Gibt es zu Weihnachten Schnee?

Drama | Frankreich 1996 | 87 Minuten

Regie: Sandrine Veysset

Der Vater einer Bauernfamilie in Südfrankreich läßt seine Geliebte und seine sieben Kinder jeden Tag hart arbeiten. Nur der enge Zusammenhalt zwischen Mutter und Kindern sichert eine gewisse Lebensqualität. Als der strenge und wortkarge Vater sich an seiner ältesten Tochter vergreift, zieht die Mutter die Konsequenzen. Ein radikal gedrehter Debütfilm ohne die üblichen gestalterischen Mittel wie Landschaftsaufnahmen, Musik oder die der szenischen Dramaturgie folgenden Schnitte. Intensivst läßt er sowohl das harte Landleben als auch die Kraft des familiären Zusammenhaltes physisch spürbar werden. Beachtlich sind auch die schauspielerischen Leistungen der großen und kleinen Darsteller. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
Y AURA-T-IL DE LA NEIGE A NOEL?
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
1996
Produktionsfirma
Ognon Pictures
Regie
Sandrine Veysset
Buch
Sandrine Veysset
Kamera
Hélène Louvart
Schnitt
Nelly Quettier
Darsteller
Dominique Reymond (Mutter) · Daniel Duval (Vater) · Jessica Martinez (Jeanne) · Alexandre Roger (Bruno) · Xavier Colonna (Pierrot)
Länge
87 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
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Diskussion
Ein Sommer auf dem Land in Südfrankreich, der äußerlich jeglichen Anflug von Idylle vennissen läßt. Keinerlei Bilder von Landschaft und Natur sind zu sehen, keine Musik zu hören, und kein Moment des Innehaltens lockert das Leben der Bauernfamilie auf, die aus sieben Kindern, einer Mutter und einem Vater besteht. Sommerzeit ist Erntezeit, es wird Gemüse gepflückt und gewaschen, wagenweise und alles mit der Hand. Manchmal ist ein leises Stöhnen zu hören, auch mal eine Klage. Der Vater, der eigentlich mit einer Nachbarin verheiratet ist, läßt seine Familie schließlich den ganzen Tag lang hart arbeiten, bis zu den Kleinkindern, und duldet keinen Widerspruch. Aber Mutter und Kinder scheinen glücklich zu sein, so lange sie beisammen sind; hinter den ungeschönt naturalistischen Bildern steckt eine innere Idylle, der so schnell nichts etwas anhaben kann. Der Vater freilich steht dabei außen vor. Manchmal allerdings kippt das Gleichgewicht aus Langmut und Strenge, und die Mutter, die noch jung ist, sich aber in das harte Leben weitgehend gefügt hat, begehrt auf und verlangt eine gerechte Behandlung. Der Vater indes fackelt nicht lange und reagiert mit körperlicher Gewalt. Die Kinder wagen kaum, das Wort an ihn zu richten oder gar etwas zu verlangen. Immerhin besteht der Vater aus lauter Sparsamkeit darauf, das Familienessen im Halbdunkel einzunehmen. Eines Tages aber geht er zu weit und vergreift sich an seiner ältesten Tochter. Jetzt reagiert die Mutter entschlossener und erklärt das Familienleben, das ja in Wahrheit auf einem Burgfrieden basiert hatte, für beendet.

Regisseurin Sandrine Veysset hatte bisher nur als Ausstattungsassistentin bei "Die Liebenden von Pont Neuf" (fd 29 648) mitgearbeitet, bevor sie an ihrem ersten eigenen Film zu schreiben begann. Obwohl sie Carax' Film als Schlüsselerlebnis bezeichnet, läßt die Gestaltung ihres Debüts eher an frühe Werke von Rohmer oder Rivette denken. In Abkehr vom üblicherweise inszenatorisch gelenkten Blick verweilt die Kamera immer wieder auf dem Ensemble; Haupt- und Nebenaktionen verwischen, ja finden sogar mitunter außerhalb des Bildes statt. Mit viel Gespür für die Fähigkeiten ihrer Darsteller läßt sie sie scheinbar frei agieren. Das gilt für die großartige Darstellerin der Mutter, Dominique Reymond, ebenso wie für die beeindruckend spielenden Kinder. Veysset läßt teilhaben an deren Spielen und Neckereien, die womöglich ohne viel Anleitung entstanden sind, im Film aber wie Versuche wirken, dem durchgeplanten Tagesablauf der Sommerferien einige Momente gelebter Kindheit zu stehlen. Dadurch sowie durch den radikalen Verzicht auf gestalterische Elemente wie location shots und selbst Musik enstand eine halbdokumentarische Eigendynamik, die das zentrale Thema des Films sinnfällig illustriert: die Frage, inwiefern ein inniger familiärer Zusammenhalt gegen eine unwirtliche Umgebung Bestand hat - wobei die Familie nicht als moralische Institution vorgeführt wird, sondern als organische, physisch spürbare Symbiose. Zugleich aber unterliegt das Geschehen, das dem Verlauf der Jahreszeiten vom Sommer bis in den Winter folgt, einer subtilen Dramaturgie, die am Ende zu einem tragischen Höhepunkt zu kulminieren droht. Dann wird diese eine Frage plötzlich lebenswichtig: "Gibt es zu Weihnachten Schnee?"
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