Die Spur des Vaters - Nachforschungen über einen unbeendeten Krieg

Dokumentarfilm | BR Deutschland/Russland 1989 | 75 Minuten

Regie: Christoph Boekel

Anhand der Kriegstagebücher seines Vaters rekonstruiert der Filmemacher Christoph Boekel die Route, auf der sein Vater 1941 bis kurz vor Moskau gelangte, und wird dabei mit dem Leiden der russischen Bauern konfrontiert, die den Übergriffen der deutschen Wehrmacht ausgeliefert waren. In ihren schmerzvollen Erinnerungen ist der Krieg ebenso unbeendet wie für den Filmemacher, der sich den Gedanken und Argumenten des Vaters ausliefert, ohne abrechnen und verurteilen zu können. Indem er im steten Wechsel die Historie mit der privaten Geschichte des Vaters konfrontiert, schafft er auf intensive Weise die Voraussetzung für einen Dialog zwischen den Generationen. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
BR Deutschland/Russland
Produktionsjahr
1989
Produktionsfirma
Eikon/ZDF/Zentrales Studio für Dokumentarfilm Moskau
Regie
Christoph Boekel
Buch
Christoph Boekel
Kamera
Vladimir Beljaev
Schnitt
Sylvia Regelin
Länge
75 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion

Per Post erreicht den Filmemacher ein bemerkenswertes Angebot seines Vaters: Er wolle ihm, dem Sohn, seine Kriegstagebücher zur Verfügung stellen. Ein Angebot zur Recherche, zur historischen Forschung, nicht minder aber auch ein Anstoß zur persönlichen Aufarbeitung, zum schwierigen und sehr persönlichen Dialog zwischen den Generationen innerhalb einer Familie.

Es ist diese Spannung zwischen dem sehr Privaten und dem „Objektiven“ der Historie, die den Film von Christoph Boekel seine ganz eigene und eigenartige Intensität verleiht. Der Filmemacher begibt sich auf die Reise. Das Tagebuch des Vaters und seine persönlichen Briefe von der Front werden durch Kartenmaterial, Divisionsakten und Archivmaterial ergänzt. Zehn Monate hat der Russlandfeldzug des Vaters gedauert. Nun folgt der Sohn seinen Spuren vom ukrainischen Zwiaghel bis kurz vor Moskau, wo am Heiligabend des Jahres 1941 der Rückzug begann. Zusammen mit einer Dolmetscherin und dem (russischen) Filmteam vollzieht Boekel die Stationen der Panzerjägerabteilung nach, zu der sein Vater als Unteroffizier gehörte. Er findet Überlebende, deren teilweise detaillierte Schilderungen auf doppelte Weise erschüttern: weil sie Zeugnis geben von abscheulichen Massakern der deutschen Wehrmacht, aber auch, weil sie die fortwährenden inneren Verwundungen durch die Kriegserfahrungen vor Augen führen.

Massenerschießungen an „Partisanen“

Die Gegenüberstellung von Aussagen der Opfer mit den Tagebüchern von Walter Boekel stellen nicht nur für den Sohn, sondern auch für den Zuschauer eine kaum überbrückbare Irritation dar. Die Betrachtungen dieses sensiblen und kunstsinnigen 26-jährigen Wehrmachtsoffiziers wollen nur schwer zur Realität des grausigen Vernichtungskrieges passen. Schon zu Beginn der Reise ergibt sich ein augenfälliger Widerspruch: „Einen Einsatz im üblichen Sinn gab es noch nicht“, schreibt der Vater, stattdessen drei Tage „Säuberungsaktionen“ in den Wäldern. Rund 50 Jahre später schildern Augenzeugen detailliert diese „Säuberungsaktionen“ als systematische Massenhinrichtungen; „ausschließlich Partisanen“ seien damals hingerichtet worden, berichtet der Vater, an etwas anderes könne er sich nicht erinnern.

Zwischen Mitleid und Abscheu, Trauer und Fremdheit bewegen sich die Gefühle des Filmemachers auch angesichts der ideologischen Rationalisierung des Vernichtungskrieges: „Pioniere Europas“ seien die Deutschen, „Kulturbringer“, notiert der Vater im Tagebuch und sinniert darüber, ob deutsche Bauern „nach dem Sieg“ wohl überhaupt dazu zu bewegen seien, sich in diesen unterentwickelten Regionen niederzulassen. Später, als er im eisigen Winter zwei Monate lang in einem Erdloch hausen muss, wird die Herrenmenschen -Ideologie noch expliziter, um dann in grimmigen Nihilismus zu kippen. „Hier heißt der Krieg: Ausrottung des Feindes.“

Ein Feindbild und damit ein „Sinn“ seien notwendig gewesen, so der Vater heute, um die Strapazen des Krieges überhaupt zu überleben. Eine ebenso einfache wie einleuchtende Erklärung, die letztlich doch nur zu der Erkenntnis führt, dass befriedigende Erklärungen eben nicht möglich sind.

Die Widersprüche werden nicht negiert

Es ist er bemerkenswerte Verdienst von „Die Spur des Vaters“, dass der Film diese Widersprüche und Verunsicherungen nicht zuzuschütten versucht. Auch auf Seiten des „Täters“ ist der Krieg nicht „zu Ende“, trotz aller sprachlichen Gewandtheit, hinter der sich tiefere Gefühle verstecken. Boekel vermittelt diese Erkenntnis, ohne im Gegenzug die Täter zu Opfern zu stilisieren. Ob sie glaube, dass sein Vater nur „ein Betrogener“ gewesen sei, fragt der sichtlich bewegte Filmemacher die russische Dolmetscherin, nachdem er in einem Waldstück eine Reihe von Erdlöchern entdeckt hat, von denen sein Vater eines gegraben hat. Die Frage bleibt ohne Antwort.

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