mediatheken der Fernsehsender. Sich gegen diese Konkurrenz allein zu behaupten, erscheint für Paramount+ unmöglich. Daran ändern auch teure deutsche Produktionen nichts, die sich auf dem überfüllten deutschen Markt nicht refinanzieren lassen. So stoppte Paramount+, dessen Mutterkonzern selbst in einer schweren Krise steckt, die deutschen Auftragsproduktionen kaum, dass sie begonnen hatte. Man wolle sich beim Streaming auf US-amerikanische Produktionen konzentrieren, gab der Chef von Paramount Global im Januar bekannt. Um keinen falschen Eindruck zu erwecken, werde man die deutschen, aber auch die italienischen Produktionen, die bereits fertiggestellt seien, nicht auf dem eigenen Portal streamen.

Paramount+ vollzog damit das nach, was der Pay-TV-Sender Sky schon im Sommer 2023 beschlossen hatte: den Verzicht auf eine deutsche Auftragsvergabe. Es steht zu vermuten, dass andere Streamer nachziehen werden. Denn ob alternative Refinanzierungen wie die von Amazon Prime und Disney+ eingesetzte Werbeunterbrechung in Filmen und Serien, die über teure Abonnements geschaut werden, auf Dauer akzeptiert wird, bleibt abzuwarten.


Die ARD könnte die Serie ausstrahlen

Der reale wie der erwartete Rückzug wirkten sich aber unmittelbar auf die deutsche Serienproduktion aus, die angesichts der Zurückhaltung der privaten Sender nun auf die öffentlich-rechtlichen Sender angewiesen ist. Was mit den vier Filmen der Reihe „Zeit Verbrechen“ nun geschieht, ist aktuell unklar. Man kann nur hoffen, dass einer der öffentlich-rechtlichen Sender zugreift. Die ARD hat im März 2024 ja bereits die Krimiserie „Die Chemie des Todes“ von „Paramount+“ ausgestrahlt. Die sechsteilige Serie nach zwei Romanen von Simon Beckett war im Januar 2023 auf Paramount+ eingestellt worden; dort ist sie nach dem Verkauf an die ARD verschwunden.

Aber traut sich beispielsweise die ARD, die „Zeit Verbrechen“-Reihe zu übernehmen? Zweifel sind angebracht. Denn einer der vier Filme, „Der Panther“ von Jan Bonny, ist von einer Radikalität, wie sie im Krimi-Angebot der öffentlich-rechtlichen Sender selten zu erleben ist. Das nach einem realen Vorgang und dem diesen rekonstruierenden Podcast geschriebene Drehbuch erzählt von einem Ganoven, der von der Polizei als Informant angeheuert wird, um einen Drogenboss mit dem schönen Namen Porno zu überführen. Dieser Ganove namens Johnny nennt sich selbst „Panther“ und zitiert gerne das gleichnamige Gedicht von Rilke, das auch dem ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder gerne über die Lippen kam. Lars Eidinger spielt diesen Mann mit einer unbändigen Energie und einer enormen physischen Präsenz. Man hat fast den Eindruck, dass ihm die höchst bewegliche Kamera von Jakob Berger kaum folgen kann, wenn er durch die Spielsalons, Kneipen und Bordelle läuft und mit dem Motorrad über die Autobahn rast.

"Der Panther" von Jan Bonny (Viacom)
"Der Panther" von Jan Bonny (© Viacom)

Johnny ist ein Getriebener. Er steckt in Schulden, nicht zuletzt, weil seine Tochter drogenabhängig ist und auch er sich an der Ware vergreift, die er verkaufen soll. Augenblicke des Glücks erlebt er selten; nur wenn er nach stundenlangem Daddeln den Höchstgewinn am Spielautomaten abräumt. Gleichzeitig aber ist er jemand, der alle anderen bis zum Äußersten treibt und der bei einem Überfall auf eine konkurrierende Gang ungehemmt seine Gewalt austobt. In der eigenen Truppe geht er auch keinem Hierarchiekampf aus dem Weg. Vor Freunden kokettiert er mit seiner Rolle als Polizeispitzel, fürchtet sich aber zugleich davor, dass dies seine Gangsterkollegen erfahren könnten.


