Auf der Suche nach Albert Richter - Radrennfahrer

Dokumentarfilm | BR Deutschland 1989 | 90 Minuten

Regie: Raimund Weber

Der erfolgreiche Radrennprofi Albert Richter wurde am 31. Dezember 1939 an der Grenze zur Schweiz wegen "Devisenvergehens" verhaftet; drei Tage später wurde er tot in seiner Zelle gefunden. Die Version der NS-Machthaber lautete auf Selbstmord, was bis heute als äußerst zweifelhaft erscheint. In detektivischer Kleinarbeit zeichnet der Dokumentarfilm das Porträt eines Sportlers, der sich aus der Politik heraushalten wollte, aber der nazistischen Sportpolitik nicht entrinnen konnte. Ein interessanter, formal bisweilen etwas langatmiger Film, der durch vorschnelle Schuldzuweisungen an Glaubwürdigkeit einbüßt. - Ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
BR Deutschland
Produktionsjahr
1989
Produktionsfirma
Weber-Scholl
Regie
Raimund Weber
Buch
Raimund Weber · Tillmann Scholl
Kamera
Tillmann Scholl
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm

Diskussion
Es gab eine Zeit, da war Radrennfahren hierzulande eine der beliebtesten Sportarten, und einer der Helden der Masse, Albert Richter, deutscher Meister im Sprint 1933-39, war so populär wie Max Schmeling. Sprint war die Königsdisziplin des Radrennsports, die Sprinter wurden "Flieger" genannt und waren Idole, Träger von Träumen, die über den Alltag hinwegsteigen konnten. Beim Radrennen konnte auch ein Proletarier zum Helden werden, so wie Albert Richter aus dem "roten" Kölner Stadtteil Ehrenfeld. Ein alter Freund erzählt, wie Richter 1931 dem Ehrenfelder Radsportclub auf seinem Tourenrad beim ersten Probetraining davonradelte und wie die anderen Jungs mit ihren Super-Rennrädern nur so staunten. Richter war damals 19; kurze Zeit später wurde er Amateur-Weltmeister im Sprint. Eine Traumkarriere für den jungen Mann, der mit dem Deutschland-Adler auf der Brust im Rampenlicht steht. Doch schon bald hat der Adler ein Hakenkreuz. 1934 verweigert Richter bei seiner Siegerehrung für die Deutsche Meisterschaft den Hitler-Gruß und macht sich unbeliebt. Die Zeiten werden schlechter, aber Richter wird permanent deutscher Meister: er ist ein Held und kann es sich erlauben, mit den Faschisten nichts am Hut zu haben. Das kann aber auf die Dauer nicht gutgehen, besonders nicht beim deutschen Radsportbund, der sich als einer der ersten Sportverbände gleichschalten läßt, was unter anderem zur Auflösung des Arbeiterradsportbundes führt. Anfang 1940 ist Albert Richter tot: erhängt, Selbstmord. Man findet ihn in seiner Zelle im Gefängnis Lörrach nahe der Schweizer Grenze. Die Gestapo hatte ihn drei Tage zuvor, am 31. Dezember 1939, verhaftet und nach Lörrach gebracht; sie hatten unbeschränkten Zugang zu dem Gefängnis, konnten kommen und gehen, wie sie wollten. Zu jener Zeit gab es massenhaft Selbstmorde durch Erhängen in dieser Anstalt.

Die Nazis leisteten ganze Arbeit, um Richter aus der Geschichte des deutschen Sports auszulöschen. Nur wenige kennen ihn noch, meist Freunde, Bekannte oder andere Fahrer aus jener Zeit. Zu Beginn sieht man ein Radrennen für Senioren, Altersklasse 1910-16, Vertreter einer Generation, die es kaum noch gibt: "75 Prozent sind gefallen, die restlichen 25 Prozent sind zu 50 Prozent schon tot", erzählt ein alter Mann. Dann führt die Spurensuche zu den wenigen noch Lebenden. Dagegegengeschnitten sind Bilder jener Zeit - Filmausschnitte mit Richter gibt es nicht mehr in Deutschland, einer konnte noch in Frankreich gefunden werden: Richters letztes Rennen. Schnell wird ein Bild Richters sichtbar: ein einfacher, geradliniger Mann, sehr ernsthaft, man mußte ihn zu seinem Vergnügen zwingen. Unklar bleibt die Frage nach seinem Tod. Bei der offiziellen Erklärung wurde von Scham wegen eines versuchten Devisenschmuggels geschrieben. Die Erklärung von Weber/Scholl klingt glaubwürdiger: die Gestapo hat ihn ermordet - aber das ist nicht zu beweisen. Die Fakten sehen zwar so aus, das kann aber Zufall sein. Hier bewegen sich die Filmemacher noch auf relativ gesichertem Gebiet. Doch dann taucht die Frage auf, wer Richter verraten hat, denn der Verlauf der Ereignisse legt einen Verrat nahe. Ein Schuldiger ist schnell gefunden, er lebt noch, wird sogar vorgeführt. Aber ist er denn schuldig? Es gibt nur Vermutungen seitens der Regisseure, die alles so darstellen, als wäre es wahr, und sogar so weit gehen, das Interview mit dem vermeintlich Schuldigen suggestiv mit düster-dräunender Musik zu unterlegen. Man mag den Zorn der beiden Filmemacher verstehen, doch daß sie wie ein rächender Gott einen Schuldspruch fällen, geht bei allem Verständnis zu weit und ist eher ein Zeichen für ihre missionarische Blindheit. So solide der Film ansonsten auch hergestellt ist, so wenig kann man ihr Eifern gutheißen - das ist denunziatorisch, und damit begehen die Filmemacher einen ähnlichen Frevel wie "ihr" Angeklagter
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