Le Chêne - Baum der Hoffnung

Drama | Frankreich/Rumänien 1992 | 105 Minuten

Regie: Lucian Pintilie

Nach dem Tod ihres Vaters, eines ehemaligen Securitate-Offiziers, macht sich eine junge Frau aus Bukarest in die Provinz auf, um eine Stelle als Lehrerin anzutreten. Die Reise wird zu einer Kette privater und gesellschaftlicher Katastrophen, zwischen denen nur die Liebe zu einem unangepaßten Arzt Hoffnung bietet. Eine apokalyptisch gestimmte Schilderung der letzten Phase des Ceaucescu-Regimes und der Selbstbehauptungsversuche zweier Außenseiter in einer Normalität aus Terror, Verunsicherung und Gleichgültigkeit. Ein filmischer Aufschrei, der sich mit grimmigem Humor gegen die Hoffnungslosigkeit stemmt. (TV-Titel: "Die Eiche")
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Filmdaten

Originaltitel
LE CHENE | BALANTA
Produktionsland
Frankreich/Rumänien
Produktionsjahr
1992
Produktionsfirma
Parnasse/Scarabée/MK 2/La Sept/Filmstudio des rumänischen Kulturministeriums
Regie
Lucian Pintilie
Buch
Lucian Pintilie
Kamera
Doru Mitran
Schnitt
Victorita Nae
Darsteller
Maia Morgenstern (Nela) · Razvan Vasilescu (Mitica) · Victor Rebengiuc (Bürgermeister) · Dorel Visan (Dorfpfarrer) · Mariana Mihut (Frau des Pfarrers)
Länge
105 Minuten
Kinostart
-
Genre
Drama | Literaturverfilmung
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Diskussion
Ein kleines Mädchen, Tochter eines Securitate-Offiziers, bekommt eine Waffe geschenkt. Die Kamera folgt dem Mädchen durch die Wohnung, in der ein Fest gefeiert wird. Die Besucher lassen sich fallen, mimen tödlich Getroffene. Man amüsiert sich.

Nela. das kleine Mädchen, ist inzwischen erwachsen. Während sie den Film aus Kindertagen im Bett ansieht, stirbt neben ihr der Vater. Bald wird sie seine Asche in einem Nescafe-Glas mit sich herumtragen. Des Vaters letzter Wunsch, seine Organe der Wissenschaft zu vermachen, scheitert an mangelnden Kühlmöglichkeiten im Krankenhaus. Rumänischer Alltag. Man schreibt das Jahr 1988. Ceausescus Securitate beherrscht das Land mit blutiger Konsequenz.

Nela ist Lehrerin, hat in Paris Psychologie studiert und macht sich nach dem Tod des Vaters in die Provinz auf, um eine Hochbegabten-Klasse zu unterrichten. Die Reise wird zu einer Odyssee. Unterspülte Gleise zwingen die Passagiere zur Übernachtung im Freien. Man verhöhnt und beschimpft sich, die Atmosphäre ist voll latenter Gewalt. Als die Fahrt endlich weitergeht, stürmen Bergleute rücksichtslos "ihren" Zug. Endlich am Ziel, wird Nela überfallen und beinahe vergewaltigt.

Im Krankenhaus lernt sie Mitica kennen, einen eigenwilligen Arzt, der sich als früherer Boxer ausgibt und Konflikte notfalls mit den Fäusten löst. Die beiden Außenseiter verstehen sich auf Anhieb. Nela zieht bei Mitica ein. Der aber wird schon bald verhaftet, weil er sich weigert, der Securitate das "subversive" Tagebuch eines verstorbenen Patienten zu übergeben. Als Mitica die Frau eines Funktionärs operiert, gewährt man ihm (Narren-)Freiheit. Zusammen mit Nela bringt er den toten Patienten in sein Heimatdorf, wo er im Haus des Pfarrers einmal mehr mit offenherzigen politische Äußerungen für Aufsehen sorgt. Nach ihrer Rückkehr werden Nela und Mitica Zeugen eines sinnlosen Massakers, bei dem die Securitate drei angebliche Erpresser und zahllose Kinder ermordet.

In der Schlußszene taucht die Pistole des kleinen Mädchens wieder auf. Unter einer Eiche entschließen sich Nela und Mitica zu einer gemeinsamen Zukunft, zu Kindern. Wenn ihre Kinder normal werden, wolle er sie erschießen, sagt Mitica.

Die rumänische Normalität, wie sie Regisseur Lucian Pintilie präsentiert, ist eine höchst reale Geisterbahn. Apokalypse als Alltag, gelegentlich so absurd, daß man schon wieder lachen möchte. Truppen beim Manöver mischen einen ländlichen Wochenendausflug auf. Securitate-Agenten führen zur Beschattung einen Dachgepäckträger mit sich, um im Dorf günstige Besorgungen zu machen. Der Tod aber ist niemals weit: Beim Massaker an den Kindern glaubt Nela ihre verhaßte Schwester zu erkennen, von deren Briefen sie während der ganzen Reise verfolgt wurde. Wie einst der Vater, arbeitet nun die Schwester bei der Securitate. Haß zieht sich mitten durch Familien.

Die einzig mögliche Haltung scheint die des ironischen Nonkonformismus zu sein, wie ihn Mitica praktiziert. Wie er ihn deshalb praktizieren kann, weil man ihn als guten Arzt ihn Ruhe läßt. Einstweilen. Wie die Figur des Mitica "rettet" sich der gesamte Film mit seinem - wenn auch äußerst grimmigen - Humor. Die mit der Eiche symbolisierte Hoffnung bleibt sehr vage, doch verfällt "Le Chêne" nicht in völlige Düsternis. Pintilie, der während der letzten 20 Jahre überwiegend im Ausland arbeiten mußte, gelingt das Kunststück, die tragische Lage seiner Heimat ungeschönt zu schildern und gleichzeitig einen Rest von befreiender Lebendigkeit zu wahren. Gegen eine "Normalität", die sich im gegenwärtigen Rumänien kaum weniger wahnwitzig darstellt: "Als ich 1990 am Drehbuch von 'Le Chêne' arbeitete, dachte ich wirklich, daß eine bestimmte Vergangenheit begraben sei. Jetzt ist mir bewußt, daß wir immer noch mitten drin stecken." (L. Pintilie)
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