Ein Pfeil in den Himmel

Drama | USA 1990 | 159 (Orig. 180) Minuten

Regie: Hector Babenco

Zwei Missionare und ihre Familien wollen eine verlassene Missionsstation im Amazonas-Dschungel wieder herrichten. Statt des christlichen Glaubens bringen sie den Indios jedoch Krankheit und Tod, indem sie eine Infektion einschleppen, gegen die die Eingeborenen keine Abwehrkraft besitzen. Der Film kann seinen aufklärerischen Anspruch nicht einlösen, weil er seine Figuren zu exzentrisch zeichnet und die ermüdend umständliche Handlung erst im letzten Drittel zu dramatischer Wirkung bringt. (Die deutsche Kinofassung ist gegenüber dem Original um etwa 20 Minuten gekürzt.) - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
AT PLAY IN THE FIELDS OF THE LORD
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1990
Produktionsfirma
Saul Zaentz Company/Universal
Regie
Hector Babenco
Buch
Hector Babenco · Jean-Claude Carrière
Kamera
Lauro Escorel
Musik
Zbigniew Preisner
Schnitt
William M. Anderson
Darsteller
Tom Berenger (Lewis Moon) · John Lithgow (Leslie Huben) · Daryl Hannah (Andy Huben) · Tom Waits (Wolf) · Kathy Bates (Hazel)
Länge
159 (Orig. 180) Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
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Diskussion
Nach "Kuß der Spinnenfrau" (fd 25 642) und "Wolfsmilch" (fd 27 218) darf man gespannt sein auf Hector Babencos neuen Film, einen Abstecher in den brasilianischen Dschungel und zu der heute mehr denn je aktuellen Thematik der Ausbeutung und Ausrottung natürlichen Lebens im Umkreis des Amazonas. Peter Matthiessens gleichnamiger Roman hat als Vorlage gedient, der 1965, als er erschien, eines der bedeutendsten Bücher über den willentlichen und unwillentlichen ökologischen Raubbau, aber auch eine ernstzunehmende Auseinandersetzung mit den Risiken wohlmeinender missionarischer Tätigkeit im zivilisationsfernen Dschungel war. John Huston und Paul Newman sind nur zwei Namen auf der langen Liste derer, die sich in den Jahren seit der Erstausgabe des Romans für dessen Verfilmung interessiert haben. Hector Babenco und sein Autor Jean-Claude Carrière (der einst für Luis Bunuel schrieb) müssen nach ihrem späten Start gegen harte Konkurrenz antreten. Das Sujet ist im letzten Jahrzehnt gleich mehrmals behandelt worden, und zumindest drei Filme haben die Thematik mit großer Überzeugungskraft und Individualität auf die Leinwand gebracht: Roland Joffes "Mission" (fd 25 940), John Boormans "Der Smaragdwald" (fd 25 324) und Bruce Beresfords in nördlicheren Regionen angesiedelter Film "Black Robe" (fd 29 609). Babencos Dramatisierung (und das legt Matthiessens Roman nahe) kombiniert die Themen aller dieser Filme, mutet sich und dem Zuschauer damit eine Menge zu und - das sei schon vorab gesagt - scheitert an der Fülle angesprochener, aber nicht überzeugungsfähig genug durchgearbeiteter Probleme. Dabei gereicht dem Film fraglos zum Nachteil, daß er im Kinogänger so vielfache Erinnerungen weckt, bis hin zum Vergleich der Figuren, zum Beispiel auch mit dem idealistischen Außenseiter in Peter Weirs "The Mosquito Coast" (fd 26 027), der seine Familie aus einer gesicherten Existenz in die Ungewißheit des Dschungels führt.

"Ein Pfeil in den Himmel" versammelt eine ganze Gruppe höchst unterschiedlicher Menschen mit verschiedensten Interessen in der kleinen Siedlung Mac de Deus am Rande der Wildnis. Leslie und Martin (mitsamt ihren Frauen) sind fundamentalistische Missionare, die den Eingeborenen das Christentum bringen wollen; Lewis Moon und Wolf sind zwei Abenteurer, die mit ihrem Flugzeug auf der in den Dschungel geschlagenen Landebahn des Kaffs niedergehen. Sie sehen sich sehr bald gespalten in ihren Sympathien. Während die Missionare eine verlassene Urwaldstation neu eröffnen wollen, erachtet der Kommandant des Ortes es als seine einzige Aufgabe, ein paar Bomben auf die Siedlung der Eingeborenen abzuwerfen, damit sich die Indios weiter in den Dschungel zurückziehen und damit Siedlern und Goldsuchern Platz machen. Es ist Moon, der als erster eine klare Position bezieht. Er fliegt eines Tages mit den letzten Litern Sprit in die Urwaldregion und springt mit dem Fallschirm über der Eingeborenensiedlung ab. Selbst indianischer Abstammung, vermag er sich am deutlichsten mit den fern jeder Zivilisation lebenden Stämmen zu identifizieren. Während Moon als Abgesandter der Götter in das Urwalddorf aufgenommen wird, in langen Monaten die Sprache und die Riten der Eingeborenen erlernt, ja sogar eine indianische Frau und Tochter bekommt, machen sich Leslie und Martin auf, die verfallene Missionsstation aufzubauen.

