Komödie | Deutschland 1925 | 74 Minuten

Regie: Friedrich Wilhelm Murnau

Molières Gesellschafts- und Sittenkomödie vom Heuchler und Schmarotzer Tartüff, verlegt ins Preußen Friedrichs II.; F.W. Murnau ergänzt die bekannten Ereignisse durch eine stilistisch abgesetzte Rahmenhandlung und lässt sie dadurch als "Film im Film" erscheinen. So unterstreicht er seine Aussage, dass Heuchler überall sind. Virtuos hält der hervorragend inszenierte, filmhistorisch wichtige Stummfilm-Klassiker die Balance zwischen Komödie, Krimi und Kostümfilm. Die restaurierte Fassung steht im Zentrum einer mustergültig konzipierten DVD mit interessantem Zusatzmaterial. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1925
Produktionsfirma
Universum-Film AG
Regie
Friedrich Wilhelm Murnau
Buch
Carl Mayer
Kamera
Karl Freund
Musik
Giuseppe Becce
Darsteller
Emil Jannings (Tartüff) · Werner Krauß (Orgon) · Lil Dagover (Elmire) · Hermann Picha (Der Alte) · Lucie Höflich (Dorine)
Länge
74 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Komödie | Literaturverfilmung
Externe Links
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Heimkino

Die schön edierte Ausgabe enthält neben einem informativen Booklet (8 Seiten), eine ausgezeichnete, filmhistorisch wertvolle Dokumentation zum Film und zu seinem Regisseur ("Tartüff - Der verschollene Film"; 44 Min.) von Luciano Berriatúa. Die Edition ist mit dem "Silberling 2005" ausgezeichnet.

Verleih DVD
Universum/Transit (FF, DD2.0 dt.)
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Diskussion
Der Mann hat nur Augen für die Brüste und die Beine der schönen Frau. Die Kamera zeigt es ganz deutlich. Mehrfach. Das wäre nicht gar so schlimm, wenn der Mann nicht vorgeben würde, ein tief religiöser Mensch zu sein, der ständig mit der Bibel unter der Nase umher schreitet, anderen mit Hilfe seiner Frömmigkeit viel Geld aus der Tasche zieht und mit sich selbst im Reinen ist, wenn er sagt: „Wer im Geheimen sündigt, sündigt nicht.“ Im Jahr 1925, als F.W. Murnau diese Blicke und diesen Satz in seiner Molière-Verfilmung „Tartüff“ kombinierte, war die katholische Kirche nicht gerade erfreut darüber, und auch das Thema des religiösen Heuchlers sah sie nicht gerne. Immerhin gab Murnau Molières Stück aus dem Jahr 1669 großen Raum in seinem Spielfilm; zugleich aber modernisierte er es, indem er eine neue Rahmenhandlung erfand: eine typische Erbschleicher-Geschichte von der sich aufopfernden Haushälterin, die es nur darauf abgesehen hat, durch ihre Heuchelei den reichen alten Herrn zu beerben, den sie hingebungsvoll pflegt, während sie über andere potenzielle Erben Lügen verbreitet und sogar erreicht, dass der nächste lebende Verwandte, der Neffe, enterbt wird.

An der Haltung der Kirche mag sich seitdem nicht viel geändert haben; Murnaus Stummfilm indes gehört zu den deutschen Filmklassikern, die man einfach gesehen haben muss. Nicht nur, weil Themen wie Scheinheiligkeit und Gier nach Sex und Geld heute immer noch eine große Rolle spielen, sondern auch, weil der Film seiner Zeit voraus war. Molières Stück wird als Aufführung im Heimkino gezeigt, und Historiker vermuten, dass es sich sogar um die erste „Film im Film“-Inszenierung der Spielfilmgeschichte handelt. Präsentiert wird sie von dem verkleideten enterbten Neffen als „Showmaster“, der seinem Onkel auf diese Weise indirekt die wahre Natur seiner Haushälterin vorführt. Als Moderator spricht der Neffe zudem direkt die Zuschauer an, was damals im Kino ebenfalls unüblich war. Mit Emil Jannings, Werner Krauss und Lil Dagover kann man die Stars der Zeit erleben, und mit Murnaus virtuoser Inszenierung eine schöne Balance zwischen Komödie, Krimi und Kostümfilm.

Die Murnau-Stiftung hat den Film als nahezu mustergültige DVD herausgebracht. Die Stiftung ist eine halbstaatliche Organisation zur Förderung und Bewahrung des deutschen Filmerbes, die sich schon vor Jahrzehnten nach dem berühmten Regisseur benannte. Analog zur ersten Murnau-DVD „Der letzte Mann“ gibt es nun „Tartüff“ in einer restaurierten Fassung, begleitet von der neu eingespielten, sorgsamen Klavierversion der Originalmusik (von Giuseppe Becce), die Javier Pérez de Azpeitia besorgte. Mit 42 Minuten ist die Dokumentation „Tartüff – der verschollene Film“ von Luciano Berriatúa auch nicht zu lang geraten und für Laien wie Filmstudenten gleichermaßen interessant. Auf anschauliche Weise erfährt man, dass es von einem (Stumm-)Film selten nur eine Version gibt, sondern meist mehrere; in diesem Fall sind drei Original-Negative erhalten geblieben, allerdings nicht das für den deutschen Markt, sondern nur jene, die für die USA und denExport in andere Länder angefertigt wurden. Auch haben sich vier verschiedene Sprachversionen in vier Kinokopien erhalten. Da die US-Kopie die wenigsten Gebrauchsspuren aufwies, wurde sie als Grundlage für die DVD genommen, obwohl einige Szenen fehlen, die in den USA zensiert wurden, wie auch der Epilog aus der erhaltenen Schweizer Fassung. Beides wird im Bonus-Material nachgeliefert.

Auch wenn die Restaurierung aufwändig erscheint – so entsprechen die neu gesetzten Zwischentitel der Schrift auf dem erhaltenen Filmplakat –, sind die Bilder nicht immer scharf, dafür aber einheitlich zart eingefärbt (eine Mischung aus Gelb und Sepia); auch der „Film im Film“ hat denselben Farbton. Warum das so ist, wird nicht erklärt – zumal in der Dokumentation alle Filmszenen schwarz-weiß sind. Zwei, manchmal auch drei parallel gesetzte Kader derselben Szenen in den verschiedenen Versionen zeigen aber sehr schön die Zensurschnitte und optischen Zugeständnisse an den (vermuteten) Zuschauergeschmack in den verschiedenen Ländern. Der Text des Booklets ist informativ. Etwas dürftig wirken dagegen im Bonus-Teil die Texttafeln mit den biografischen Daten zu Murnau, den Darstellern, dem Kameramann (Karl Freund), den Ausstattern (Robert Herlth und Walter Röhrig) und anderen Beteiligten, denn dazu haben deutsche Archive weit mehr Material. Ein Rätsel bleibt, warum man die Slideshow mit Standbildern nicht anhalten oder wenigstens im eigenen Tempo bewegen kann. Das alles sind indes Kleinigkeiten angesichts der Begegnung mit einer deutschen Produktion (bisher gab es nur eine amerikanische) 80 Jahre nach der Uraufführung, die in keiner Sammlung fehlen sollte.

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