So radikal wie kompromisslos

Der Film folgt ihm durch diese planlose Jagd inmitten krimineller Verhältnisse. Ruhe kennt „Der Panther“ an keiner Stelle; selbst Momente des Innehaltens existieren nicht. Zudem verweigert der Film sich jedweder Erlösung. Im Verlauf der Handlung steigern sich die Spuren der Gewalt, der die Hauptfigur in all den Kämpfen unterliegt, die er mal provoziert, mal nicht vermeiden kann. Sie zeichnen seinen Körper auf eine Weise, die seinen demonstrativ selbstsicheren Auftritten Hohn sprechen. Verbrechen auf dieser gesellschaftlichen Ebene verlangen harte körperliche Arbeit. Nach den verbotenen Substanzen sind auch jene süchtig, die sie verkaufen und in Umlauf bringen. Den Respekt, den sie von Geschäftspartnern einfordern, zollen sie selbst niemandem, auch denen nicht, die ihnen bei ihren Schachzügen assistieren. Jeder kämpft für sich allein und bleibt es auch, allen Treueschwüren der Gang oder der Familie zum Trotz.

Ein Trost, der sich im traditionellen Fernsehkrimi aus der Aufklärung krimineller Handlungen ergibt, wird hier radikal verweigert. Selbst der Verrat des Polizeiapparats an dem, der die Verbrechen als eingeschmuggelter Krimineller aufklären soll, liefert für die Zuschauer keinen moralischen Mehrwert. Ebenso verweigert das Ende des Films jede Art von Befriedigung. Ob der Panther seiner Gang entkommt, die ihn wegen seines Verrats zu töten versucht?

Wenn es noch eines Beweises bedurfte, dass es jenseits der Genrekonventionen im Fernsehen etwas zu erzählen und zeigen gibt, dann hat es „Der Panther“ bewiesen. Man muss es den Autorinnen und Autoren, Regisseurinnen und Regisseuren nur erlauben. Doch die Verhältnisse sind längst nicht mehr so, dass man auf eine Abkehr vom Einerlei des Fernsehkrimis hoffen darf.

Weiterer Serien-Beitrag: "Dezember" von Mariko Minoguchi (Viacom)
Weiterer Serien-Beitrag: "Dezember" von Mariko Minoguchi (© Viacom)

Vier Filme einer außergewöhnlichen Serie

Drei Dinge sind noch nachzutragen. Die anderen Filme der „Zeit Verbrechen“-Reihe wurden von Helene Hegemann („Deine Brüder“), Mariko Minoguchi („Dezember“) und Faraz Shariat („Love by Proxy“) inszeniert. Neben diesen vier Filmen ist auch die sechsteilige Serie „Turmschatten“ mit Heiner Lauterbach und Desirée Nosbusch ihren Sendeplatz los, da sie auch von Paramount+ in Auftrag gegeben worden war.

Die Geschichte von „Der Panther“ spielt in einer Stadt, der bald eine größere Aufmerksamkeit zuteilwird. Denn es ist die des vermutlich neuen deutschen Meisters im Männerfußball: Leverkusen. Als Reklame für die Chemie-Stadt im Schatten des Bayer-Kreuzes eignet sich der Film allerdings nicht, da er sich eher für ihre Brachen, LKW-Parkplätze und randständigen Geschäfte interessiert denn für die schönen Seiten.

Ebenfalls in "Zeit Verbrechen": "Love by Proxy" (Viacom)
Ebenfalls in "Zeit Verbrechen": "Love by Proxy" (© Viacom)

Abseitige Orte und denkwürdige Ansichten hat auch der Mann in seinem ersten Fotobuch versammelt, der in „Der Panther“ die Hauptrolle spielt. Unter dem Titel „O Mensch“ hat Lars Eidinger Fotografien versammelt, die er über die Jahre in Europa, den USA und in China aufgenommen hatte. Das Fotobuch ist 2023 im Hatje Cantz Verlag erschienen.

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