Zum Nachteil gereicht dem Film vor allem die Vielzahl der Personen, mit der er umgehen muß, und daß erst aus der Gegensätzlichkeit der Charaktere die eigentliche Konfliktsituation aufgebaut werden kann. Babenco, der sich ersichtlich Zeit läßt, Figuren und Situationen einzuführen, so viel Zeit, daß die Story in einen mehr als dreistündigen Film ausufert, wird viele Zuschauer bereits während der Exposition verlieren. Während in der schließlichen Kulmination der Handlung die Personen dramatisches (im Fall der Frauen sogar überdramatisiertes) Profil gewinnen, läßt sich kaum leugnen, daß einen keiner der Beteiligten in der ersten Stunde des Films mit Anteilnahme erfüllt. Der wohl sehr bewußte - weil generalisierende - Verzicht auf private Hintergründe macht es dem Zuschauer nicht leichter, den ermüdend langsamen, allenfalls von spektakulären Landschaftsbildern unterbrochenen Aufbau des Konflikts ohne Anflüge von Desinteresse zu überstehen. Auch Joffés, Boormans und Beresfords Filme sind nicht gerade kurz, aber sie verstehen es, das Publikum durch geschickte filmische Dramatisierung in ihren Bann zu ziehen. Babencos Film hingegen verliert sich in der für jeden Film so bedeutsamen Exposition in eine umständliche Einkreisung seltsamer Figuren, deren Individualität und Darstellung nicht genügend dramatisches Potential aufbaut, um jenen Zustand der Apathie zu überbrücken, für den die Amerikaner den treffenden Ausdruck haben: "I couldn't care less".

Dabei geht es - und vielleicht ist auch das ein Zuviel an Gewichtigkeit - gleich um mehrere essentielle Themen. Der Raubbau, der an den Eingeborenen betrieben wird, tritt mehr und mehr in den Hintergrund und das Gewicht verlagert sich auf die missionarische Tätigkeit und ihre nicht eingeplanten Folgen. Der Opportunist Leslie zieht sich letztlich aus dem scheiternden Dschungelunternehmen mit einem uninvolvierten, geschäftsmäßigen Report an seine Oberen zurück, während der idealistische Martin für seine Überzeugung sein Leben lassen muß. Zurück bleibt der zwischen den unvereinbaren Welten verlassene Moon, nachdem er hilflos zusehen mußte, wie der Stamm der Niaruna zugrunde geht, weil die Indios keine Widerstandskraft gegen die Krankheitskörper besitzen, die von den Missionaren eingeschleppt worden sind. Der Kreis, der sich endlich in der langen Geschichte schließt, ist ein demagogischer Teufelskreis: nicht nur haben die Missionare den Niaruna den indirekten Tod gebracht, auch der Glaube, den sie ihnen zu vermitteln gedachten, erfährt eine fatale Verkehrung in den Aberglauben. Den Jesus, von dem die Missionare reden, vermögen die Eingeborenen nur in dem vom Himmel gefallenen Lewis Moon zu erkennen, zu dem zu beten sie den verzweifelten Martin mit vorgehaltenen Speeren zwingen.

Unverkennbar hat Babenco einen "aufklärerischen", kritischen Film machen wollen, dessen Anspruch auch noch weit über die ähnlich geartete Thematik von Joffés "Mission" hinausgeht. Doch während Joffé seine Geschichte von der Vernichtung der Urwaldbewohner durch eine unheilige Allianz von Staat und Kirche an einer sehr konkreten Geschichte und an zwei antipodisch exponierten Figuren festmacht, verstrickt sich Babencos Film in dem Filigran eines halben Dutzend, dem Zuschauer zu leicht als "krankhaft" erscheinender Charaktere, in deren Denken und Handeln es sich zurechtzufinden gilt wie im unwegsamen Dickicht des Dschungels, der ihr und der Eingeborenen Geschick bestimmt.
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