Der Kopf des Mohren

- | Österreich 1995 | 115 Minuten

Regie: Paulus Manker

Ein erfolgreicher Wissenschaftler wird sich mit einem Schlag der schleichenden ökologischen Katastrophen in seiner Umwelt bewußt. Der Schock frißt sich ins Innere des introvertierten Mannes durch, entreißt ihn der Sicherheit seines Berufs und der Geborgenheit seiner Familie und läßt ihn in seinen Handlungen in einen psychopathologischen Wahn abgleiten. Eine mit erschreckender Präzision äußerst konsequent und beklemmend gestaltete Studie über den Verlust von Sicherheit und Identität. Ein herausragend gespieltes, subtil und beziehungsreich angelegtes Bild- und Tongeflecht von großer gedanklicher und dramaturgischer Intensität. - Sehenswert.
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Filmdaten

Produktionsland
Österreich
Produktionsjahr
1995
Produktionsfirma
WEGA
Regie
Paulus Manker
Buch
Michael Haneke
Kamera
Walter Kindler
Schnitt
Michael Hudecek
Darsteller
Gert Voss (Georg Hartmann) · Angela Winkler (Anna Hartmann) · Manuel Löffler (Jakob) · Leni Tanzer (Christina) · Oana Solomonescu (Eva)
Länge
115 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
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Diskussion
Ein Leben geht seinen vorgeplanten und gesicherten Gang: Georg Hartmann, erfolgreicher wissenschaftlicher Leiter eines Wiener Testinstituts, plant mit seiner Frau Anna und ihren gemeinsamen Kindern den Bau eines neuen Hauses; in großer Vorfreude spielen sie bereits die zukünftige Wohnidylle durch. Ausgerechnet zur Weihnachtszeit aber bekommt die Harmonie feine Haarrisse, die zunächst weder Georg selbst noch seine Familie wahrnehmen. Mehr beiläufig vernimmt man die Radiomeldungen von einem schwerwiegenden chemischen Unfall in einer nahen Fabrik, der eine bedrohliche Umweltkatastrophe auslöst. Doch weder seiner Familie noch seinen Arbeitskollegen, beschäftigt mit den eigenen vergleichsweise geringen Sorgen, dringt die Tragweite des Unfalls tiefer ins Bewußtsein. Auch Georg scheint äußerlich unberührt, aber in dem sensiblen, introvertierten Mann ist eine Saite auf beunruhigende Weise zum Klingen gebracht. Schlaglichtartige Visionen beginnen ihn zu plagen, während sich die Katastrophenmeldungen vom ökologischen Crash, aber auch von Kriegen und menschlichen Tragödien immer tiefer in sein Inneres eingraben. Schwer schockiert und verletzt er Anna, als er das Hausprojekt ohne ihr Wissen abstößt, um stattdessen in die abgelegensten Winkel einer Waldregion ziehen zu wollen: kein Schmutz, kein Lärm, Tiere, die Chance eines völlig autarken Lebens! Doch Anna will nicht, daß ihre gemeinsame Existenz auf solche Weise durcheinandergerät, voller Unruhe registriert sie, daß sie sich immer weniger mit Georg auseinanderzusetzen vermag, der ihr sichtbar in eine irrationale Handlungsweise entgleitet. Georgs Leben verläßt den vorgeplanten Weg, driftet allmählich in den Wahnsinn.

Beklemmend, höchst intensiv und verstörend bis zur Schmerzgrenze beschreibt Paul Manker mit aller Konsequenz den Prozeß einer Auflösung, der vorangetrieben wird vom stückchenweise Verlust an Sicherheiten. Georg Hartmanns überscharfe Wahrnehmung der schleichenden katastrophalen (Fehl-)Entwicklung der (Um-)Welt werden in einem ganzen Spektrum psychopathologischer Befindlichkeiten aufgefächert, die auch den Zuschauer zunehmend den Halt verlieren lassen: Nichts, so scheint es, kann man tun, um sich wirkungsvoll zu schützen, nirgendwo bietet sich eine Fluchtinsel, auf der man sicher sein kann vor dem selbstverschuldeten Untergang. Beruf und Familie, die klassischen Stützpfeiler der menschlichen Existenz, verlieren angesichts dieser Schreckenserkenntnis ihren Sinn, der Zukunftsoptimismus versiegt, Vertrauen und Liebe werden zersetzt von Daseinsangst, Verzweiflung und Mißtrauen. Georg Hartmann implodiert förmlich, bevor sich der Wahn aus seinem Innern nach außen frißt. Deutlich ist er eine Figur aus dem gedanklichen Kosmos Michael Hanekes, der mit seiner Drehbuchvorlage erneut "letzte Fragen" im Kontext der (Post-) Moderne und den "Verlust der Ich-Identität" anspricht (vgl. fd 5/1995, S. 8). Während sich Haneke aber in seinen eigenen Filmen (u.a. "Benny's Video", fd 30 298; "Der siebente Kontinent", fd 31 936) immer wieder konsequent dem Bedürfnis des Zuschauers nach einer Identifikation mit den Figuren entzieht, jongliert Paulus Manker - selbst ein erfahrener Schauspieler - raffiniert mit der stets ambivalenten Nähe zu den Figuren. Unterstützt von zwei ganz hervorragend spielenden Hauptdarstellern, baut er viel Sympathie und Verständnis für das jeweilige Verhalten von Georg und Anna auf, um um so beklemmender die Ausweglosigkeit vor Augen zu führen, die sich aus den einmal gesetzten Präambeln ihres Agierens und Reagierens ergeben. Beklemmend ist dies nicht zuletzt auch, weil Georgs immer krankhafteres Agieren von einer äußerlich weitgehend "normalen" Gefaßtheit begleitet wird, was zu einem beunruhigenden Schwebezustand führt: Bis wohin handelt Georg moralisch, und ab wann geht er seiner Moral verlustig? Bis zu welchem Punkt ist er sensibler Beobachter der Welt, an der er leidet, und ab wann büßt er seine Fähigkeit zur Wahrnehmung dieser Welt ein? Wann verliert Georg wirklich den Verstand, und verliert er ihn denn überhaupt? Und wo sind Anfang und Ende seiner Einbildung?

Solche Fragen stellen sich besonders vom Ende des Films her betrachtet, als Georgs Wahn in eine schreckliche Katastrophe mündet, die sich dann wiederum als neuerliche Wahnvorstellung erweist. Doch das mildert nicht den nachhaltigen Schrecken, den Mankers beziehungsreiches Bild- und Tongeflecht im Betrachter auslöst. Eher im Gegenteil: denn aus der höchsten Stilisierung des Dramas führt das Ende zurück in die konkret greifbare Alltagswelt, die Georg nun aus dem Sehschlitz eines Kopfverbandes heraus wahrnimmt. Unruhig gleiten seine Augen von der einen Seite zur anderen, angstvoll registrierend, unfähig einzugreifen - ein ikonografisches Bild des Schmerzes, des Zweifelns und Verzweifelns.
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