Nacht über Manhattan

Krimi | USA 1997 | 113 Minuten

Regie: Sidney Lumet

Ein als Ermittler für die Staatsanwaltschaft tätiger Ex-Polizist wird mit einem Fall von Polizeikorruption konfrontiert, der weite Kreise zieht und in den auch sein Vater verwickelt zu sein scheint. Eine ohne spektakuläre Effekte perfekt inszenierte Mischung aus Polizeithriller und Gerichtsfilm, die Fragen nach Macht und Machtmißbrauch, Korruption und Korrumpierbarkeit, Recht und Gerechtigkeit stellt. Gute Darsteller, eine ebenso überzeugende wie einfühlsame Inszenierung und die wohlüberlegte Ausstattung tragen zum Gelingen des Kriminal-Kammerspiels bei. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
NIGHT FALLS ON MANHATTAN
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1997
Produktionsfirma
Mount Company
Regie
Sidney Lumet
Buch
Sidney Lumet
Kamera
David Watkin
Musik
Mark Isham
Schnitt
Sam O'Steen
Darsteller
Andy Garcia (Sean Casey) · Richard Dreyfuss (Abe Vigoda) · Lena Olin (Peggy Lindstrom) · Ian Holm (Liam Casey) · Ron Leibman (Bezirksstaatsanwalt Morgenstern)
Länge
113 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Krimi | Polizeifilm
Externe Links
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Diskussion
40 Filme in 40 Jahren Regietätigkeit, 29 davon sind in New York entstanden, der Stadt, in der er bereits im Alter von vier Jahren erste Bühnenerfahrung sammeln konnte. Sidney Lumet gilt als ausgesprochener New York-Spezialist, als jemand, der wie kein zweiter der Stadt ihre visuellen Reize abgewinnen kann. Obwohl weite Teile der Handlung sich in klaustrophobisch anmutenden Räumen entwickeln, gelingt ihm dies auch in seinem neuesten Film, der in einer Mischung aus Polizeithriller und Gerichtsdrama jene zentralen Themen aufgreift, die Lumets Schaffen seit den 70er Jahren immer wieder beeinflußt haben ("Serpico", "Prince of the City", "The Verdict - Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit"). Dabei dient das Genre einmal mehr als Vehikel zu einer ebenso klugen wie spannenden Reflexion über Macht und Machtmißbrauch, Korruption und Korrumpierbarkeit, Recht und Gerechtigkeit und die verschiedenen Wahrheiten, die einer Sache innewohnen und die sich entsprechend dem Standpunkt des Betrachters erschließen.

Ein nächtlicher Polizeieinsatz in Manhattan. Auf der Jagd nach einem Drogendealer fordern die beiden leitenden Cops Verstärkung an. Plötzlich wimmelt die Gegend von Polizeiautos, da die Mannschaften von drei verschiedenen Polizeirevieren anrücken. Trotzdem geht der Schlag fehl. Vier Polizisten verlieren ihr Leben, der Dealer kann entkommen. Unter den Schwerverletzten befindet sich der altgediente Cop Liam Casey. Ausgerechnet sein Sohn Sean, der den normalen Polizeidienst an den Nagel gehängt hat und nun für die Staatsanwaltschaft arbeitet, wird mit den Ermittlungen und der Anklage beauftragt. Er sieht sich mit dem liberalen Anwalt Abe Vigoda konfrontiert, der seinen Mandanten überreden konnte, sich freiwillig zu stellen. Vigoda hat eine eigenwillige, aber effektive Verteidigung aufgebaut. Er geht von einer Notwehrsituation seines Mandanten aus, da dieser von der angerückten Polizistenschar liquiduiert werden sollte. Plötzlich steht die New Yorker Polizei vor Gericht, und ein Sumpf von Korruption tut sich auf, da die meisten Polizisten auf der Gehaltsliste des Dealers stehen sollen, es jedoch in den letzten Wochen wegen einer "Gehaltserhöhung" zum Streit zwischen den bis dahin gar nicht so verfeindeten Parteien gekommen sein soll. Diesen Verdacht kann Sean jedoch durch das geschickte Kreuzverhör seines Vaters zerstreuen.

Der Erfolg im Prozeß ebnet ihm den beruflichen Weg. Als der Bezirksstaatsanwalt erkrankt, rückt Sean nach, der idealistische Streiter für Gerechtigkeit ist plötzlich mit einem Posten konfrontiert, in dem in erster Linie Opportunismus gefragt ist. Hinzu kommt, daß der gewonnene Prozeß bei Sean schon seine Spuren hinterlassen hat. Neue Verdachtsmomente tauchen auf, als der Polizist, der beschuldigt wurde, die Geldverteilung in den Revieren organisiert zu haben, ermordet aufgefunden wird. Die Untersuchungen in diesem Mordfall lassen keinen anderen Schluß als den der Polizistenkorruption mehr zu. Ein Untersuchungsausschuß wird ins Leben gerufen, der rasch das ganze Ausmaß der Affäre ans Tageslicht fördert'und plötzlich fallen auch wieder Verdachtsmomente auf Seans Vater und dessen langjährigen Partner. Der junge Staatsanwalt steckt in der Klemme, fühlt sich allen verpflichtet und .ann es niemanden recht machen. Es ist so eine Sache mit Recht und Gerechtigkeit.

Bereits zum zweiten Mal verfilmt Sidney Lumet einen Roman von Robert Daley ("Prince of the City"), der wiederum sein ureigenstes Milieu reflektiert und als Inspirationsquelle nutzt - schließlich war der Autor bis 1972 der nicht gerade unumstrittene stellvertretende Polizeichef von New York. Einmal mehr wird die Innenansicht eines Polizeiapparates aufgefächert, dessen Mitglieder angesichts der chaotischen Zustände von der Verhinderung von Verbrechen längst zur Schadensbegrenzung übergegangen sind, und dessen schwarze Schafe sich mit den Verhältnissen zu ihren Gunsten arrangiert haben. Idealismus und Loyalität müssen da auf der Strecke bleiben, und die wenigen, die ihrem Ehreniffldex die Treue zu halten, ver.suchgn, müssen notgedrungen - Aefeaigen sein, die noch mehr Sand ins Getriebe einer ohnehin schlecht laufenden Polizei-Maschinerie werfen. Lumet zeigt seinen Protagonisten bei dieser schwierigen Gratwanderung, in deren Verlauf sich Gut und Böse längst nicht mehr als klar getrennt erweisen, sondern einer Grauzone gewichen sind, durch die alle Beteiligten mehr oder weniger hilflos stolpern.

Die souveräne, meist kammerspielartige Inszenierung kann auf eine exzellente Darstellerriege vertrauen, deren nuanciertes Spiel stets überzeugend und glaubhaft wirkt und die die innere Zerrissenheit ihrer Figuren durch kleine Gesten ebenso zum Ausdruck bringt, wie durch wortreiche Abwehrschlachten. Von den wenigen Massenszenen abgesehen, konzentriert sich Lumet ganz auf das Wesen der einzelnen Person, und so gelingt es ihm, auch in minutenlangen Verhörszenen eine ungeheuere Spannung aufzubauen, ihr Ringen um- und miteinander physisch erlebbar zu machen. Dieser Eindruck wird durch die kluge, unaufdringliche Ausstattung verstärkt, die den einzelnen Sequenzen jeweils das Tüpfelchen aufsetzt. So finden die Verhöre, die zur Aufdeckung des korrupten Sumpfes beitragen, in unglaublich schäbigen, kargen Räumen statt, Besenkammern, in denen die eigentliche Schmutzarbeit erledigt wird. Ein wunderbarer kleiner Film, der nicht die Klischees des Genre-Mainstreams bedient, sondern der die Handschrift eines Regisseurs verrät, der sich nicht dem Massengeschmack, sondern seinem Gesamtwerk und seinen Themen verpflichtet fühlt. Zum Gelingen trägt auch Mark Ishams sparsam eingesetzte Musik bei, die gezielt und behutsam wichtige Akzente setzt.
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